Gespräch mit palästinensischem Regierungschef Fajad:"Israel richtet Katastrophe im Gaza-Streifen an"

Der palästinensische Regierungschef Fajad kritisiert die Militär-Operationen der israelischen Armee im Gaza-Streifen scharf. In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung bezeichnete er Israels Vergeltungsmaßnahmen als "eine Katastrophe" und als "definitiv unverhältnismäßig". Interview: Thorsten Schmitz.

SZ: Herr Fajad, wie viel Einfluss haben Sie auf den Gaza-Streifen?

Gespräch mit palästinensischem Regierungschef Fajad: Der palästinensische Regierungschef Salam Fajad

Der palästinensische Regierungschef Salam Fajad

(Foto: Foto: Reuters)

Salam Fajad: Um ehrlich zu sein, gar keinen im Moment. Der Raketenbeschuss ist katastrophal. Aber wer sagt, dass wir uns den Raketen der Hamas und den Hass-Aufrufen ergeben müssen? Ich akzeptiere nicht, dass die Gewalt, die vom Gaza-Streifen ausgeht, das einzige Gesicht ist, das wir Palästinenser der Welt zeigen. Es ist meine feste Absicht, Hamas zu enttäuschen. Dazu gehört, dass ich meine Meinung sage.

SZ: Das reicht nicht, um die Raketen und Israels Vergeltung zu stoppen.

Fajad: Es ist wichtig, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen. Dazu gehört die Ablehnung von Gewalt und die Zustimmung dazu, dass nicht jeder mit Waffen herumlaufen kann. Bevor wir mit Hamas reden, muss sie zustimmen, dass das Gewaltmonopol bei der Autonomiebehörde liegt. Es macht keinen Sinn, einen Staat errichten zu wollen und gleichzeitig bewaffnete Milizen zuzulassen. Es war ein Fehler zu glauben, man könne Frieden schaffen und gleichzeitig bewaffnete Milizen dulden.

SZ: Zu den Milizen zählen auch die Al-Aksa-Brigaden, die der Fatah-Gruppe von Präsident Abbas angehören.

Fajad: Auch die Al-Aksa-Brigaden müssen entwaffnet werden. Waffen gehören nur in die Hände unserer Sicherheitsdienste. Wir werden nie einen eigenen Staat erhalten, solange die Milizen nicht aufgelöst werden. Deshalb ist auch die Einigung von Mekka gescheitert: In ihr wurde kein Wort über die Milizen und die Sicherheit verloren. Das Abkommen bestand nur aus Phrasen, die nach Belieben interpretiert wurden.

SZ: Wie beurteilen Sie die israelischen Vergeltungsschläge und die Schließung aller Grenzübergänge zu Gaza?

Fajad: Das ist eine Katastrophe! Was Israel im Moment im Gaza-Streifen veranstaltet, ist definitiv unverhältnismäßig. Selbstverständlich muss Israel seine Bürger vor den Raketen schützen. Aber Israel darf die Angst vor Raketen nicht mit massiven blutigen Militäreinsätzen und der kompletten Abriegelung des Gaza-Streifens gleichstellen.

SZ: Je mehr Hamas isoliert ist, desto mehr befürwortet die Gruppe Gewalt.

Fajad: Ich stehe auch nicht hundertprozentig dahinter, Hamas zu isolieren. Gleichzeitig bin ich nicht interessiert an vagen und letztlich hohlen Versprechen. Wir befinden uns in einer tiefen nationalen Krise, da muss man sich vor leeren Erklärungen hüten. Ich glaube nicht an die Heilkraft von Isolierung, das heißt aber nicht, dass man mit Hamas reden sollte nur um des Redens willen.

SZ: Wird Hamas von Iran unterstützt?

Fajad: Nach unserem Kenntnisstand ja. Es ist kein Geheimnis, dass Hamas-Vertreter von Iran große Geldsummen erhalten.

SZ: Wie regieren Sie ohne Einfluss auf den Gaza-Streifen und dessen 1,5 Millionen Bewohner?

Fajad: Ich gebe zu, dass das sehr, sehr schwierig ist. Es ist meine Pflicht, in beiden Gebieten zu regieren. Sie bilden die Einheit für einen künftigen Palästinenserstaat. Als Finanzminister kann ich Ihnen aber sagen, dass wir im zweiten Halbjahr 2007 rund 964 Millionen US-Dollar nur für den Gaza-Streifen ausgegeben haben. Das entsprach 58 Prozent des Gesamtetats für diesen Zeitraum für Gaza und Westjordanland zusammen.

SZ: Wofür wurde das Geld verwendet?

Fajad: Hauptsächlich für die Gehälter der Angestellten der Autonomiebehörde, für Sozialhilfen für bedürftige Familien, laufende Behördenkosten.

"Israel richtet Katastrophe im Gaza-Streifen an"

SZ: Es gibt Kritik, dass die Autonomiebehörde ein aufgeblasener Apparat sei mit zu vielen Angestellten. Sie wollten Entlassungen in großem Maßstab vornehmen. Ist Ihnen das gelungen?

Gespräch mit palästinensischem Regierungschef Fajad: Salam Fajad

Salam Fajad

(Foto: Foto: AFP)

Fajad: Ich habe rund 40 000 Angestellte der Autonomiebehörde entlassen von insgesamt 189 000. Dazu gehören auch die 6000 Mitglieder des von Hamas kreierten Sicherheitsdienstes.

SZ: US-Präsident George W. Bush möchte ein Friedensabkommen bis zum Ende seiner Amtszeit im Dezember. Schaffen Sie das bis dahin?

