Gesundheitspolitik:Notprogramm für ein krankes System

Die Regierung von Angela Merkel einigt sich darauf, den Krankenkassen eine Lizenz zum Kassieren zu geben. Die Geldbeschaffungsmaßnahmen treffen vor allem die Bürger - und lösen die Probleme nicht. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu einer Gesundheitsreform, die diesen Namen nicht verdient.

Guido Bohsem

Nach monatelangem Ringen haben sich Union und FDP auf eine Gesundheitsreform verständigt. Von den im Koalitionsvertrag festgehaltenen Zielen ist das Regierungsbündnis dabei weit entfernt. Herausgekommen ist eher ein Notprogramm; es soll das 2011 drohende Finanzloch der Krankenkassen stopfen - mit zum Teil kräftigen Zusatzbelastungen für die Beitrags- und Steuerzahler. Ob die Vereinbarungen taugen, das System in den nächsten Jahren einigermaßen stabil zu halten, ist noch strittig.

Rösler sieht Aufstieg auch mit weinendem Auge

In Merkels Namen: Gesundheitsminister Philipp Rösler von der FDP musste seine großen Pläne für eine Gesundheitsreform begraben.

(Foto: ag.dpa)

Warum steigen die Beiträge immer weiter?

In der Politik spielen Zahlen eine ganz besondere mitunter die entscheidene Rolle. So lässt sich der aktuelle Kompromiss in der Gesundheitspolitik im Wesentlichen auf eine einzige Zahl reduzieren. Sie stammt vom Bundesversicherungsamt und besagt, dass die Krankenkassen im kommenden Jahr ein Defizit von elf Milliarden Euro einfahren werden - was dazu führt, dass einigen und auch großen Kassen die Insolvenz droht. Der kleinere Teil dieser Finanzierungslücke ist Folge der Wirtschaftskrise. Der größere Teil kommt durch höhere Ausgaben zustande.

Hauptverantwortlich für diese Entwicklung ist die große Koalition, die noch vor der Bundestagswahl ein üppiges Plus für Kliniken und niedergelassene Fach- und Hausärzte veranlasste. Unabhängig von den politischen Beschlüssen steigen zudem die Kosten für die Versorgung mit Arzneimitteln. Im Vergleich zu anderen Märkten verhält sich der Gesundheitsbereich paradox. Die durch den technischen Fortschritt erzielten Einsparungen fallen zumeist nicht ins Gewicht. Neue Therapien, die zusätzlichen Nutzen für Patienten mit zuvor nicht behandelbaren Krankheitsbildern helfen, sind hingegen mit deutlichen Kostensteigerungen verbunden. In Zukunft dürfte auch die alternde Gesellschaft die Finanzierung der Kassen schwieriger machen, weil es im Verhältnis weniger arbeitende Beitragszahler geben wird.

Wie teuer wird es für den Beitragszahler?

Gleich zu Beginn des kommenden Jahres werden die meisten Arbeitnehmer die Konsequenzen des jetzt beschlossenen Kompromisses der Koalitionsparteien spüren. Statt 7,9 Prozent vom Bruttolohn müssen sie 8,2 Prozent zahlen. Das bedeutet für den vollbeschäftigten Durchschnittsverdiener mit einem Einkommen von 3000 Euro im Monat etwa neun Euro mehr im Monat. Die gleichen Kosten entstehen seinem Arbeitgeber, obwohl Union und FDP ihnen im Koalitionsvertrag zugesichert hatten, davon künftig verschont zu bleiben.

Um diese Zusage trotzdem einzuhalten, haben sich Union und FDP darauf verständigt, den Beitragssatz für die Arbeitgeber künftig auf die dann geltenden 7,3 Prozent festzuschreiben. Rentner trifft es besonders, da es für sie 2011 eine Nullrunde geben wird. Zudem müssen sie auf die Zahlungen aus Betriebsrenten den vollen Krankenversicherungsbeitrag leisten.

Wer also beispielsweise eine Betriebsrente von 1000 Euro im Monat erhält, muss dafür künftig 155 Euro zahlen und damit sechs Euro mehr als bislang. Insgesamt summieren sich die zusätzlichen Einnahmen für die Kassen durch die Beitragssteigerung auf rund sechs Milliarden Euro. Weitere zwei Milliarden Euro schießt der Bund zu. Sie stammen vom Steuerzahler.

Wird aus den Zusatzbeiträgen jetzt eine Kopfpauschale?

Bis zuletzt stritt die Koalition darüber, wie die Zusatzbeiträge künftig ausgestaltet werden. Der FDP ging es dabei darum, sich mittelfristig noch einen Einstieg in das System der Kopfpauschale offen zu halten. Dabei zahlt jeder unabhängig von seinem Einkommen den gleichen Beitrag, zur sozialen Abfederung gibt es einen Sozialausgleich.

Die CSU wollte genau das verhindern und die von ihr abgelehnte Kopfpauschale endgültig verhindern. Herausgekommen ist ein Kompromiss, der beides möglich macht. Die Kassen können künftig unabhängig vom Einkommen ihrer Mitglieder einen pauschalen Zusatzbeitrag verlangen, wenn sie mit den Mitteln aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen. Neu ist, dass die Kassen diesen Zusatzbeitrag nicht mehr prozentual erheben können. Insofern kann man den jetzt angestrebten Zusatzbeitrag als Einstieg in die Prämie bezeichnen. Er wird pauschal erhoben und seine Höhe richtet sich lediglich nach den finanziellen Bedürfnissen der Krankenkasse.

