Gerichtsverfahren in der Türkei:Operation Vorschlaghammer

Sie planten einen Bombenanschlag auf eine Istanbuler Moschee und den Abschuss eines eigenen Kampfjets: 196 Offiziere stehen in der Türkei wegen eines Umsturzversuchs vor Gericht.

Kai Strittmatter, Istanbul

Dieser Schlag für die türkischen Militärs übertrifft an Wucht alle vorherigen. 196 Offiziere, unter ihnen 25 Generäle, stehen von Donnerstag an in einem neuen Prozess vor Gericht. Die Anklage lautet auf versuchten Umsturz. Das Beweismaterial: 100.000 Seiten über mutmaßliche Putschvorbereitungen aus dem Jahr 2003, kurz nach Amtsantritt der islamisch-konservativen AKP. Codename: "Vorschlaghammer". Die Vorwürfe seien Unsinn, lässt der Hauptangeklagte Cetin Dogan wissen, damals Befehlshaber der 1. Armee. Bei den entdeckten Plänen handle es sich um eine "Routineübung".

Türkische Offiziere wegen Putschplänen im Verhör

Noch immer ein Staat im Staate: die türkische Armee.

(Foto: dpa)

Die Dokumente schlagen unter anderem einen Bombenanschlag auf Istanbuls Batik-Moschee und den Abschuss eines türkischen Kampffliegers vor, den man den Griechen in die Schuhe schieben wollte. Das ausbuchstabierte Ziel: zuerst Chaos im Land, dann Sturz der Regierung. Eine Routineübung?

Manche Kritiker werfen der Regierung vor, mit solchen Prozessen nur ihre Opponenten ausschalten zu wollen. Die Vorwürfe seien fabriziert. Es gab jedoch nach dem Machtantritt der AKP öffentliche Putschdrohungen. Es gab politische Morde. Und es gab vergangene Woche einen spektakulären Fund, der das Leugnen erschwert: In einer Marinebasis fand die Polizei zehn Säcke voller Dokumente, die unter anderem Listen von putsch-unwilligen Offizieren enthielten, und Anordnungen, auf welche Insel diese in die Verbannung zu schicken seien.

Dass Teile des Militärs sich einen Umsturz herbeisehnten, dass dieselben Strukturen sich seit Jahrzehnten Todesschwadronen halten, ist für die meisten Beobachter unbestritten. "Die große Frage aber ist: Wie geht man damit um?", sagt Gerald Knaus von der Denkfabrik European Stability Initiative, der zum Thema recherchiert. "Reicht da das Strafrecht?" Die Frage ist berechtigt angesichts einer Justiz, die selbst wie das ganze Land im Umbruch steckt, die oft schlampig arbeitet und über ihr Ziel hinausschießt. Der Vorschlaghammer-Prozess ist nicht der erste seiner Art. Seit 2009 stehen im sogenannten "Ergenekon"-Verfahren 400 Angeklagte wegen ähnlicher Vorwürfe vor Gericht, darunter aber nur eine Handvoll Soldaten.

Zahl und Rang der nun angeklagten Offiziere übersteigt alles Dagewesene. Hinzu kommt, dass die meisten noch aktiv im Dienst sind. Die Spannungen zwischen Regierung und Armee könnten "eskalieren", fürchtet der liberale Kolumnist Cavum Baar. Und wie funktionsfähig bleibt die Armee, wenn sie mit einem Schlag einen großen Teil ihrer Häupter verliert? "Wir erleben einen Regimewechsel", sagt Knaus. Das Ziel sei klar: Die illegitimen Strukturen der Vergangenheit müssten beseitigt werden. Knaus verweist auf Spanien oder Mittelamerika, wo die Länder im Interesse der Stabilität den Abschied von ihren autoritären Militärregime mit den Generälen "verhandelt" hätten. Verurteilt wurde dort kaum einer.

Hinweise auf Abmachungen ihrer Regierung mit der Armeeführung glauben auch türkische Journalisten längst zu sehen: So ist die Armee - noch immer ein Staat im Staate - auch nach einer eben verabschiedeten Gesetzesänderung nicht verpflichtet, den Bürgern und Steuerzahlern ihre Finanzierung offenzulegen. Nicht die Art von Deal, die Knaus vorschwebt: "Transparenz ist das Wichtigste." Die wird auch bei den Prozessen fehlen: Das türkische Presserecht bedroht jeden Journalisten, der Details aus einem laufenden Verfahren berichtet, mit Gefängnis.

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