Fajad: Theoretisch können die Gespräche erfolgreich bis Dezember geführt werden. Ob es wahrscheinlich ist, ist eine andere Frage. Das hängt auch von der Umsetzung des Friedensfahrplans ab...

SZ: ...der unter anderem von Israel einen völligen Baustopp in jüdischen Siedlungen im Westjordanland verlangt...

Fajad: ...woran sich Israel nicht hält. Während wir über die Hauptstreitpunkte verhandeln, baut Israel die Siedlungen im Westjordanland aus. Das ist das größte Problem. Sogar Bush hat gesagt, die Besatzung von 1967 muss ein Ende und wir die Sicherheit haben, dass unser Staat nicht wie ein Schweizer Käse aus unzusammenhängenden Kantonen besteht. Falls Israel nicht sofort den Ausbau jüdischer Siedlungen stoppt, wird es in elf Monaten kein Friedensabkommen geben. Der Ausbau jüdischer Siedlungen gefährdet die Fortsetzung der Friedensverhandlungen.

SZ: Sollen palästinensische Flüchtlinge finanziell entschädigt werden?

Fajad: Wir fordern eine faire und gemeinsame Entscheidung auf Grundlage der UN-Resolution 194. In ihr wird auch von Kompensation gesprochen...

SZ: ...aber auch davon, dass palästinensische Flüchtlinge das Recht erhalten sollen, an ihre Wohnorte nach Israel zurückkehren zu können...

Fajad: ...lassen Sie mich jetzt bitte nicht das Verhandlungsergebnis vorwegnehmen. Das Thema ist sehr sensibel.

SZ: Welche Lösung schlagen Sie für Jerusalem vor?

Fajad: Bush hat gesagt, die Besatzung soll beendet werden. Ost-Jerusalem, das ja auch seit dem Sechs-Tage-Krieg besetzt ist, soll unsere Hauptstadt sein.

SZ: Inklusive der Altstadt, in der sich die jüdische Klagemauer befindet?

Fajad: Inklusive der Altstadt.

SZ: Israel feiert im Mai den 60. Geburtstag des jüdischen Staates. Die Palästinenser kämpfen noch immer, um überhaupt einen Staat zu haben. Ist nur Israel daran schuld, dass dies so lange dauert?

Fajad: Wir haben sicher auch Fehler gemacht in der Vergangenheit. Aber wir leben seit Jahrzehnten unter Besatzung und unsere Möglichkeiten, frei zu handeln, sind extrem limitiert. Sicherlich müssen wir besser regieren. Wir müssen uns vorbereiten auf die Eigenstaatlichkeit, eine Verfassung erarbeiten, in Bildung und Sicherheit investieren.

SZ: Im Dezember wurden der Autonomiebehörde auf einer internationalen Geberkonferenz in Paris etwa fünf Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren zugesagt. Ist ein Teil des Geldes inzwischen eingetroffen?

Fajad: Gerade gestern hat Frankreich 24 Millionen Euro überwiesen, wir haben von den Arabischen Emiraten 42 Millionen US-Dollar und von Saudi-Arabien 30 Millionen US-Dollar erhalten.

SZ: Sie sind der Lieblingspalästinenser von Israel und den USA. Das ist nicht gerade ein Rezept für Popularität beim palästinensischen Volk.

Fajad: Ich verstehe die Natur Ihrer Frage, aber ich beschäftige mich nicht damit, ob ich auch unbeliebt bin. Ich will mich nicht dafür entschuldigen, dass ich über hervorragende Kontakte in die USA und nach Israel verfüge. Schließlich helfe ich meinem Volk damit.

SZ: Abbas hat mehrmals erklärt, er stehe nicht für eine zweite Amtszeit zur Verfügung. Werden Sie ihn beerben?

Fajad: Nein. Ich sage Ihnen klipp und klar, das ist mein letztes öffentliches Amt. Ich werde mich aus der Politik zurückziehen, sobald eine neue Regierung gewählt wird. Ich werde kein Ministeramt mehr bekleiden und auch nicht im Parlament als Abgeordneter sitzen oder eine Partei gründen. Nicht, dass ich keine Ambitionen habe, aber nicht für Positionen. Meine einzige Ambition und der Grund dafür, dass ich jetzt drei Ämter ausübe, besteht darin, meinem Volk Vorbild für aufrichtiges Regieren zu sein.

SZ: Wann und wo wird gewählt?

Fajad: Je früher, desto besser, im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Wenn wir schon morgen wählen lassen könnten, dann morgen! Das Volk soll abstimmen, für welchen Weg es sich entscheidet, für meinen oder für den der Hamas. Ich werde nicht mehr als Premier dabei sein, wenn wir Palästinenser unseren Staat erhalten. Aber ich kann einen Anstoß in diese Richtung geben. Für mich gibt es auch ein Leben nach der Politik.

Salam Fajad ist palästinensischer Regierungschef. Er hat in Beirut und Austin/Texas studiert und mehr als 20 Jahre in den USA gelebt, bei Weltbank und Weltwährungsfonds gearbeitet und ist für seine Effizienz und Unbestechlichkeit bekannt. Der 55-Jährige hat das von Vetternwirtschaft zerfressene Finanzwesen der Autonomiebehörde reformiert. Als er 2002 das Finanzministerium übernahm, sorgte er dafür, dass die Mitglieder der Sicherheitsdienste nicht mehr bar entlohnt werden. Nach der Machtübernahme der Hamas im Gaza-Streifen im Juni 2007 ernannte ihn Palästinenserpräsident Machmud Abbas vorübergehend zum Regierungschef. Fajad ist auch Außen- und Finanzminister der Notstandsregierung.

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