Allerdings ist der Zusatzbeitrag durch eine prozentuale Obergrenze von zwei Prozent des Bruttolohns gedeckelt, die so üppig veranschlagt ist, dass sie nach Vorstellungen der Regierung nicht mehr in dieser Legislaturperiode zum Tragen kommt. Damit würde sich der tatsächliche Einstieg in die Prämie weiterhin verzögern.

Wie funktioniert der Sozialausgleich?

Mit den Zusatzbeiträgen sollen die künftigen Kostensteigerungen im Gesundheitssystem ausgeglichen werden. Das heißt, die Kassenmitglieder kommen dafür alleine auf.

Dazu ist ein Ausgleich vorgesehen, und der funktioniert so: Das Bundesversicherungsamt (BVA) ermittelt anhand des erwarteten Defizits der Kassen den zum Ausgleich notwendigen Zusatzbeitrag. Bei einer Lücke von sieben Milliarden Euro wären das elf Euro im Monat für jedes der 50 Millionen Kassenmitglieder. Der Arbeitgeber prüft nun, ob diese elf Euro mehr zwei Prozent des Bruttolohns übersteigen. Ist dies der Fall, tritt der Sozialausgleich in Kraft. Der Arbeitgeber vermindert den allgemeinen Beitrag von 8,2 Prozent des Bruttolohns entsprechend und zahlt den übrigen Betrag als Lohn aus. Für Rentner gilt ein ähnliches Verfahren, das der Rentenversicherungsträger auf die staatliche Rente anwendet.

Da die Kasse darüber frei bestimmen darf, kann der tatsächlich von ihr erhobene Zusatzbeitrag höher sein als der vom BVA errechnete. Im oben genannten Beispiel könnten das etwa 15 Euro sein. In diesem Fall wird ebenfalls nur der vom BVA errechnete Zusatzbeitrag von elf Euro ausgeglichen. Die verbliebenen vier Euro müsste der Versicherte aus eigener Tasche zahlen - oder er wechselt zu einer günstigeren Kasse.

Welchen Beitrag leisten Ärzte und Krankenhäuser?

Nach dem Willen der Koalition sollen auch die Akteure im Gesundheitssystem einen Beitrag leisten, um das Defizit in den Griff zu kriegen. Insgesamt sollen im kommenden Jahr rund 3,5 Milliarden Euro und 2012 etwa vier Milliarden Euro weniger ausgegeben werden als bislang vorgesehen. Damit kommt es zu keinerlei Kürzungen bei den Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten. Die Ausgaben sollen lediglich weniger stark ansteigen.

Wenn eine Klinik mehr als die vereinbarten Leistungen erbringt, erhält sie dafür nur noch 70 Prozent des eigentlich fälligen Betrags. Außerdem dürfen die Krankenhausausgaben lediglich in der Höhe der Grundlohnsumme steigen. Das macht etwa 500 Millionen Euro.

Überraschend ist, dass die Koalition den Hausärzten deutliche Auflagen verpasst hat. Durch Hausarztverträge dürfen die Ausgaben nur so stark steigen wie in den anderen Bereichen - das sind etwa 500 Millionen Euro weniger. Die anderen niedergelassenen Ärzte müssen mit 350 Millionen Euro weniger rechnen als bislang gedacht. Das Honorarplus für die Zahnärzte schließlich darf nur halb so hoch steigen wie der prozentuale Anstieg der Grundlohnsumme. Bereits beschlossen sind eine Neuordnung und ein Sparpaket für den Arzneimittelmarkt. Das bringt etwa zwei Milliarden Euro.

Sparen die Kassen auch bei sich?

Auch die Krankenkassen werden von der Koalition zur Verbesserung der eigenen Finanzlage herangezogen. Ihre Verwaltungskosten dürfen in den kommenden beiden Jahren im Vergleich zum Jahr 2010 nicht ansteigen. Dadurch soll es nach den Worten von Gesundheitsminister Rösler zu Einsparungen in Höhe von jährlich 300 Millionen Euro kommen.

Zu den Verwaltungskosten zählen beispielsweise Gehälter für die Vorstandschefs und die Mitarbeiter sowie die Kosten für Filialen, Verwaltungsgebäude, Werbung und Büromaterialien. Zwischen 1996 und 2006 stiegen die Ausgaben um 35 Prozent und damit stärker als die Gesamtausgaben der GKV, die nur um 26 Prozent nach oben gingen. Bereits 2003 wurden die Kosten deshalb gedeckelt. Drei Jahre lang durften sie prozentual nur noch so stark steigen wie auch die beitragspflichtigen Einkommen aller Kassenmitglieder sind.

Bei den Verwaltungsausgaben gibt es gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Kassen. So kostet eine Internet-Kasse ohne Filialen natürlich deutlich weniger als beispielsweise die DAK, die in allen Regionen des Landes mit Geschäftsstellen vertreten ist sind. Eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung bezifferte das mögliche Einsparvolumen jüngst auf insgesamt 1,5 Milliarden Euro.

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