Justiz:Robe und Kopftuch vertragen sich nicht

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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (Foto: dpa)

Richterinnen und Staatsanwältinnen sollten kein Kopftuch tragen. Das Bild einer unvoreingenommenen Richterschaft ist heute wichtiger denn je.

Kommentar von Wolfgang Janisch

Wer nach Indizien dafür sucht, wie kontrovers der Streit um das Kopftuch bis heute geblieben ist, der muss nur auf die Gerichte schauen. In Deutschland und Europa zieht sich eine lange Spur von Urteilen durch die Kontroverse - gesellschaftlicher Frieden ist nicht in Sicht. Beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg ist die Frage anhängig, ob Kopftuchverbote am Arbeitsplatz zulässig sind; die Voten zweier Generalanwältinnen sind diametral entgegengesetzt. Das andere Europa-Gericht - der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg - hält sich indes ostentativ zurück und lässt den Staaten für Verbote religiös motivierter Kleidung nahezu jeden Freiraum.

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht zwei Anläufe benötigt, um muslimischen Lehrerinnen das Unterrichten mit Kopftuch zu erlauben; immerhin herrscht zumindest hier Klarheit. Und vor Kurzem hat das Gericht dasselbe Recht auch den Kita-Erzieherinnen zugebilligt.

Aber neue Konfliktfelder dürften folgen; eines betrifft die Gerichte selbst. Die grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg hat sich auf ein Kopftuchverbot im Gerichtssaal geeinigt: Richterinnen und Staatsanwältinnen werden das Tuch ablegen müssen, sobald sie in die Robe schlüpfen. Auch Bayern plant ein solches Verbot, andere Länder dürften folgen.

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Von Leo Klimm

Darf man Richterinnen versagen, was Lehrerinnen und Erzieherinnen erlaubt ist? Ist der äußere Anschein religiöser Neutralität im Gerichtssaal wichtiger als im Schulzimmer? Oder ist vorhersehbar, dass das Gesetz aus dem schwäbischen Stuttgart im badischen Landesteil wieder einkassiert wird: in Karlsruhe? Das Plazet für das Kopftuch der Lehrerin dürfte jedenfalls kein Präjudiz sein. Denn der Gerichtssaal ist kein Klassenzimmer. Schule ist Vielfalt, Schüler üben sich als Mitglieder einer Gesellschaft, in der das religiöse Spektrum breiter wird - und in der die Spannungen zunehmen. Der schulische Alltag kann das nicht ausblenden, sondern muss den Kindern und Jugendlichen die Instrumente an die Hand geben, um mit der Heterogenität der Gesellschaft umzugehen - Diskursfähigkeit, Toleranz.

Die Justiz dagegen hat völlig andere Aufgaben. Im Gerichtssaal geht es um Neutralität. Die Robe der Richterin lässt symbolisch die Person hinter dem Amt verschwinden. Das Tuch auf dem Kopf dagegen - ebenfalls ein Symbol - lässt eine individuelle Eigenschaft hervortreten, den religiösen Glauben. Die beiden Stoffe vertragen sich nicht, die Richterin mit Kopftuch wäre ein hybrides Wesen - neutralisiert und individualisiert zur gleichen Zeit.

Beim Kopftuchverbot geht es nicht um Befangenheit

Wenn also ein Kopftuchverbot irgendwo wirklich einen Sinn hat, dann im Gerichtssaal. Falsch wäre allerdings die Unterstellung, eine Richterin mit Kopftuch wäre irgendwie voreingenommen. Das Tuch auf dem Haupt der Juristin ändert nichts an den Gedanken, die in dem Kopf vorgehen. Muslimische Richterinnen sind nicht mehr und nicht weniger voreingenommen als katholische, agnostische, sozialdemokratische.

Nein, es geht beim Kopftuchverbot nicht um Befangenheit. Es geht vielmehr um das große Versprechen des Rechtsstaats, gerade in aufgeladenen Konflikten allein nach dem Gesetz zu handeln, nüchtern, sachlich, unparteiisch. Dafür steht die Robe. Ein Symbol, gewiss. Aber die Gerichtsbarkeit hat ihre Botschaften schon immer auch über Symbole vermittelt.

Diese strikte Neutralität der Justiz ist umso zentraler, je mehr sich die Gesellschaft polarisiert. Wenn sich die Positionen verhärten - politisch, religiös, sozial -, dann wird die Bedeutung der Gerichte als Streitschlichter zunehmen. Deshalb ist das äußere Bild einer unvoreingenommenen Richterschaft gerade jetzt so wichtig. Das wird nur ohne Kopftuch funktionieren.

© SZ vom 12.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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