George W. Bush und Condoleezza Rice:Eine echte Männerfreundschaft

Man isst gemeinsam Brezeln vor dem Fernseher und sie nennt ihn aus Versehen schon einmal "meinen Ehemann". Als Außenministerin wird Condoleezza Rice die wohl mächtigste Person in diesem Amt seit dem legendären Henry Kissinger. Ein Portrait.

Von Wolfgang Koydl

Man darf annehmen, dass George W.Bush ein seit vielen Jahren glücklich verheirateter Ehemann, und Condoleezza Rice eine ebenso glückliche, weil überzeugte Junggesellin ist.

George W. Bush und Condoleezza Rice: Fingerspitzengefühl: Condoleezza Rice am Klavier.

Fingerspitzengefühl: Condoleezza Rice am Klavier.

(Foto: Foto: AP)

Beide verbindet zwar ein enges Verhältnis, das aber bestimmt wird von gegenseitiger professioneller Hochachtung und gelegentlichen gemeinsamen Fernsehabenden mit Salzbrezeln und anderem Knabbergebäck bei Football oder Baseball.

Wenn es zwischen Männern und Frauen so etwas wie eine Männerfreundschaft geben kann, dann haben der US-Präsident und seine Sicherheitsberaterin sie geschlossen. Niemand, nicht einmal die böswilligsten und spitzzüngigsten Klatschmäuler Washingtons, würde ihnen je etwas anderes unterstellen.

Umso erstaunter waren die Gäste einer Party, die Phillip Taubman, der Chef des Hauptstadtbüros der New York Times, in seiner Wohnung in Georgetowns nobler Q-Street gab und zu der als Ehrengast Rice geladen war.

Ihr Ehemann heißt Bush

Man plauschte über dies und das, über das Wetter, die Kinder und natürlich über die Arbeit, als Condoleezza Rice ein verräterischer Satz entschlüpfte. "Wie ich unlängst meinem Ehem...", begann sie - und korrigierte sich rasch: "Wie ich Präsident Bush sagte."

Diese Art von Versprechern sind nach dem Seelenforscher Sigmund Freud benannt, der herausfand, dass wir damit unfreiwillig unsere geheimsten Gedanken verraten. Auch Rices verbaler Ausrutscher erhellte blitzartig das einzigartige Verhältnis, das den 43. Präsidenten der USA mit seiner engsten Mitarbeiterin verbindet.

Sie schickt sich nun an, Außenministerin zu werden, und enge Freunde sind sich sicher, dass sie die mächtigste Person in diesem Amt seit dem legendären Henry Kissinger werden wird.

"Sie wird kein Colin Powell sein, der sich einen Termin beim Präsidenten geben lassen muss", urteilte Coit Blacker von der Stanford-Universität, der Condi Rice aus gemeinsamen Tagen an dieser Hochschule kennt.

"Sie wird ständig Zugang zu ihm haben, und damit werden auch die anderen Figuren auf dem Schachbrett der Außen- und Sicherheitspolitik neu arrangiert." "Face time" nennt man das in Washington, die Zeit also, die jemand von Angesicht zu Angesicht mit dem Präsidenten reden kann. Es ist ein kostbares Gut, das nur minutenweise zugeteilt wird.

Gemeinsam puzzeln

Aber Condi Rice hatte in den vergangenen vier Jahren mehr davon als jedes andere Mitglied der Regierung Bush. Ihr Büro liegt nur wenige Schritte vom Oval Office entfernt, zu dem sie fast jederzeit unangemeldet Zutritt hat.

Auch an Wochenenden und im Urlaub bleiben Bush und Rice sich nahe: Die ledige Fünfzigerin ohne Familienanschluss ist oft Gast auf der Ranch in Texas; auf dem Präsidentensitz Camp David steht eine eigene Blockhütte für sie bereit, und wenn sie und der Präsident nicht joggen, Strategien ausarbeiten oder Papiere wälzen, legen sie zuweilen gemeinsam ein Puzzle - mit Ehefrau Laura als Dritter im Bunde.

Eine echte Männerfreundschaft

Ein Puzzle freilich ist auch Condoleezza Rice geblieben - professionell wie privat. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass eine attraktive, alleinstehende und außerordentlich intelligente Frau doch ein dankbares Objekt für Reporter, Gesellschaftsjournalisten und Klatschkolumnisten sein müsste.

George W. Bush und Condoleezza Rice: "Sie hat das Talent, alle glauben zu lassen, dass sie auf deren Seite steht": Condoleezza Rice mit US-Präsident Bush.

