Gerichte:Roben ohne Rampenlicht

Lesezeit: 2 min

Bundesrichter wollen ihre Urteile nicht im Fernsehen verkünden - obwohl sich der Justizminister das vorstellt. Dabei wären solche Bilder eher unspektakulär.

Von Wolfgang Janisch

Es sieht ganz danach aus, dass für die fünf Bundesgerichte demnächst eine Epoche zu Ende geht. In den vergangenen 50 Jahren zeigten sich die Richter nach ihrem Einzug in den Gerichtssaal den wartenden Kameras mal stoisch, mal ungeduldig, aber in jedem Fall schweigend. Ein, anderthalb Minuten werden die Filmteams geduldet, bevor sie rausgeschickt werden. Als maximale Dramatik ist zu erwarten: Der Senat nimmt Platz.

Nun plant Bundesjustizminister Heiko Maas eine Reform, die man nur behutsam nennen kann. Live vom Mordprozess, wie einst bei O. J. Simpson? Nichts davon ist in Sicht. Der Entwurf will erlauben, was die Fernsehstudios ohnehin nur sorgsam zurechtgeschnitten senden werden: Aufnahmen von den Urteilsverkündungen der fünf Bundesgerichte. Also das, was beim Bundesverfassungsgericht, dem bisher einzigen TV-Gericht, seit Jahren praktiziert wird. Bei großem Medieninteresse sollen zudem Tonübertragungen in einem Nebenraum möglich sein, wie sie beim Münchner NSU-Prozess diskutiert wurden. Geplant ist auch die Dokumentation historisch wichtiger Verfahren.

Auf diesen Vorstoß wäre folgende Reaktion denkbar: Zustimmung, weil die Richter dem Volk, in dessen Namen sie urteilen, endlich im O-Ton mitteilen dürfen, was genau sie entschieden haben. Der Bundesgerichtshof ist die Zentralinstanz für Verbraucher und der Bundesfinanzhof für Steuerzahler, Bundessozial- und Bundesarbeitsgericht sagen, was bei Sozialhilfe und Arbeitnehmerschutz gilt, das Bundesverwaltungsgericht ist das oberste Bürgergericht. Fünf gute Gründe für fünf Gerichte, sich den Kameras und Mikrofonen zu stellen - aber die Gerichtspräsidenten wehren ab: Die bewährten Abläufe würden gestört und die nicht an Kameras gewöhnten Vorsitzenden überfordert. Und dann die Angst vor Youtube und Heute-Show: Das Vertrauen in die Justiz würde untergraben, wenn demnächst "unglückliche Formulierungen" der Richter zur Volksbelustigung vorgeführt würden, warnt BGH-Präsidentin Bettina Limperg.

Dahinter steckt freilich die - vermutlich begründete - Erwartung, die Reform könnte nur ein Testlauf sein, womöglich für die Zulassung der Kameras zu bestimmten mündlichen Verhandlungen. Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte vor Jahren einmal laut über eine solche Öffnung nachgedacht. International gibt es dafür Vorbilder. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und der Internationale Strafgerichtshof stellen zeitverzögert Videos ihrer Anhörungen ins Netz, und Länder wie Finnland, Italien, Schweden oder die Niederlande erlauben Film- oder Tonaufnahmen. In Spanien wurde immerhin der Prozess wegen des Terroranschlags von 2004 übertragen. In Österreich und Frankreich dagegen sind Aufnahmen verboten.

Sollte die Maas'sche Reform dereinst eine Fortsetzung finden, dann müsste das Thema noch einmal grundlegend diskutiert werden. Erstens, weil der Persönlichkeitsschutz der Beteiligten sichergestellt werden muss, zweitens, weil Kameras wirklich stören können - jedenfalls dort, wo es um den sensiblen Prozess der Wahrheitsfindung geht. Solange die Kameras aber nur filmen dürfen, wie Richter Urteile vorlesen, ist die Justiz noch nicht in Gefahr.

© SZ vom 29.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: