Gespräch mit Martin Schulz:"Ein explosives Gemisch"

Martin Schulz, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, über die Schwäche des EU-Ratsvorsitzenden Topolanek - und Gefahren für Europa.

Peter Lindner und Irene Helmes

Martin Schulz ist Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und Spitzenkandidat der SPD für die Europawahl.

Gespräch mit Martin Schulz: Martin Schulz, SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, hält den tschechischen EU-Ratspräsident Mirek Topolanek für eine "problematische Persönlichkeit".

Martin Schulz, SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, hält den tschechischen EU-Ratspräsident Mirek Topolanek für eine "problematische Persönlichkeit".

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Schulz, erst stürzt Mirek Topolanek über ein Misstrauensvotum, dann kritisierte er - wenige Tage vor dem EU-USA-Gipfel - Obamas Krisenpolitik als "Weg in die Hölle". Auf welchem Weg sehen Sie die EU mit diesem Ratspräsidenten?

Martin Schulz: Auf dem Weg in die Hölle sind wir hoffentlich nicht. Was aber zutrifft ist: Wir sind sicher auf keinem guten Weg. Nicolas Sarkozy hat im vergangenen Jahr während seiner Ratspräsidentschaft viel Falsches erzählt. In einem hatte er allerdings recht - und zwar als er sagte: Ihr werdet euch noch wundern, was nach uns kommt. Und tatsächlich ist Topolanek für uns eine problematische Persönlichkeit.

sueddeutsche.de: Inwiefern?

Schulz: In dreierlei Hinsicht. Er selbst vertritt als EU-Ratsvorsitzender eigentlich nicht den Konsens der Regierungschefs, sondern seine persönliche Meinung. Das ist außergewöhnlich. Zweitens: Topolanek ist im eigenen Lande geschwächt, in seiner eigenen Partei hochumstritten und mehr mit seinen Problemen in Prag beschäftigt als mit der EU. Dort agiert die zweite Garnitur.

Und drittens: Er hat diesen unsäglichen Staatspräsidenten Vaclav Klaus im Nacken, der alles tun will, um den Lissaboner Vertrag zu Fall zu bringen. Das alles stimmt mich besorgt.

sueddeutsche.de: Ihr Kollege, der Fraktionsvorsitzende der konservativen Europäischen Volkspartei, Joseph Daul, sieht nach dem Misstrauensvotum gegen Topolanek gar "die Stabilität Europas gefährdet".

Schulz: Wenn dieses Misstrauensvotum ein Signal dafür ist, dass der Lissabonner Vertrag im tschechischen Senat nicht ratifiziert wird, dann wäre diese Beschreibung richtig. Aber so weit sind wir noch nicht.

Ich hoffe sehr, dass der Vertrag noch abgesegnet wird. Man muss allerdings sehen: Die beiden Abgeordneten der regierenden Bürgerdemokraten ODS, die beim Misstrauensvotum gegen Topolanek gestimmt haben, sind auch gegen den Lissabonner Vertrag. Hier entsteht also ein explosives Gemisch, das zur Destabilisierung Europas führen könnte.

sueddeutsche.de: Besorgt dürfte es die Bürger in Europa auch stimmen, dass gerade in dieser Phase, in der noch dazu die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zu bewältigen ist, die EU mit Topolanek von einem Ratspräsidenten auf Abruf geführt wird. Kann sich die EU so ein Führungsproblem derzeit überhaupt leisten?

Schulz: Normalerweise steht der Vorsitzende des Rates gar nicht so sehr im Mittelpunkt. Er repräsentiert zwar nach außen, aber die anderen 26 Staats- und Regierungschefs sind auch noch da - genauso die EU-Kommission und das Parlament. Es wird ja weiterhin gehandelt.

Das Problem ist etwas anderes: Eine politisch wenig gefestigte Persönlichkeit hat nicht die Zeit, die man aufbringen muss, um seine Aufgaben bei der EU bestmöglich zu erfüllen. In ruhigeren Zeiten würde das nicht auffallen - aber im Moment kann sich die EU tatsächlich ein Führungsproblem nicht leisten.

sueddeutsche.de: Es gibt Forderungen, den Tschechen die Ratspräsidentschaft zu entziehen und stattdessen Frankreich und Schweden vorübergehend mit der Führung zu betrauen - also Vorgänger und Nachfolger Prags in dieser Position. Was halten Sie davon?

Schulz: Das ist eine Schnapsidee. Es handelt sich schließlich um eine institutionelle Frage. Es ist ja nicht die Person Mirek Topolanek, sondern die Tschechische Republik, die im turnusmäßigen Wechsel den Vorsitz führt. Und man kann nicht die Tschechische Republik aus dem Vorsitz drängen.

