Gesellschaftskritik:Antwort aus den Anden

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Alberto Acosta präsentiert sein Rezept wider den westlichen Wohlstandsbegriff. Es geht darum mit dem zufrieden zu sein, was man hat.

Von Sebastian Schoepp

Die westliche Moderne ist auf dem Prinzip des ständigen Anhäufens von Gütern aufgebaut. Stockt dieser Prozess, funktioniert das ganze Konstrukt nicht mehr - so wie in den 1980er-Jahren, als in der westlichen Welt die materiellen Grundbedürfnisse nach Haus, Auto, Waschmaschine allmählich gestillt waren, und das Dogma von der ständigen Gütervermehrung an seine Grenze stieß. Der Fall der Berliner Mauer und vor allem die massenhafte Einführung der Computertechnologie haben die kapitalistische Moderne noch mal gerettet, weil sie neue Nachfrage schufen.

Doch wie lange reichen die Ressourcen dafür noch, was hält unser Planet, was halten wir aus im täglichen Kumulationsprozess? Diese Frage stellen sich immer mehr Menschen, eine mögliche Antwort kommt ausgerechnet aus den Anden. Dort herrscht ein anderes Verständnis von Fortschritt, das Zeitempfinden ist nicht linear, sondern zyklisch, qualitativer Zuwachs wird als ein Zuwachs an Gemeinschaft und nicht an Waren definiert. So jedenfalls stellt es Alberto Acosta in seinem Buch über das "Buen Vivir" dar, das Gute Leben nach andinem Verständnis.

Acosta war Präsident der Verfassungsgebenden Versammlung in Ecuador, war dort verantwortlich für die Aufnahme von Mutter Natur, der pachmama, als rechtliches Subjekt in die Verfassung - und er wollte einen Nationalpark vor der Ölausbeutung retten, wenn die Weltgemeinschaft dem armen Land einen Ausgleich für die entgangenen Einnahmen garantierte. Das scheiterte, doch Acosta hat den Kampf um das Gute Leben nicht aufgegeben. Es ist für ihn der Gegenpol zum Prinzip vom Besseren Leben, auf dem die westliche Moderne ihren Wohlstand aufgebaut hat - auf der Annahme, dass das Morgen immer mehr bieten muss als das Heute.

Das ist in den Anden anders, dort ist man geneigt, sich mit dem zufriedenzugeben, was man hat. Das Sumak Kawsay, wie das Gute Leben auf Quechua heißt, ist eine "Ethik der Suffizienz für die gesamte Gemeinschaft und nicht nur für Einzelpersonen", schreibt Acosta. Das Gute Leben sei dort die Alternative zum Dogma des "grenzenlosen materiellen Fortschritts im Sinne einer permanenten Güteranhäufung, die uns ständig in Konkurrenzsituation mit den anderen Menschen bringt und soziale Gefährdung und Umweltzerstörung nach sich zieht".

Acosta ist ein welterfahrener Realpolitiker, kein Esoteriker, er weiß genau, dass die Lebensweise in andinen Lehmhütten nur sehr begrenzt als Vorbild für europäische oder nordamerikanische Industrieländer taugt. Trotzdem gibt er mit seinem Buch einen wertvollen Denkanstoß für die Momente im Leben, in denen man sich fragt, ob es wirklich morgen wieder mal ein bisschen mehr sein muss.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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