Gesundheitsvorsorge in den USA:Nation der Dicken

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In den USA ist Fettsucht zu einer Volkskrankheit geworden. Michelle Obama will sich nun darum kümmern, dass zumindest die Kinder wieder schlanker werden.

Reymer Klüver

Die USA sind ein Land einsamer Spitzenleistungen. Ein Amerikaner hält den Weltrekord in Luftsprüngen mit einer Harley Davidson (56 Meter). Keine Nation der Erde schließt einen so großen Anteil ihrer Bevölkerung in Gefängnissen weg wie die Vereinigten Staaten (754 auf 100.000 Einwohner). Und nirgendwo sonst auf dem Planeten leben so viele übergewichtige Menschen wie in Amerika. 34 Prozent der Bevölkerung sind fettleibig, noch einmal 34 Prozent der US-Bürger sind übergewichtig. Amerika ist eine Nation der Dicken.

72 Millionen US-Bürger sind fettleibig, das sind 34 Prozent der amerikanischen Bevölkerung. Präsidentengattin Michelle Obama will diese Volkskrankheit zumindest bei den Kindern eindämmen. (Foto: dpa)

Die Folgen sind mitunter grotesk: Airlines bieten übergewichtigen Passagieren diskret Zusatzgurte an, damit sie sich überhaupt anschnallen können in den engen Flugzeugsitzen, in die sie sich sehr zur Freude ihrer Nachbarn gewuchtet haben. Der vor ein paar Monaten eröffnete Harry-Potter-Vergnügungspark in Florida musste die Sitze seiner Achterbahn erweitern, weil zu viele Besucher schlicht nicht hineinpassten. Krankenhäuser haben längst zweierlei Geburtsbestecke angeschafft: eins für Frauen mit Normalgewicht, das andere für fettleibige werdende Mütter. Selbst die Verteidigungsfähigkeit der Nation ist in Gefahr: Weil zu viele Soldaten zu schnell zu dick werden, bringt das US-Militär seit neuestem Schilder in den Kantinen an: Salat wird empfohlen, bei den Pommes soll der Hinweis auf die Kalorienzahl ein schlechtes Gewissen machen.

Die Fettsucht hat längst Züge einer Epidemie angenommen. Bis 1980 waren die Werte jahrzehntelang fast konstant geblieben: Jeder dritte Amerikaner war ein bisschen übergewichtig, jeder siebte tatsächlich fettleibig. Danach kletterten die Werte kontinuierlich nach oben. Ende der achtziger Jahre war fast ein Viertel der US-Bürger fettleibig, gegen Mitte des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert wurde die Drittel-Marke überschritten. 33,3 Prozent aller erwachsenen Männer, 35,3 Prozent aller Frauen in den USA sind fettleibig - 72 Millionen Menschen. Einziger Lichtblick: Seit 2004 hat sich der Trend nach oben nicht weiter fortgesetzt. Die Folgen für das Gesundheitssystem sind dennoch extrem: 147 Milliarden Dollar kostet die Behandlung von Erkrankungen aufgrund der Fettleibigkeit pro Jahr (Stand 2008). Zehn Jahre zuvor waren es 78,5 Milliarden.

Die Ursachen für die Fett-Epidemie liegen auf der Hand: Viele Amerikaner kochen nicht mehr selbst, sondern ernähren sich mit Fertiggerichten aus dem Supermarkt oder im Schnellimbiss. Die Portionen sind im Lauf der Jahre konstant größer geworden. Der Durchschnitts-Amerikaner bewegt sich immer weniger, fährt Auto oder sitzt vorm Fernseher (ohne Unterbrechung macht er das allein dreieinhalb Tage im Monat). Und viele Amerikaner sind sich der Gefahren ihrer Übergewichtigkeit nicht bewusst. Einer Studie des Pew-Meinungsforschungsinstituts zufolge halten neun von zehn US-Bürgern ihre Landsleute für zu fett. Aber nur fünf Prozent geben zu, dass sie selbst Gewichtsprobleme haben.

Auffällig sind auch regionale Unterschiede. Die meisten dicken Amerikaner leben in ländlichen - und ärmeren - Südstaaten: in Mississippi, Alabama oder Arkansas. Auch sind deutlich mehr Schwarze und Amerikaner lateinamerikanischer Herkunft fettleibig. Diese Statistiken sind unmissverständlicher Beleg für eine simple Gleichung. Je weniger Schulbildung Amerikaner haben und je weniger sie verdienen, desto mehr Probleme werden sie mit ihrem Gewicht haben.

Die Politik ist alarmiert. First Lady Michelle Obama hat eine Kampagne gegen die Übergewichtigkeit von Kindern gestartet, die bessere Ernährung und mehr Bewegung propagiert. Ihr Ziel: Innerhalb einer Generation soll die Fettsucht bei Kindern in den USA beseitigt werden. Das ist reichlich ehrgeizig: Jeder fünfte Amerikaner unter 18 Jahren ist heute bereits fettleibig.

© SZ vom 24.09.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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