Gerechtigkeit:Mit erhobener Faust

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Norbert Blüm: Aufschrei! Wider die erbarmungslose Geldgesellschaft. Ein Pamphlet. Westend-Verlag Frankfurt 2016, 192 Seiten, 18 Euro. E-Book: 13,99 Euro.

(Foto: Westend-Verlag)

Norbert Blüm schreibt gegen die Macht des Geldes an. Er sieht die Welt vor einer "historischen Nagelprobe der Wohlstandsgesellschaften". Es ist ein Rundumschlag mit vielen Treffern, aber ohne eigene Lösungsideen.

Von PAUL MUNZINGER

Mitte März hat Norbert Blüm eine Nacht in einem Zelt im Flüchtlingslager Idomeni im Norden Griechenlands verbracht. Drei Tage später berichtete er in der Sendung "Stern TV" von seinem Besuch. Er erzählte von schreienden Kindern, vom Matsch, von der Dunkelheit. Und er beschrieb, wie sich ein Güterzug seinen Weg durch das Lager bahnte, wie Polizei und Soldaten zur Seite traten und sich die Grenztore, unüberwindlich für Tausende Flüchtlinge, für diesen Zug öffneten - um sich danach wieder zu schließen. "Das halte ich für eine perverse, verrückte Welt", sagte Blüm: "dass die Güter, die toten Sachen, Vorfahrt haben vor den Menschen."

Eine "historische Nagelprobe der Wohlstandsgesellschaften"

Blüms neues Buch "Aufschrei! Wider die erbarmungslose Geldgesellschaft" handelt von dieser verrückten Welt, der sich der frühere Arbeitsminister, mittlerweile 80 Jahre alt, in regelmäßigen Abständen widmet. "Gerechtigkeit. Eine Kritik des Homo oeconomicus" erschien 2006, "Ehrliche Arbeit. Ein Angriff auf den Finanzkapitalismus und seine Raffgier" fünf Jahre später. Nun also "Aufschrei!", die Variation des Themas vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise. Mit erhobener Faust arbeitet sich Blüm durch eine Welt, in der das Geld "regiert", "alles kann", "alles unterwandert" und zum "Gottesersatz" geworden ist. Er teilt in alle Richtungen aus, gegen den Waffenhandel ("ein Bombengeschäft"), die Fifa, Bernie Ecclestone, die Deutsche Bank und den Schnäppchenjäger, für Blüm "der Prototyp des neoliberalen Konsumenten". Für Zwischentöne ist in diesem Buch, welches das Cover nicht ohne Grund als Pamphlet ausweist, kein Platz, weder sprachlich noch inhaltlich. In der "Geldgesellschaft" stehen sich Gefühl und Kalkül, Warm und Kalt, Gut und Böse wie in einem letzten Gefecht gegenüber. "Die Zeit der Entscheidung", schreibt Blüm, "ist unausweichlich". Und von dieser Entscheidung hänge auch der Fortgang des Flüchtlingsdramas ab - der "historischen Nagelprobe der Wohlstandsgesellschaften".

Man könnte Blüm nun vorwerfen, dass er einen Irrweg beschreibt, ohne einen Ausweg aufzuzeigen. Dass er in seinem Rundumschlag viele Treffer landet, aber die inneren Zusammenhänge der "Geldgesellschaft" nicht berührt. Aber warum sollte man? Blüm hat all das erkannt und als freimütige Selbstreflexion ans Ende seines Aufschreis gesetzt. Das Buch sei kein wissenschaftliches Exposé, räumt Blüm ein, es enthalte kein ausformuliertes politisches Programm, sondern zähle nur auf, "was mir an Hoffnung und Resignation, an Zuversicht und Sorge in die Quere kam". Kurz: "Es ist ein wildes Buch, das ich geschrieben habe."

Einen zahmen Aufschrei würde ja auch niemand hören.

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