Gesinnungswandel in der Kirche:Gott will keinen Krieg

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Unterstützung für den Ersten Weltkrieg: Gottesdienst der Berliner Jugendkompagnien im Jahr 1915 (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

1914 riefen auch die Kirchen zum "gerechten Krieg" auf. Doch im Drohnen-Zeitalter kann niemand mehr Gewalt als Werkzeug Gottes sehen. Was heißt das für die Forderung von Bundespräsident Gauck nach mehr Auslandseinsätzen der Bundeswehr?

Ein Gastbeitrag von Margot Käßmann

Am 2. August 1914 spricht der Berliner Hof- und Domprediger Bruno Doehring von den Stufen des Reichstags zu einer großen Volksmenge in einem improvisierten Gottesdienst: "Ja, wenn wir nicht das Recht und das gute Gewissen auf unserer Seite hätten, wenn wir nicht - ich möchte fast sagen handgreiflich - die Nähe Gottes empfänden, der unsere Fahnen entrollt und unserm Kaiser das Schwert zum Kreuzzug, zum heiligen Krieg in die Hand drückt, dann müssten wir zittern und zagen. Nun aber geben wir die trutzig kühne Antwort, die deutscheste von allen deutschen: Wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt!"

Bei solcher Predigt graust es uns hundert Jahre später. Hier haben Menschen Ideologie und Zeitgeist mehr gehorcht als Gott. Auf allen Seiten waren die Kirchen Europas Teil eines national verblendeten Getöses.

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Doch es gab Ausnahmen. So sandte der schwedische Erzbischof Nathan Söderblom im September 1914 von Uppsala aus einen Friedensaufruf an die Kirchenverantwortlichen Europas. Deren Reaktionen allerdings sind aus heutiger Sicht beschämend. Deutschen, französischen und britischen Kirchenleitern war die Verbundenheit zur Nation wichtiger als die christliche Friedensbotschaft.

Gott sei Dank haben wir seitdem gelernt. Vor hundert Jahren war der deutsche Protestantismus dem Kaiser als Oberhaupt der Kirche engstens verbunden; Kirchenmitglieder wie Kirchenleitungen lehnten mehrheitlich die Weimarer Republik vehement ab und bejahten dann den Nationalsozialismus. Inzwischen sind wir froh über die Trennung von Staat und Kirche und die jeweilige Freiheit, die das bringt.

Kriegsaufrufe - nicht mehr von Europas Kirchen

Der Protestantismus heute bejaht die Demokratie mit Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Religionsfreiheit. Die Evangelische Kirche spricht nicht mehr von "gerechtem Krieg", sondern allein von "gerechtem Frieden". Das ist keine Phrase, sondern das Ergebnis vieler durchlittener Erfahrungen.

Wir haben gelernt, dass es auch gilt, widerständig zu sein. Zum einen von jenen, die aus Glaubens- und Gewissensgründen Widerstand gegen die Nationalsozialisten geleistet haben, als unsere Kirche mehrheitlich versagt hat und sich nicht schützend vor die verfolgten Juden, Sinti und Roma, Kommunisten und Homosexuellen stellte. Und von denen, die in der DDR die Türen weit aufgemacht haben für freie Rede, Auseinandersetzung und Kritik auch am Staat und so eine friedliche Revolution möglich gemacht haben. Diesen Erfahrungsschatz gilt es nun zu nutzen für eine glaubwürdige Haltung in unserer Zeit. Da sind die reformatorischen Kirchen in aktuellen Fragen gefordert.

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Gerade im gegenwärtigen Ukraine-Konflikt ist es wichtig, die Stimme des Friedens hörbar zu machen - gegenüber Wladimir Putin, aber auch gegenüber allen, die jetzt Russland als Feind sehen wollen. Ausgerechnet 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, 25 Jahre nach dem Fall der Mauer herrscht in Europa mancherorts wieder Kriegsangst.

Anders als 1914 rufen Europas Kirchen nicht mehr zum Krieg auf. Sie sehen es als ihre Aufgabe, gegen die Abgrenzungen und Anfeindungen die Friedensbotschaft Jesu zu setzen, einzutreten für Interessensausgleich und Verhandlungslösungen. Das aber müssen sie auch vernehmbar tun.

