Geplatzte Immobilienblase:Wie die Krise Spaniern ihre Wohnungen raubt

Anders als die Banken erhalten die Betroffenen der Immobilienkrise in Spanien kein Rettungspaket. Viele verlieren ihre Wohnungen und müssen zudem lebenslang Schulden abzahlen - für nichts. Zeitungen sprechen von einer "sozialen Zeitbombe".

Sebastian Schoepp, Madrid

María Ángeles Hormaza kam 2001 wie so viele Ecuadorianer nach Spanien, weil das Land boomte. Die alleinerziehende Mutter fand Arbeit als Altenpflegerin. Mit drei Jobs gleichzeitig schaffte sie es, 1800 Euro im Monat zu verdienen. Damit brachte sie nicht nur ihre drei Kinder durch, sondern schickte auch noch Geld für ihre behinderte Mutter nach Ecuador.

Demonstrators block the entrance to Milagros Carbajo's home as they try prevent her eviction in Madrid

Die Opfer wehren sich: "Stoppt die Zwangsräumungen" - "Stop desahucios!", fordern Aktivisten der "Plattform der Hypothekengeschädigten" bei einer Wohnungsräumung in Madrid.

(Foto: REUTERS)

Nach Ansicht ihrer Bank blieb da noch Geld genug übrig, um eine Wohnung zu kaufen. 2005 schwatzte ihr eine der Sparkassen, die später zu dem Pleiteinstitut Bankia zwangsvereinigt wurden, einen Hypothekenkredit zum Kauf einer winzigen Wohnung in Carabanchel auf, einem einfachen Viertel Madrids.

Ein "übel riechendes Loch" sei das gewesen, sagt Edurne Irigoyen vom spanischen Verband der Nachbarschaftsorganisationen, der Menschen berät, die wie María Ángeles Hormaza jetzt ihre Hypothekenkredite nicht mehr zurückzahlen können. Eine Million sollen es sein, schätzt der Verband der Kunden von Banken und Sparkassen (Adicae).

Im Boom kostete María Ángeles Hormaza das "Loch" 220.000 Euro, heute ist es nach Schätzungen 100.000 Euro wert. Die monatlichen Kreditbelastungen stiegen bis 2009 auf 1200 Euro. Dann verlor sie einen ihrer Jobs, musste die Zahlung einstellen. Nun will die Bank die Wohnung zwangsräumen lassen, was die Ecuadorianerin aber nicht von den Schulden befreien wird. Für die Differenz, die durch den Wertverlust entstand, muss sie trotzdem aufkommen, so will es in Spanien das Gesetz.

Es ist kein Einzelfall, eher die Regel. Die Zeitung El Mundo spricht von einer "sozialen Zeitbombe". Anstrengungen der Regierung, diese zu entschärfen, sind nicht erkennbar. Anders als für die Banken oder die Schuldner der Hypothekenkrise in den USA 2008 gibt es für Menschen wie María Ángeles Hormaza kein Rettungspaket.

In der Schuldenfalle

Sie müssen sich auf Verbände und Bürgergruppen verlassen, die sich in der Krise gebildet haben, etwa die "Plattform der Hypothekengeschädigten" (PAH) in Madrid. "Wir versuchen durch öffentliche Aktionen auf das Problem aufmerksam zu machen, sagt Sprecher Vicente Pérez. Wann immer eine Zwangsräumung droht, wie im Falle von María Ángeles Hormaza, versammeln sich die Aktivisten vor der Wohnung oder vor der Bank, die das Desaster zu verantworten hat.

Psychologen helfen den Betroffenen in der Nacht vor der Räumung. "Viele haben eine Art Schuldkomplex", sagt Edurne Irigoyen, "vor allem Immigranten, die mit Träumen von einem besseren Leben hierher kamen und nun lebenslang Schulden abzahlen werden - für nichts".

Außer medienwirksamen Bildern springt bei den Aktionen jedoch meist wenig heraus. Die Banken ließen nur selten mit sich reden, sagt Pérez. Das soziale Problem werde nur durch Familiensolidarität aufgefangen. Mit dem Ergebnis, dass zehnköpfige Familien sich ein Zimmer zur Miete teilten. Oft seien nicht nur die Wohnungskäufer selbst betroffen, sondern auch Angehörige, die gebürgt hatten.

Perfide Banken-Praxis

Eine besonders perfide Praxis wandten die Banken bei Einwanderern an, die keine Angehörigen in Spanien hatten. Man erfand die "gekreuzte Bürgschaft", Käufer bürgten füreinander, obwohl sie sich nicht kannten. So kann es sein, dass ein Bolivianer jetzt seine Wohnung verliert, weil er für einen zahlungsunfähigen Ecuadorianer bürgen muss, den er noch nie gesehen hat, sagt Pérez.

Die PAH ist ein Resultat der Bewegung 15 M, die am 15. Mai 2011 aus Protest gegen die Sparpolitik der Regierung die Puerta del Sol in Madrid besetzte und zum Vorbild für die Occupy-Bewegung wurde. Da im Parlament die Grenzen zwischen Regierung und Opposition verschwimmen, kommen aus der Bewegung 15 M derzeit die einzigen Alternativvorschläge für Maßnahmen gegen die Folgen der Krise.

"Wir fordern eine soziale Miete für Wohnungen, die von den Banken beschlagnahmt wurden, um die Wohnungsnot zu lindern", sagt Pérez. Es müsse eine Privatinsolvenz geschaffen werden. Und die Restschulden müssten mit der Übergabe der Wohnung erlöschen. Anders sei der soziale Frieden nicht zu wahren.

Die Vorschläge haben derzeit keinerlei Chance auf Umsetzung. Der konservativen Regierung passen sie ideologisch nicht ins Konzept. Und die klammen Banken werden sich auf einen Verzicht auf Außenstände kaum einlassen.

Mehrwertsteuer wird erhöht

Derweil bereitet die Regierung von Mariano Rajoy schon die nächsten Kürzungen vor. Sie sind der Preis für das, was seine Sprecher als den "Sieg" von Brüssel verkauften. Zwar erreichte Rajoy, dass die europäischen Hilfen für spanische Banken am Staatshaushalt vorbeifließen. Fast ging dabei jedoch unter, dass Rajoy sich im Vorfeld zu weiteren Einsparungen verpflichten musste.

Öffentliche Angestellte werden sich auf neue Kürzungen ihres Gehalts einstellen müssen - was neue Probleme bei Kreditrückzahlungen mit sich bringen wird. Auch wird die Mehrwertsteuer erhöht werden müssen; sie beträgt für Grundnahrungsmittel nur vier Prozent, was die Lage für viele Arbeitslose derzeit gerade noch erträglich macht.

Immerhin ist die Arbeitslosigkeit wegen der beginnenden Tourismussaison gesunken, fast 100.000 Spanier mehr als im Mai haben einen Job. Auch der 18-jährige Sohn von María Ángeles Hormaza verdient inzwischen eigenes Geld als Elektriker. 600 Euro im Monat. "In Spanien", sagt Edurne Irigoyen, "ist das ein völlig normales Gehalt."

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