Gesellschaft:Ihr von morgen

Zwei Drittel der Erwachsenen trauen den Jüngeren zu, die Demokratie zu verteidigen. Dem Präsidenten des Deutschen Kinderhilfswerks sind das bei weitem zu wenige.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die Demokratie "kann man keiner Gesellschaft aufzwingen. Sie muss täglich erkämpft und verteidigt werden". Das hat einmal Heinz Galinski gesagt, der frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Diese Aufgabe wird über kurz oder lang der jüngeren Generation zufallen. Aber trauen dies die Älteren den jungen Menschen überhaupt zu?

Das Deutsche Kinderhilfswerk wollte es genau wissen und gab eine repräsentative Umfrage bei Infratest Dimap in Auftrag. Das Ergebnis kann man positiv oder negativ interpretieren: Danach trauen 64 Prozent der mehr als 1000 interviewten Erwachsenen den Kindern und Jugendlichen zu, später die Verantwortung für den Erhalt der Demokratie zu übernehmen. Andererseits zweifelt ein Drittel der Befragten an der Demokratiekompetenz der Jugend. Dies geht aus dem "Kinderreport Deutschland 2017" hervor, den das Kinderhilfswerk in Berlin vorgestellt hat.

Danach ist das Misstrauen in Bezug auf die jüngere Generation bei eher ärmeren Bürgern mit einem Einkommen von unter 1500 Euro besonders ausgeprägt. Hier zeigten sich 43 Prozent pessimistisch, in den eher wohlhabenden Haushalten äußerten sich mehr als zwei Drittel der Befragten optimistisch. Auffällig ist auch, dass die 18- bis 29-Jährigen besonders skeptisch sind, was den Einsatz der noch Jüngeren für die Demokratie angeht. 40 Prozent senkten hier laut der Umfrage den Daumen nach unten. In dem Kinderreport heißt es dazu: "Jugendliche, die nicht erfahren, dass ihre Meinung in der Politik zählt und wahrgenommen wird, haben auch als Erwachsene wenig Vertrauen darin, dass es nachfolgenden Generationen anders ergehen wird, und sind somit demokratischen Prozessen gegenüber kritisch eingestellt."

Der Schulunterricht soll "nicht nur dem Homo oeconomicus dienen", heißt es

Der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, nannte es "besorgniserregend", dass bereits ein Drittel der Bundesbürger den heutigen Kindern und Jugendlichen so wenig Demokratiekompetenz zutrauten. Darin spiegele sich der eigene fehlende Glaube an die Demokratie wider, der auf die Kinder und Jugendlichen übertragen werde. Dies belegen indirekt auch die Umfrageergebnisse: So vertrauen Anhänger der radikaleren Parteien - der Linken und der AfD - der jungen Generation am wenigsten. Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann sieht das Ergebnis der Umfrage jedoch weniger negativ. "Es ist überraschend, dass das Vertrauen in die Jugend so groß ist. Ich hätte das positiv bewertet", sagte er der Deutschen Presseagentur.

Krüger, der hauptamtlich Chef der Bundeszentrale für politische Bildung ist, sprach sich dafür aus, die politische Kompetenz von Kindern und Jugendlichen stärker zu fördern. Dazu wird in dem Report angemerkt: In den vergangenen Jahren "mussten die geisteswissenschaftlichen Fächer immer mehr zugunsten der sogenannten Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) weichen, die als konkurrenzfähiger und vielversprechender für das Arbeitsleben angesehen werden." Gesellschaftskunde sei aber "kein Gedöns".

Krüger appellierte an die Kulturminister, den Fächern Geschichte, Sozialkunde, Politik wieder einen größeren Platz auf dem Stundenplan einzuräumen. Der Unterricht in den Schulen "dürfe nicht nur dem Homo oeconomicus dienen". Um den Wert der Demokratie jungen Menschen nahezubringen, müssten auch die Bildungsausgaben höher ausfallen. Deutschland liegt hier mit seinen Ausgaben nach wie vor unter dem Durchschnitt des IndustriestaatenBunds OECD.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: