Geschlechterdebatte in der Netzpartei:Piratinnen drängen an die Macht

"Jung, technikaffin, männlich" war gestern. Bei den Piraten bewerben sich immer mehr Frauen für Posten in der ersten Reihe. Zwei bekannte Netzaktivistinnen wollen nun in den Bundestag - zum Verdruss vieler altgedienter Männer.

Hannah Beitzer

Sie sind seit langem im Netz aktiv, haben eine Botschaft - und keine Scheu, das auch zu sagen: In den vergangenen Tagen haben zwei Frauen erklärt, für die Piratenpartei als Spitzenkandidatinnen einer Landesliste in den Bundestagswahlkampf ziehen zu wollen. Zum einen ist da Anke Domscheit-Berg, Unternehmensgründerin und Beraterin, die sich für Transparenz in der Politik, Open-Data-Projekte und Netzneutralität einsetzt.

Anke Domscheit-Berg

Anke Domscheit-Berg möchte für den Bundestag kandidieren.

(Foto: dpa)

Zum anderen Julia Probst, eine gehörlose Bloggerin, die über die Situation behinderter Menschen in Deutschland schreibt und der auf Twitter unter @EinAugenschmaus mehr als 20.000 Menschen folgen. Spätestens seit sie bei der Fußball-EM von Jogi Löws Lippen ablas, gilt sie als Botschafterin in Sachen Inklusion - ein Thema, das auch die Piraten beschäftigt.

Eigentlich können die Piraten ein paar Frontfrauen dringend gebrauchen. Sie werden oft als thematisch eindimensionaler Männerverein wahrgenommen und gelten in Genderfragen bestenfalls als gnadenlos naiv. Und tatsächlich freuten sich die meisten Parteifreunde öffentlich über die Kandidaturen. Doch beileibe nicht alle sind begeistert. Denn beide Frauen sind erst vor kurzem der Partei beigetreten: Domscheit-Berg, die unter @anked twittert, im Mai, die Bloggerin Probst im Juli 2012.

"Drei Monate bei den Piraten und schon will @anked in den Bundestag. Mir schmerzt die Stirn vor lauter Facepalm", schreibt ein empörter Pirat, von "Postengeilheit" ist die Rede. Moderater fallen die Reaktionen bei Julia Probst aus, doch auch hier gibt es Stimmen wie diese: "Ich hoffe, wir scheitern bei der Bundestagswahl an der 5-%-Hürde. Gibt momentan echt zu viele Karrieristen bei den Neuen."

Die Etablierten sind größtenteils Männer

Die Piraten stehen damit vor einem Konflikt, wie man ihn auch in vielen Wirtschaftsunternehmen beobachten kann. Einerseits haben viele Männer erkannt, dass sie mehr Frauen in der ersten Reihe benötigen. Schließlich gehören Chancengleichheit und Offenheit zu den großen Themen der Piraten - da kommt es schlecht an, wenn die eine Hälfte der Menschheit sich von der Partei nicht repräsentiert sieht.

Auf der anderen Seite aber gibt es in jeder Organisation etablierte Strukturen und Netzwerke, die Neulinge misstrauisch beäugen. Häufig sind diese Netzwerke männlich geprägt. Der Konflikt liegt auf der Hand: Für jede Frau, die auf einen Spitzenposten kommt, muss ein Mann, der nach den Regeln des Netzwerks eigentlich der nächste Anwärter wäre, darauf verzichten.

So ist das auch bei der Piratenpartei: Seitdem die Partei den Einzug in mehrere Länderparlamente geschafft hat, steigen die Mitgliederzahlen. Nicht wenige langjährige Mitglieder begegnen den zahlreichen "Neupiraten" der vergangenen Monate mit Argwohn: Sind das echte Piraten? Verfolgen sie unsere Ziele? Oder sind sie nur dabei, um sich die besten Posten zu sichern?

"Ich habe mit den kritischen Stimmen gerechnet"

Die Neupiraten hingegen sind empört über das Misstrauen, das ihnen entgegenschlägt. Schließlich nehmen die Piraten für sich in Anspruch, keine typische "Ochsentourpartei" zu sein. Sondern eine, in der jeder mitmachen kann - unabhängig von Alter, Herkunft, Erfahrung.

Der Konflikt zwischen Alt- und Neupiraten betrifft Frauen besonders, glaubt Anke Domscheit-Berg: "Wenn Frauen das Signal bekommen, nur altgediente Piraten, - und das sind dann zu 95 Prozent Männer - haben Chancen, dann ist das ein Problem." Julia Probst stimmt ihrer Parteifreundin zu: "Ich habe mit den kritischen Stimmen gerechnet", sagt sie im Gespräch mit Süddeutsche.de. Generell hätten aber die positiven Reaktionen überwogen.

