Geschichte:Vorwärts in die Vergangenheit

Immer mehr Deutsche spielen historische Schlachten nach, in England und den USA ist das schon lange ein beliebtes Hobby. Nur bei den Kriegen des 20. Jahrhunderts sind Menschen hierzulande zurückhaltend.

Von Joachim Käppner

Die Invasion fand ohne Gegner statt. Mit Jeeps und Landungsbooten stürmte schwerbewaffnete Infanterie die Strände der Normandie, aber es waren keine deutschen Verteidiger zu sehen. Als Antony Beevor, einer der bekanntesten britischen Historiker, 2014 die Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des D-Day besuchte, des alliierten Großangriffs auf Hitlers "Festung Europa", betrachtete er nachgespielte Szenen: "Viele dieser Enthusiasten waren Franzosen, Belgier, Niederländer und auch Deutsche - deutsche Uniformen konnte ich allerdings nicht erkennen." Denn die Deutschen, 1944 unbestreitbar die bad guys, wollte keiner spielen - schon gar nicht Deutsche selbst.

In den angelsächsischen Staaten ist das Nachstellen historischer Schlachten schon lange ein Volkssport. In der Bundesrepublik kommen Historienspektakel jetzt auch in Mode - mit Ausnahme der jüngeren Geschichte. Nach zwei Weltkriegen, Holocaust und Vernichtungskrieg fühlt sich glücklicherweise kaum jemand berufen, in Wehrmachtsuniform Hitlers Feldzüge nachzuspielen. Anders sieht es mit lange zurückliegenden Ereignissen aus - etwa der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt, wo Napoleon am 14. Oktober 1806 die Preußen vernichtend schlug. Zum 210. Jahrestag erwarten die Organisatoren vom Verein "Jena 1806" von diesem Freitag an wieder Tausende Besucher und 700 Darsteller in originalgetreuer Montur.

Werner Meister, dem Vorsitzenden des ebenfalls beteiligten Heimat- und Traditionsvereins Auerstedt, ist es wichtig, dass es nicht um Kriegspielen gehe, sondern um die lebendige Vermittlung von Geschichte: "Dazu gehören natürlich auch Gefechte." Das gefällt nicht jedem, Leute haben ihm schon gesagt: "Da ziehen die alten Knacker wieder Uniformen an und wollen den Krieg verharmlosen." Dagegen hält er sein Motto: "Die Geschichte erforschen, sie in die Gegenwart stellen und mit ihr für die Zukunft mahnen." Er freut sich daher, dass so viele Darsteller aus Frankreich kommen.

In den USA sind der Zweite Weltkrieg und der Amerikanische Bürgerkrieg (1861 bis 1865) die beliebtesten Themen; darin spiegelt sich die Überzeugung vom good war, also für die richtige Sache gekämpft zu haben. In Deutschland geht es mehr um Unterhaltung, Didaktik - und Spaß. Ein Teilnehmer namens Markus aus Jena berichtete, warum er so gern teilnimmt an der Inszenierung der Schlacht von 1806: "Morgens um fünf mit den Freunden vor dem Zelt unser Frühstück einzunehmen, während der Nebel über die Wiesen kriecht - ein großartiges Gefühl, der Zeit entrückt zu sein." Deshalb gibt es so viele Ritterspiele, Umzüge oder Historienfeste. Für die Teilnehmer ist der Reiz besonders, in die Welten von damals einzutauchen, bei Lärm und Stress eine Muskete nachzuladen oder die viele Kilo schwere Rüstung eines Legionärs anzulegen.

Laut "Jena 1806" erhalten die Besucher aber auch Einblicke in das schwere Leben der Soldaten von damals und deren elende medizinische Versorgung. Bei der Schlacht von 1806 starben Zehntausende oder wurden zu Krüppeln. Kein Historienspiel kann davon mehr als eine ferne Ahnung vermitteln. Am Sonntag will der Verein für die Toten einen Kranz niederlegen.

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