Germanwings:Im Schock erstarrt

Germanwings A320 abgestürzt - Köln

"Wir sind eine kleine Familie": Germanwings-Mitarbeiterinnen während einer Schweigeminute für die Absturzopfer in der Unternehmenszentrale in Köln.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Auffallend viele Crews haben sich bei der Lufthansa-Tochter am Tag nach der Katastrophe krankgemeldet.

Von Jens Flottau

Am Tag danach sollte bei Germanwings so etwas wie Normalität zurückkehren. Jedenfalls versuchte es die Leitung der Fluggesellschaft. Sie ließ eine Mitteilung verschicken, in der sie von einem "regulären Flugbetrieb" sprach, der nun wieder erreicht sei. Nur ein Flug müsse abgesagt werden.

Tatsächlich herrscht bei Germanwings der pure Ausnahmezustand.

Schon am Dienstag hatten sich reihenweise Crews "unfit to fly" gemeldet - sie sahen sich nicht dazu in der Lage, ihren Dienst anzutreten. In Köln waren daher 19 Flüge ausgefallen, in Düsseldorf zwölf. Und am Mittwoch ging es gerade so weiter. Das normale Flugprogramm konnte Germanwings nur deshalb einigermaßen absolvieren, weil die Airline kurzfristig elf Maschinen von Lufthansa, TUIfly und Air Berlin angemietet hat.

Dass sich bei einer Fluggesellschaft Piloten und Flugbegleiter nach einem Absturz außerstande sehen, wieder selbst zu fliegen, ist in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen. Aber das Ausmaß, das die Krankmeldungen bei Germanwings angenommen haben, ist schon sehr ungewöhnlich. "Wir haben volles Verständnis für die Kollegen, wir sind eine kleine Familie", sagte Germanwings-Chef Thomas Winkelmann. Es werde deswegen wohl auch weiter "Unregelmäßigkeiten" geben, ergänzte eine Sprecherin.

Die Meldungen machen deutlich, wie tief der Schock sitzt. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Noch nie ist ein Germanwings-Flugzeug verunglückt. 2010 hatte die Besatzung eines Airbus im Landeanflug auf Köln eine brenzlige Situation zu überstehen, als beiden Piloten gleichzeitig aus letztlich nicht geklärtem Grund schwindlig wurde und sie die Kontrolle über sich und das Flugzeug zu verlieren drohten.

Seitdem Lufthansa entschieden hat, den europäischen Direktverkehr ganz auf Germanwings zu verlagern, fliegen auch viele Lufthansa-Piloten quasi auf Leihbasis bei der Tochtergesellschaft. Auch sie kennen Abstürze nur vom Hörensagen oder von anderen Fluggesellschaften. So nah ist ein solches Ereignis an die meisten nicht herangekommen, denn der letzte tödliche Lufthansa-Unfall liegt fast 22 Jahre zurück. Im September 1993 war eine A320 bei einer Bruchlandung in Warschau zerstört worden. Germanwings ist zudem eine relativ kleine Fluggesellschaft, viele haben die Kollegen von Flug 4U 9525 persönlich gekannt, denn man ist öfter miteinander geflogen.

Viele Angestellte haben die abgestürzte Besatzung persönlich gekannt

Fliegen mag noch so sicher sein - man müsste, statistisch gesehen, 6500 Jahre lang jeden Tag fliegen, um Opfer eines tödlichen Absturzes zu werden -, der Germanwings-Crash verdeutlicht eben doch, dass solche Katastrophen auch bei der professionellsten Fluggesellschaft vorkommen können. Und niemand ist eben öfters unterwegs, als es die Flugzeugbesatzungen sind.

Wie traumatisch diese Erfahrungen sind, davon können am besten die Angestellten von Air France berichten, die in den vergangenen 15 Jahren zwei große Abstürze bewältigen mussten. Nach dem Crash eines Airbus A330 vor der brasilianischen Küste im Jahr 2009, bei dem 229 Menschen ums Leben gekommen waren, unterzog sich der Flugbetrieb auch einer grundlegenden externen Prüfung, um Lehren zu ziehen und mögliche Fehlerquellen abzustellen. Doch die Wunden sind bis heute nicht verheilt.

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