Gerüchte um Polonium-Vergiftung:Arafats Zahnbürste erhärtet den Mordverdacht

War es Aids, ein unbekanntes Gift oder doch eine schnöde Lebensmittelvergiftung? Um den Tod von Jassir Arafat ranken sich Mythen. Dass Schweizer Forscher nun Spuren von Polonium auf seinen Hinterlassenschaften gefunden haben, passt für viele Palästinenser ins Bild.

Hannah Beitzer

Der Palästinenserführer ist seit 2004 tot. Aber erst jetzt, acht Jahre später, sollen seine Haare, seine Zahnbürste, Urinspuren auf seiner Unterwäsche und ein Blutfleck auf einer OP-Haube das Rätsel lösen: Woran starb Jassir Arafat?

An einer Vergiftung mit Polonium. Das ist zumindest die neueste Theorie, vertreten vom arabischen Nachrichtensender al-Dschasira, der sich auf Erkenntnisse der Universität Lausanne beruft. Schweizer Wissenschaftler haben demnach auf den Hinterlassenschaften Arafats, die der Witwe nach dessen Tod übergeben wurden, eine erhebliche Konzentration der radioaktiven Substanz gefunden, die schon den ehemaligen russischen Spion Alexander Litwinenko das Leben kostete. (Was Polonium ist und wie es wirkt, wird hier erklärt.) Warum die Wäsche erst jetzt auf radioaktive Stoffe untersucht wurde, blieb unklar.

Die gemessenen Konzentrationen an Polonium seien "viel höher als erwartet", sagte der Leiter des Instituts für Strahlenphysik an der Universität von Lausanne, François Bochud. Der radioaktive Stoff sei nur "Leuten zugänglich, die sich für Atomwaffen interessieren oder sie bauen".

Überraschend schnell verschlechtert

Wurde Arafat also ermordet? So weit wollen die Forscher nicht gehen. Das Institut in Lausanne erklärte, eine abschließende Beurteilung der Todesursache sei nur durch eine Untersuchung der sterblichen Überreste Arafats möglich. Die strebt Arafats Witwe Suha nun an. Es gehe schließlich darum, ein Verbrechen aufzuklären.

Dass ihr Führer keines natürlichen Todes gestorben sein kann, ist für viele Palästinenser klar. Sie vermuten den Erzfeind Israel hinter der Attacke. Arafats Gesundheitszustand hatte sich im Oktober 2004 in seinem von der israelischen Armee belagerten Hauptquartier in Ramallah überraschend schnell verschlechtert. Der Palästinenserpräsident war in ein französisches Militärkrankenhaus ausgeflogen worden, wo er zunächst ins Koma fiel und schließlich am 11. November 2004 starb.

Arafat, zum Zeitpunkt seines Todes 75 Jahre alt, soll schon länger an chronischen Krankheiten gelitten und Medikamente genommen haben. Zwar habe er nie öffentlich seine Medizin genommen und sogar vor Freunden stets versucht, seine Krankheiten zu verbergen, berichtet etwa die US-amerikanische Zeitschrift The Atlantic. Aber jeder habe gewusst, dass er nicht vollkommen gesund sei.

Weder Leber- noch Nierenschäden

Doch der Grund für seinen plötzlichen Tod ließ sich aus seiner Krankenakte nicht ableiten. Als unmittelbare Ursache nannten die Ärzte des Krankenhauses eine "massive Hirnblutung". Dennoch sei es "unmöglich, einen Grund auszumachen, der die Kombination der Symptome erklärt, die zum Tod des Patienten führte".

Die populärste Theorie war bald, Arafat sei vergiftet worden. Von den Israelis, sagen die einen. Von Konkurrenten aus den eigenen Reihen, sagen die anderen - zum Beispiel von seinem Nachfolger Mahmud Abbas. Allein: Die französischen Ärzte konnten damals eigenen Angaben zufolge kein Gift in Arafats Körper finden.

