Gesundheitspolitik:Das Risiko im Blut

Piercings, Tattoos, Fernreisen oder sogar Zahnarztbesuche können Gründe sein, dass ein Blutspender abgewiesen wird. Diese strengen Regeln werden nun gelockert.

Von Kim Björn Becker

Blutspenden

Erstmals können auch homosexuelle Männer Blut spenden – doch sie dürfen zuvor ein Jahr lang keine sexuellen Kontakte gehabt haben.

(Foto: Inga Kjer/dpa)

Abgezapft wird meist ein halber Liter, die Prozedur dauert etwa zehn Minuten. Zehntausende Deutsche spenden Blut, die meisten von ihnen regelmäßig. Nicht nur chronisch Kranke sind auf Blutkonserven angewiesen, sondern auch Unfallopfer, die bei einer Operation viel Blut verlieren. Nun hat die Bundesärztekammer die Blutspende-Richtlinie umfassend erneuert, zum ersten Mal seit sieben Jahren. Erstmals dürfen auch homosexuelle Männer spenden - allerdings nur, wenn sie vorher ein Jahr lang keinen sexuellen Kontakt zu anderen Männern hatten. Die Süddeutsche Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen.

Warum hat die Ärztekammer die Regeln für Schwule gelockert?

Deutschland folgt damit dem Vorbild anderer europäischer Länder. Eine Ausschlussfrist von einem Jahr gibt es in Schweden und Großbritannien schon seit 2011, im vergangenen Jahr zogen Irland und Frankreich nach. Zudem verweist die Bundesärztekammer auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Es geht dabei um die Frage, ob die Lockerung das Risiko erhöht, dass mit dem HI-Virus kontaminierte Blutspenden in Umlauf gelangen - Homosexuelle gelten hier als Risikogruppe, ebenso wie Prostituierte sowie Personen, die häufig den Sexualpartner wechseln. Die Studien der vergangenen Jahre zeigten, dass eine Rückstellung der Spenden von Schwulen für ein Jahr zwar zu einer "geringfügigen Erhöhung des HIV-Restrisikos" führen kann, allerdings gelten die Berechnungen als nicht besonders aussagekräftig. Insgesamt hält die Ärztekammer die neue Regelung für vertretbar.

Woher weiß man, ob ein Spender zu einer Risikogruppe gehört?

Vor jeder Spende müssen Interessenten einen ausführlichen Fragebogen ausfüllen. Darin geht es um das Sexualverhalten, die Krankengeschichte, aber auch um Fernreisen, Zahnarztbesuche und Piercings oder Tattoos - also um fast alles, was dazu führen kann, dass sich der Spender mit einem Erreger infizieren kann. Allerdings gibt es für die Blutspendedienste oder andere Stellen kaum eine Möglichkeit, die Angaben zu überprüfen. Man sei da in weiten Teilen "auf die Ehrlichkeit der Spender angewiesen", sagt Peter Scriba, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer. Es ist also möglich, dass Personen aus Risikogruppen trotzdem Blut spenden - wobei sie etwa ihre Homosexualität verbergen. Kommt dies heraus, werden die Betroffenen dauerhaft vom Blutspenden ausgeschlossen. Wer allerdings wissentlich falsche Angaben macht und damit andere Menschen schädigt, weil diese sich mit HIV oder Hepatitis infizieren, begeht eine Straftat. Eine Kontrollstudie in Großbritannien ergab, dass 99,5 Prozent der Spender zu ihrem Sexualverhalten korrekte Angaben gemacht hatten. Ähnliche Ergebnisse wurden in Australien sowie in Kanada festgestellt.

Wieso werden manche Spender überhaupt ausgeschlossen?

Vorgeschrieben ist, dass Erstspender zunächst einmal auf unterschiedliche Erkrankungen hin getestet werden. Zudem wird jede einzelne Blutspende nochmals gesondert untersucht - unter anderem abermals auf HIV und Hepatitis. So soll sichergestellt werden, dass keine verseuchte Spende in Umlauf gelangen kann. Mit den gängigen Testverfahren können zwar die allermeisten, aber nicht alle Erkrankungen erkannt werden. Um das Restrisiko zu verringern, werden daher sogenannte Risikogruppen gebildet. Vorhandene Daten zeigen zum Beispiel, dass homosexuelle Männer deutlich häufiger am HI-Virus leiden als heterosexuelle. Zwischen 1997 und 2014 kam es in Deutschland sechs Mal vor, dass HIV durch eine Bluttransfusion auf den Empfänger überging. In fünf dieser Fälle gehörten die Spender einer Risikogruppe an und hatten falsche Angaben gemacht. Hinzu kamen 20 Übertragungen von Hepatitis. Befürworter der Bildung von Risikogruppen verweisen darauf, dass die Erreger bei manchen Tests erst nach mehreren Wochen nachgewiesen werden können. "Dieses Fenster beträgt bei HIV etwa drei Monate", sagt Peter Scriba.

Werden Schwule durch die Ein-Jahres-Frist diskriminiert?

Das behaupten der Lesben- und Schwulenverband von Deutschland (LSVD) sowie die Aids-Hilfe. Sie verweisen darauf, dass eine HIV-Infektion schon nach sechs Wochen ausgeschlossen werden könne, die Jahresfrist sei unnötig lang bemessen. Die Bundesärztekammer hat sich dagegen für eine vorsichtigere Regelung entschieden. "An erster Stelle steht die Sicherheit der Spenden", sagt Scriba. Die Forderung, die Grenze für Homosexuelle weiter abzusenken, weist er als "verfehlt" zurück. Dabei gehe es um gesellschaftliche Anerkennung und nicht um Fragen der Sicherheit.

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