Gerhard Schröder in Berlin:Der verlorene Sohn ist zurück

Er ist wieder da: Zum ersten Mal seit 2005 besucht Altkanzler Gerhard Schröder wieder die SPD-Bundestagsfraktion. Das bestimmende Thema: seine Agenda 2010. Zwar haben sich die Wogen um das Reformprogramm inzwischen geglättet - trotzdem kann sich "Gerdgas" Sticheleien gegen Merkel nicht verkneifen.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Der Altkanzler öffnet sein Sakko, schaut hinein. Dorthin, wo die Hersteller in der Regel ihr Emblem einnähen lassen. Er muss da was beweisen. "Nee", sagt er. "Kein Brioni - obwohl ich es mir ja jetzt leisten könnte." Dann lacht er seinen Schröder-Lachen, das er aus der Tiefe seines Körpers holt und mit dem er ganze Fußballstadien beschallen könnte.

Gerhard Schröder ist da. Seit 2005 besucht er zum ersten Mal wieder die SPD-Bundestagsfraktion. Er war so etwas wie eine verlorener Sohn der SPD. Er hat die umstrittene Agenda 2010 gegen massivste Widerstände durchgesetzt. Die Mehrheiten waren knapp. Damals konnten selbst eine handvoll Abtrünnige eine Revolution anzetteln. Und haben es auch getan. Bis sich Schröder in Neuwahlen flüchtete und knapp Angela Merkel unterlag.

Zehn Jahre ist es her, dass Schröder seine Agenda 2010 in einer Regierungserklärung der Öffentlichkeit präsentierte. Inzwischen haben sich manche Wogen geglättet. Um Deutschland herum toben die Krisen. In Deutschland aber steht die Wirtschaft gut da, die Arbeitslosenzahlen sind vergleichweise niedrig. Selbst Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel gesteht zu, dass Schröder dafür mit der Agenda 2010 die Grundlage gelegt hat.

Späßchen, Frotzeleien, demonstrierte Lockerheit

Nach der Fraktionssitzung stellt sich Schröder der Presse. Auch das hat es lange nicht gegeben. "Gut drauf", sei er sagt er. Auch drinnen war er schon zu Späßchen aufgelegt. Von manchen werde er in Anspielung auf seine engen Verbindungen zum Erdgas-Lieferanten Russland auch "Gerdgas" genannt, soll er gesagt haben, das sei aber "doch etwas übertrieben".

Schröder stellt sich vorne ans Pult und schaut in die Runde: "Sie sind auch alle älter geworden", frotzelt er. Die Agenda wird das bestimmende Thema sein. Ob ihn die Veränderungen schmerzen, wird er gefragt. Schröder nimmt es so gelassen, wie es manchen Sozialdemokraten einst zu wünschen gewesen wäre. Die einen haben in Änderungen an der Agenda den Untergang der Wirtschafsmacht Deutschland gesehen. Die anderen waren überzeugt, dass die böse Fratze des Kapitalismus herrschen werde, wenn sie so bliebe, wie Schröder und Frank-Walter Steinmeier, sie damals entworfen hatten.

Schröder hat diesen Dogmatismus nie verstanden. "Die Agenda ist nicht die zehn Gebote. Und ich bin nicht Moses." So formuliert er das.

"Nehmen sie das als Detailkritik“

Er sieht Änderungsbedarf: Mindestlöhne zum Beispiel. Die seien ja auch am Widerstand einiger Gewerkschaften gescheitert, die ihre Tarifautonomie gefährdet sahen. Das müsse jetzt nachgeholt werden. Oder die Leiharbeit. Da gebe es Missbrauch. Auch in der Bezahlung. Darüber müsse diskutiert werden. Er habe gar nicht gegen Änderungen an den Agenda-Gesetzen, solange sie dem Grundprinzip des Förderns und Forderns treu blieben.

Die Grünen sehen das je heute anders. Sie werfen Schröder vor, damals gemauert zu haben. Der Spitzen-Grüne Jürgen Trittin hat das gerade in einem Interview wieder bekräftigt. Schröder schmunzelt als er darauf angesprochen wird. Altersmilde sei er, sagt er. Darum rege ihn das nicht mehr so auf. "Ich kenne meinen Freund Jürgen ja." Schröder breitet die Arme aus, wie der Pate im gleichnamigen Film. Im Wissen, dass er den, den er in seinen Armen empfängt, gleich um die Ecke bringen lassen wird. "Nehmen sie das als Detailkritik."

Er sei jedenfalls erfreut, dass selbst Andrea Nahles heute anerkenne, dass die Agenda Deutschland vorangebracht habe. Insofern hielten sich angesichts des neuen Wahlprogramms der SPD "meine Schmerzen in Grenzen". Das habe er ohnehin nur "auszugsweise gelesen". Eine "alte Angewohnheit", wie er sagt. Wer Schröder so reden hört, könnte dem Irrgauben verfallen, aus ihm sei ein Linker geworden.

Fühlt er sich jetzt rehabilitiert durch so viel Zuwendung? Das sei das falsche Wort, moniert Schröder an der Frage. "Dann müsste ich ja Schlimmes gemacht haben. Hab' ich aber nicht". Er hält sich zugute, eine Entscheidung gefällt zu haben, die das Risiko in sich barg, damit zu scheitern. Wer das nicht tue, der verändere auch nichts.

Und Merkel, wie hat die sich so geschlagen? Was hat sie zur Agenda 2010 hinzugefügt? "Bei aller Zurückhaltung", stichelt Schröder, "man tut ihr nicht unrecht, wenn man ihr sagt: Nichts."

Er hält dann noch ein Plädoyer für den menschlichen Politiker, der keine Maschine sei und auch Fehler mache. Er meint Peer Steinbrück, den Kanzlerkandidaten der SPD. Womit wir beim Brioni-Kanzler wären. Schröder hat sein Image-Problem erst bekommen, als er 1998 gewählt war. Steinbrück macht die Fehler alle schon im Wahlkampf.

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