Auch seien die Symptome nicht typisch gewesen: Es habe weder Leber- noch Nierenschäden gegeben. Schon damals argumentierte Leila Shahid, die palästinensische Repräsentantin in Paris, dass Arafat Opfer eines unbekannten Giftes geworden sein müsse. Der Bericht von al-Dschasira gibt der Theorie nun neue Nahrung: Wie der getötete Agent Litwinenko habe auch Arafat unter Durchfall, Gewichtsverlust und Erbrechen gelitten, heißt es. Gleichwohl betont der Sender, die genauen Symptome einer Polonium-Vergiftung seien in der Forschung umstritten - es gebe schlicht nicht genügend bekannte Fälle.

Eine Infektion als Todesursache?

Doch die Gerüchte gingen auch in ganz andere Richtungen: Arafats Leibarzt Aschraf al Kurdi behauptete, von französischen Ärzten erfahren zu haben, dass in Arafats Blut das HI-Virus gefunden worden sei. Kurdi war jedoch zuletzt nicht mehr an der Behandlung Arafats beteiligt.

Israeli police and border officers walk in front of a mural depicting Arafat at Qalandiya checkpoint

Um Jassir Arafats Tod ranken sich viele Gerüchte.

(Foto: REUTERS)

Auch israelische Fachleute wiesen darauf hin, dass Arafats Krankheitsverlauf Ähnlichkeiten mit denen von Aids-Patienten aufweist. Der Leibarzt glaubt, Arafat sei vergiftet worden und HIV nur injiziert worden, um die Vergiftung zu verdecken. Die New York Times, die Einsicht in die Akten der französischen Ärzte erlangte, berichtete jedoch 2005, dass es keine Hinweise auf eine Aids-Erkrankung gegeben habe.

Völlig falsch behandelt

Möglich sei jedoch eine Lebensmittelvergiftung - Arafats Symptome seien nach einem Essen am 12. Oktober aufgetreten. Zweifelsohne sei die Todesursache eine Infektion gewesen, schreibt die New York Times unter Berufung auf den Geheimbericht der französischen Ärzte. Arafat sei von seinen arabischen Ärzten in Ramallah von Anfang an falsch behandelt worden, heißt es dort weiter. So habe man ihm erst kurz vor dem Transport ins Pariser Militärkrankenhaus Antibiotika gegeben und zudem eine innere Blutung nicht erkannt. Bei seiner Ankunft in Paris sei sein Leben bereits nicht mehr zu retten gewesen.

Nach seinem Tod wurde Arafat am 12. November 2004 in Ramallah in den palästinensischen Autonomiegebieten begraben. Das Stören der Totenruhe ist im Islam normalerweise verboten - dennoch strebt Suha Arafat nun die Exhumierung der Leiche an. Sie hoffe auf eine entsprechende Fatwa, ein islamisches Rechtsgutachten, sagte die Witwe des Palästinenserführers.

Unterstützung bekam sie von Saeb Erekat, dem palästinensischen Chefunterhändler. Ein internationales Gremium müsse nun untersuchen, wer für Arafats Tod zuständig sei, sagte er.

Israel reagiert mit Spott

Das ist jedoch allein durch die Exhumierung nicht zu erreichen. Wenn feststünde, dass Arafat tatsächlich durch Polonium vergiftet wurde, wäre immer noch einiges unklar: wie das Gift in seinen Körper kam, ob es tatsächlich Mord war und wer dahintersteckt.

Denjenigen, die Israel als Täter ausgemacht haben, wäre das jedoch vermutlich egal. Polonium wird in Atombomben benutzt, Israel ist eine Atommacht - Ende der Beweiskette.

Entsprechend spöttisch reagierte ein Sprecher des israelischen Außenministeriums auf die vermeintliche Enthüllung von al-Dschasira. Er steuerte noch eine Theorie zum Tathergang bei: "Könnte Lächerlichkeit töten, dann wäre diese Reportage die Hauptverantwortliche."

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