Die Stimme der europäischen Kirchen inklusive der russisch-orthodoxen sollte viel stärker hörbar sein. Geschieht das nicht, bleibt die Frage: Was sind jene Dialoge wert, die wir über Jahrzehnte geführt haben? Was haben sie gebracht, wenn nun die Kraft fehlt, die vermeintlich erreichte Gemeinsamkeit auch erfahrbar zu machen über nationale und konfessionelle Grenzen hinweg?

In den evangelischen Kirchen in aller Welt bereiten wir uns vor auf das 500-jährige Jubiläum des Beginns der Reformation im Jahr 2017. Es ist verblüffend, wie aktuell viele Fragestellungen der Reformation heute sind. Wie verhalten sich staatliche Obrigkeit und Kirche zueinander? Können Soldaten "christlichen Standes" sein? Haben die Fürsten das Recht, aufständische Bauern niederzumetzeln?

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Kinder, traumatisiert fürs Leben

Das hat auch 25 Jahre nach der friedlichen Revolution seine Gültigkeit nicht verloren. So ist gut, dass Pfarrerinnen und Pfarrer kritisch fragen, ob sich Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Forderung nach mehr Auslandseinsätzen der Bundeswehr noch in dieser Tradition sieht.

Soldaten können ihr Amt ausüben um des Friedens willen - das war die Überzeugung Martin Luthers, das ist die Überzeugung der Evangelischen Kirche in Deutschland. Doch im Zeitalter von Drohnen und Massenvernichtungswaffen kann niemand mehr Krieg als ein Werkzeug Gottes sehen.

Der Kriegstaumel von Sunniten und Schiiten im Irak, die jeweils zum angeblich heiligen Krieg aufrufen, erinnert erschreckend an den dreißigjährigen Krieg in Europa und an das "Gott mit uns" auf den Koppeln der Soldaten 1914. Wieder wird der Name Gottes missbraucht. Die blutigen Schlachtfelder von Verdun liegen heute im Zweistromland oder in Zentralafrika.

Und immer leiden zuerst die Kinder und werden traumatisiert fürs Leben. Der Krieg zerstört nicht nur Städte und verwüstet Felder. Er prägt die Kinder, Enkel und Urenkel der Täter und der Opfer.

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Wir beklagen die Kriege und Bürgerkriege, wir sind schockiert über die Bilder aus Syrien - aber wir verdienen daran. Die deutschen Rüstungsexporte bleiben ein Skandal. Die evangelische und die katholische Kirche machen dies alljährlich zum Thema. Nur: Wir sollten das noch wesentlich deutlicher tun. Deutschland mit seiner eigenen Kriegsgeschichte muss sich in der Welt keinen Namen machen mit der Lieferung besonders wirksamer Waffen.

Gewalt und Krieg können nicht mit Gott legitimiert werden, das haben die reformatorischen Kirchen schmerzhaft gelernt. Religion darf sich nicht missbrauchen lassen, um Öl in das Feuer ethnischer, religiöser, nationaler oder wirtschaftlicher Konflikte zu gießen. Zum Frieden zu rufen, ist ihre Aufgabe.

Die Reformatoren wollten einen freien Glauben, in dem Menschen selbst lesen, frei denken, Fragen stellen und das eigene Gewissen schärfen können. Es braucht den gebildeten, selbstkritischen Glauben, um jeder Form von Fundamentalismus zu widerstehen und den Verlockungen von Hass und Gewalt. Das können wir weitergeben aus bitterer Erfahrung: Krieg kann nicht gerecht sein.

Margot Käßmann, 56, war Bischöfin der lutherischen Landeskirche Hannover und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Seit 2012 ist sie Botschafterin ihrer Kirche für "500 Jahre Reformation", dem Jubiläum 2017.

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Warum der Erste Weltkrieg heute wieder ein Thema ist: Ein Kommentar von SZ-Autor Joachim Käppner

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Der Wille zum Angriff: Wie Deutschland 1914 den Krieg plante. Essay des Historikers John C.G. Röhl

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© SZ vom 02.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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