Das Problem ist derzeit vielmehr: Topolanek versteht seine Rolle falsch. Wie alle seine Vorgänger hat sich zum Beispiel auch Sarkozy, der nicht gerade unter Minderwertigkeitskomplexen leidet, als Vertreter der Ratspräsidentschaft Frankreich gesehen und nicht als Staatspräsident von Europa.

Topolanek dagegen versteht den Vorsitz als persönliche Angelegenheit. Anders sind die Attacken gegen Obama nicht zu erklären. Hier wurde deutlich: Es ist ein Verbündeter Bushs, der spricht.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Schulz die Ratspräsidentschaft der Tschechen insgesamt bewertet - und was er sich vom EU-USA-Gipfel am Wochenende erwartet.

Schulz' Erwartungen an den Obama-Besuch

sueddeutsche.de: Wie bewerten Sie die bisherige tschechische Ratspräsidentschaft insgesamt?

Schulz: Ich halte sie für die schlechteste Präsidentschaft, die ich seit meiner Mitgliedschaft im Europäischen Parlament - und das sind immerhin 15 Jahre - gesehen habe. Aber, bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Die Tschechische Republik ist ein großartiges Land und hat in den vergangenen zehn Jahren, und erst recht seit ihrer EU-Mitgliedschaft, Enormes geleistet. Aber leider wird das Land derzeit schlecht regiert.

sueddeutsche.de: Am Wochenende kommt Barack Obama zum EU-USA-Gipfel nach Tschechien. Was erwarten Sie sich von diesem Treffen?

Schulz: Zuallererst ist festzustellen: Die Obamania ist vorbei. Jetzt muss Barack Obama in die Alltagspolitik eintreten. Und hier sieht man erstmals, dass auch Obama Grenzen hat. Gleichzeitig ist es für uns natürlich eine einmalige Chance, mit einer demokratischen US-Regierung zusammenzuarbeiten, die in allen Bereichen auf globale Kooperation abzielt und unsere Grundwerte teilt ...

sueddeutsche.de: ... anders als die Regierung Bush.

Schulz: Richtig. Die Bush-Regierung hatte keinen einzigen Wert mit uns gemeinsam. Genau das wird auch beim Gipfel zum Ausdruck kommen: Wir haben eine Fülle von Problemen, aber auch einen gemeinsamen Wertekanon. Der wiederum versetzt uns in die Lage, Lösungen zu erarbeiten - das ist eine große Chance ...

sueddeutsche.de: ... die schnell vertan ist, wenn die EU nicht geschlossen auftritt.

Schulz: Ich glaube, die Zusammenarbeit mit den USA wird funktionieren. Sofern sich Topolanek künftig auf seine Hauptaufgaben konzentriert.

sueddeutsche.de: In wenigen Wochen ist Europawahl. Wie wollen Sie den Bürgern das Durcheinander an der Spitze der EU erklären?

Schulz: Bei der Europawahl werden die Abgeordneten des Parlaments gewählt. Und es gibt im Europäischen Parlament auch Leute, die einem Herrn Topolanek sagen, was sie von ihm und seinem Durcheinander halten - ich bin einer von ihnen. Wer also will, dass solche Leute gestärkt werden, geht im Juni zur Wahl.

sueddeutsche.de: 2004 waren das nicht allzuviele: Nur 46 Prozent der EU-Bürger und lediglich 33 Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren beteiligten sich an der Europawahl.

Schulz: Ich glaube, dass sich viele Kommunalwahlkämpfer über 46 Prozent Beteiligung freuen würden. In Kiel hatten wir im März 36 Prozent, bei der Oberbürgermeisterwahl in Düsseldorf 33 Prozent Wahlbeteiligung. Ich sage das nicht, um die Beteiligung bei der Europawahl schönzureden, aber es ist kein Europa-Spezifikum.

sueddeutsche.de: Aber was wollen Sie dagegen tun?

Schulz: Menschen wollen Programme mit Personen verbinden. Deshalb setzen alle Parteien in diesem Wahlkampf besonders auf Personalisierung. Die SPD mit mir als Spitzenkandidaten. Es geht auch um die Frage, wer Deutschland in der EU-Kommission vertreten soll, ich oder irgendein entsorgter Landespolitiker der CDU oder CSU? Das wird nicht die Riesenwelle auslösen.

Aber ich bin sicher, dass wir diesmal eine höhere Beteiligung bekommen - auch deshalb, weil der Wert Europas sichtbarer geworden ist durch die Krise. Die Leute spüren, dass viele Konflikte nicht national regelbar sind - und dass Europa in der Lage ist, die Probleme in den Griff zu kriegen.

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