Gerichtsurteil:EU-Bürger haben kein Recht auf Hartz IV

Deutschland darf Zuwanderern, die auf Arbeitssuche sind, Sozialleistungen verweigern, so der EuGH. Doch der Streit ist damit noch nicht beendet.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wenn man die Sache finanziell betrachtet, könnte man sagen: Deutschland hat gewonnen. Zuwanderer aus EU-Staaten dürfen beim Bezug von Hartz-IV-Leistungen schlechter gestellt werden als Inländer. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) - überraschend klar - entschieden. Wer sich mit Kurzzeitjobs über Wasser hält, büßt im Falle der Arbeitslosigkeit seinen Leistungsanspruch nach sechs Monaten ein. Und wer allein zur Arbeitssuche nach Deutschland gekommen ist, ohne bereits gearbeitet zu haben, dem dürfen die Jobcenter von vornherein jeglichen Anspruch auf Sozialleistungen verweigern. Anders als in vielen Fällen hatte sich der EuGH diesmal nicht dem Votum des Generalanwalts angeschlossen. Dieser hatte sich im März für einen Hartz-IV-Anspruch arbeitslos gewordener Zuwanderer ausgesprochen, wenn sie die Ernsthaftigkeit ihrer Arbeitssuche belegen können - etwa durch Bewerbungen und Vorstellungsgespräche.

Geklagt hat Nazifa Alimanović, geboren in Bosnien und inzwischen schwedische Staatsbürgerin. In den Neunzigerjahren hatte sie in Deutschland gelebt, drei ihrer Kinder sind hier geboren, danach zog sie nach Schweden. Seit Mitte 2010 ist sie wieder in Deutschland und hielt sich, wie auch ihre älteste Tochter, mit Kurzzeitjobs über Wasser. Von Dezember 2011 an bezog sie Hartz IV, doch nach sechs Monaten stellte das Jobcenter Berlin-Neukölln die Zahlungen ein: Einen dauerhaften Anspruch hat nach deutschem Recht nur, wer länger als ein Jahr am Stück gearbeitet hat.

Als in den vergangenen beiden Jahren die Schranken für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Staaten Osteuropas fielen, wurde gelegentlich das Szenario einer Zuwanderung in die Sozialsysteme an die Wand gemalt. Es hat sich inzwischen ohnehin erwiesen, dass die Ängste unbegründet waren. Bulgaren und noch stärker Rumänen integrieren sich relativ gut in den Arbeitsmarkt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht hier von einer Erwerbsquote von rund 85 Prozent aus. Zwar steigt unter Rumänen und Bulgaren die Zahl der Empfänger von Hartz-IV-Leistungen - allerdings zahlen die arbeitenden Zuwanderer zugleich in die Sozialkassen ein.

Das EuGH-Urteil hat jedenfalls die Linie der Bundesregierung bestätigt. Der juristische Weg, den der Luxemburger Gerichtshof gewählt hat, ist freilich nicht unumstritten. Er hat Hartz IV als "Sozialleistung" eingestuft, die in erster Linie der Sicherung des Lebensunterhaltes dient. Bei Sozialleistungen aber erlaubt das EU-Recht Diskriminierungen: Ausländer dürfen gegenüber Inländern benachteiligt werden, weil die Staaten ein legitimes Interesse haben, ihre Sozialsysteme vor Überforderung zu schützen. Hartz IV freilich sollte nach dem Willen der rot-grünen Regierung im Jahr 2005 auch der Wiedereingliederung der Hilfe-Empfänger in den Arbeitsmarkt dienen. Und bei solchen Leistungen wäre, europarechtlich gesehen, eine Diskriminierung von Ausländern untersagt. Diesen Disput hat der EuGH nun jedoch beendet.

Doch der Streit um Hartz-IV-Leistungen für EU-Zuwanderer dürfte weitergehen. Eva Steffen, die Kölner Anwältin der Klägerin, hält den Leistungsausschluss für verfassungswidrig. Ihr Argument hat Gewicht: Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2012 Asylbewerbern einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zuerkannt - und dabei angemerkt, "migrationspolitische Erwägungen" könnten eine Absenkung des Leistungsstandards unter das Existenzminimum jedenfalls nicht rechtfertigen. Die Frage, die daraus folgt, liegt auf der Hand: Darf man Unionsbürgern verweigern, was man Asylbewerbern gewährt? Sozialhilfe für Flüchtlinge, nicht aber für Zuwanderer aus den EU-Staaten - noch dazu solche, die auf Arbeitssuche sind? Das Sozialgericht Mainz hat vor zwei Wochen in einem Eilverfahren einen Leistungsausschluss als verfassungswidrig bezeichnet, weil der Anspruch auf ein Existenzminimum direkt aus der Garantie der Menschenwürde im Grundgesetz ableitbar sei. Die abschließende Entscheidung zum Hartz-IV-Anspruch für EU-Zuwanderer dürfte damit in Karlsruhe fallen.

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