Doch auch abseits der Frage nach der Dauer der Parteizugehörigkeit ist es für Frauen nicht leicht, für einen Spitzenposten zu kandidieren, glaubt Domscheit-Berg - nicht nur bei den Piraten."Wenn ich als Frau im Hintergrund bleibe, dann heißt es: Die ist so unauffällig, die ist selbst schuld, wenn sie keiner sieht und wahrscheinlich will sie das ja auch lieber so", sagt sie im Gespräch, "und wenn eine Frau selbstbewusst sagt, dass sie sich was zutraut, dann heißt es schnell: Das ist eine Karrieristin oder die ist mediengeil."

"Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen"

Auch Julia Probst kennt ähnliche Reaktionen - wenn auch weniger von den Piraten, sondern aus ihrer Tätigkeit als Bloggerin. Probst setzt sich in ihren Texten für Inklusion ein und macht Diskriminierung öffentlich - und wird als selbstbewusste Frau, die zudem gehörlos ist, gleich doppelt bestaunt. "Da kriegt man schon manchmal zu hören, dass man nicht brav genug sei. Das Bild von Menschen mit Behinderung ist etwas verzerrt: Behinderte sollen froh sein mit dem, was sie haben", erzählt die Piratin.

Für beide Politikerinnen ist das aber kein Grund zur Zurückhaltung - im Gegenteil. Zum klassisch weiblichen Stereotyp der ausgleichenden, harmoniebedürftigen, zurückhaltenden Frau passe schlicht kein Spitzenposten, meint Anke Domscheit-Berg: "Wenn eine Frau einen Spitzenposten will, verletzt sie zwangsläufig gesellschaftliche Stereotype." Sie schreibt zu ihrer Aufstellung auf der parteiinternen Plattform Piratenwiki: "Wir kommen (wenn alles gut geht) zum ersten Mal in den Bundestag und da sollten wir alles richtig machen und die Besten ins Rennen schicken." Zu denen zählt sie sich: "Ich kann gut reden und argumentieren und traue mir auch zu, Abgeordnete aus anderen Parteien von meinen Ideen zu überzeugen."

Die Ziele der Piratinnen

Was die Positionen angeht, liegen beide Frauen ganz auf Parteilinie. Domscheit-Berg möchte Parlament und Regierung transparenter machen: Jeder Abgeordnete soll jeden Cent, den er neben seiner Diät erhält, öffentlich machen müssen, alle Aufträge der öffentlichen Hand, die 10.000 Euro übersteigen, ebenfalls.

Julia Probst hat sich zum Ziel gesetzt, "als erstes zu feiern, dass mit meinem Einzug, falls wir es tatsächlich geschafft hätten, die Debatten aus dem Bundestag mit Gebärdensprachdolmetscher im Fernsehen gezeigt werden müssen." Aber auch für Umweltschutz, Familienpolitik und soziale Gerechtigkeit will sie sich einsetzen. Wie viele Piraten befürwortet sie das bedingungslose Grundeinkommen.

Für diese Programmpunkte erhalten die beiden Frauen viel Unterstützung aus der Partei. "Interessant ist ja, dass kein einziger meiner Kritiker sagt, dass er inhaltliche Zweifel an mir hat", sagt Domscheit-Berg, "es geht immer nur um die Dauer der Parteizugehörigkeit und um den Vorwurf, ich sei eine Karrieristin". Allein der Umstand, dass Medien über ihre Kandidatur berichtet hätten, habe sie schon mit einem Makel behaftet.

"Das ist heute eine ganz andere Partei"

Dennoch sei der Wirbel um ihre Kandidatur auch zu etwas gut gewesen. "Viele Frauen haben mir geschrieben, dass ich sie ermutigt habe", sagt sie. Und sie findet es auch wichtig, dass andere Frauen sehen, mit welchen Reaktionen sie eventuell zu rechnen haben. "Widerstände sind so oder so da. Aber es macht schon einen Unterschied, ob ich mich darauf vorbereiten kann, auf sie zu stoßen oder ob ich völlig überraschend damit konfrontiert werde."

Bei den Piraten habe ohnehin in den vergangenen Monaten in Genderfragen ein beeindruckender Bewusstseinswandel stattgefunden - "das ist heute eine ganz andere Partei als vor acht Monaten". Und so glaubt Domscheit-Berg inzwischen daran, dass die Piraten tatsächlich die erste Partei werden könnte, die auch ohne Quote einen angemessenen Frauenanteil erreichen kann - und auch muss, wenn sie als selbsterklärte Fortschrittspartei ernst genommen werden will.

Auch bei den Männern scheint sich diese Denkweise allmählich durchzusetzen. "Wir haben zu wenig Frauen. Aber tritt eine Frau neu ein, so soll sie erst drei Jahre putzen, kochen und arbeiten, bevor sie kandidiert", empört sich ein Pirat. Um daraufhin Kurt Tucholsky zu zitieren: "Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen."

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