Gesundheit:Hilfe für die Verzweifelten

Der Bundestag will, dass Suizid-Gefährdete mehr Unterstützung erhalten. Denn oft fehlt es an Hilfe - vor allem Männer sind betroffen.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Jedes Jahr nehmen sich in Deutschland etwa 10 000 Menschen das Leben. Hinzu kommen mehr als zehnmal so viele Suizidversuche, die das deutsche Gesundheitssystem dokumentiert. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 29 Jahren gehört Selbstmord zu den häufigsten Todesursachen. Aber auch Menschen im hohen Alter sind betroffen. Sie verzweifeln an Umbrüchen im Leben und an der Angst vor der eigenen Pflegebedürftigkeit.

Die Bundestagsfraktionen von CDU, CSU, SPD und den Grünen haben sich nun über einen gemeinsamen Maßnahmenkatalog zur Vorbeugung von Suiziden verständigt. Am Freitag wollen sie ihn im Bundestag beschließen. In dem Antrag, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt, tragen die Abgeordneten zusammen, was über die Ursachen von Selbstmord in Deutschland bekannt ist und was eine zukünftige Regierung dagegen tun sollte.

Der Freitod ist nur selten "Ergebnis eines souveränen Entscheidungsprozesses"

Fast alle Betroffenen litten kurz vor ihrem Tod an einer psychischen Erkrankung oder steckten in einer seelischen Krise. Der Freitod sei nur bei "einem kleinen Teil Ergebnis eines souveränen Entscheidungsprozesses" gewesen, heißt es in dem Papier. Dennoch seien 80 Prozent der Verstorbenen deshalb nie medizinisch behandelt worden. Es handele sich bei ihnen vor allem um Männer. Nur ein Viertel der Betroffenen ist weiblich. Bei jungen Menschen nennen die Abgeordneten neben alterstypischen "Identitätsfragen" auch "Cybermobbing" als zunehmende Bedrohung. Jeder fünfte Jugendliche sei bereits Opfer anonymer Hetze geworden. Bei den Älteren sei der Wechsel in den Ruhestand ein "bedeutender Lebensumbruch". Die schwarz-rote Koalition und die Grünen plädieren nun dafür, "die Situation älterer Menschen zu berücksichtigen". Dies gelte besonders für Bewohner von Pflegeheimen.

Auch Menschen mit Migrationshintergrund oder einer traumatischen Fluchtgeschichte benötigten mehr "kultursensible und fremdsprachliche Beratungs- und Behandlungsangebote" in den Bundesländern. Die Bundesregierung müsse "ihren Einfluss geltend machen", damit die Länder Zuwanderer besser versorgen, heißt es in dem Antrag. Die Politiker fordern zudem Aufklärungskampagnen über seelische Krankheiten und eine Förderung von Forschungsprojekten.

Bereits im April hatte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) einen Fördertopf von 3,5 Millionen Euro für Projekte zur Verhinderung von Suiziden eingerichtet. Mittlerweile finanziert die Bundesregierung zum Beispiel psychologische Online-Beratung und Forschung zu Depressionen im hohen Lebensalter. Außerdem unterstütze man Initiativen wie das "Nationale Suizidpräventionsprogramm für Deutschland", in dem Wissenschaftler in Arbeitsgruppen diskutieren, wie man die Suizidrate senken könnte.

Der gemeinsame Antrag, den die Abgeordneten nun in der vorletzten Sitzungswoche vor der Bundestagswahl in ganz großer Koalition verabschieden möchten, enthält nur Forderungen, welche die Regierung "im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel" umsetzen soll. Zusätzliches Geld fordert also niemand. Das Thema "eignet sich nicht für politischen Parteienstreit", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink. Vor zwei Jahren hatte sie noch in einem ähnlichen Antrag gefordert, dass die Krankenkassen jenen Migranten, die in Not geraten sind, einen Dolmetscher bezahlen.

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