"Sie hat das Talent, alle glauben zu lassen, dass sie auf deren Seite steht": Condoleezza Rice mit US-Präsident Bush.

(Foto: Foto: Reuters)

Doch über ihr Privatleben ist nur bekannt, dass sie eigentlich gar keines hat: Sie steht morgens um fünf Uhr auf, stemmt Gewichte und ist meist schon vor sieben Uhr im Büro. Ihr Mittagessen bringt sie von zu Hause mit, die Gerichte der Kantine des Weißen Hauses sind ihr - sportlich und sparsam wie sie ist - zu kalorienreich und kostspielig.

Sie arbeitet, er schläft schon mal

Sie arbeitet lange, und schon um zehn Uhr abends geht sie schlafen - ähnlich wie ihr Chef. Da bleibt nicht viel Zeit für ihre Lieblingsbeschäftigung: Einkaufen, vor allem Schuhe und Kleidung. "Das Bild von ihr als Xena, die Kriegerprinzessin, ist völlig falsch", zitierte die Presse eine alte Freundin. "Condi legt großen Wert auf modische Kleider."

Selbst wenn sie sich entspannt, treibt sie der Ehrgeiz: Sie läuft Schlittschuh wie eine Eisprinzessin, treibt Sport wie ein Bodybuilder, und sie spielt konzertreif Klavier - mit Vorliebe ihren Lieblingskomponisten Johannes Brahms. Denn der sei "leidenschaftlich, ohne sentimental zu sein": "Bei ihm gibt es eine Spannung, die sich nie auflöst."

Als Außenministerin freilich wird es ihre Aufgabe sein, Spannungen anderer Art nach Möglichkeit sehr wohl aufzulösen. Doch obwohl sie vier Jahre lang als Nationale Sicherheitsberaterin im Mittelpunkt aller Weltkrisen stand, ist es bis heute weitgehend ein Rätsel, wo sie selbst politisch steht.

"Sie ist echt klug"

Mehrere Enthüllungsbücher früherer Mitarbeiter des Weißen Hauses kamen zu dem übereinstimmenden Schluss: Wenn sich Unilateralisten wie der Falke Donald Rumsfeld und Multilaterale vom Schlage Colin Powells zankten, bezog Condi Rice selten Position.

"Sie hat das Talent, alle glauben zu lassen, dass sie auf deren Seite steht", formulierte es ein europäischer Diplomat, der mehrmals die Gelegenheit hatte, sie aus nächster Nähe zu beobachten. Rice selbst gab einmal preis, dass nur der Präsident ihre eigene Meinung erfährt - wenn er danach fragt.

Bush freilich hält sich oft an die Ratschläge seiner Beraterin, die er zum ersten Mal vor knapp sieben Jahren im Hause von Ex-Außenminister George Shultz kennenlernte. "Es macht Spaß, mit ihr zusammen zu sein", hatte er später über sie gesagt.

"Außerdem ist sie echt klug." Bush folgt Rices Rat selbst dann, wenn er ihm gegen den Strich geht. Mitarbeiter sind immer wieder erstaunt, wie gut sie Bush zu nehmen weiß - einer Ehefrau nicht unähnlich, die alle Macken und Marotten ihres Gatten kennt und sie für sich zu nutzen weiß.

"Mit dem Schröder kann ich nicht"

Eine Szene, die diese Fähigkeit illustrierte, gelangte unlängst in die Presse. Es war im Sommer 2003, und Rice versuchte, Bush von der Notwendigkeit zu überzeugen, das zerrüttete Verhältnis zu den Partnern Frankreich und Deutschland wieder zu kitten.

"Mit dem Schröder kann ich nicht", protestierte Bush, und Condoleezza, die wie ein Schulmädchen vor seinem Schreibtisch stand, täuschte einen Rückzieher vor: "Nein, nein, nein, wir wollen nicht, dass Sie das mit dem Schröder machen."

Bush, so ein Augenzeuge, brach daraufhin in Lachen aus: "Einen Moment mal, ihr wollt mich wieder mit Schröder zusammenbringen; ich weiß doch, was ihr vorhabt." Rice setzte sich durch: Gut einen Monat später trafen sich Bush und der Bundeskanzler am Rande der UNO-Vollversammlung in New York.

15 Minuten lang zusammengestaucht

Angesichts solcher Anekdoten ist es nicht weiter verwunderlich, dass europäische Diplomaten ins Schwärmen geraten, wenn sie von einer Außenministerin Rice sprechen. Vergessen ist, dass die so zierliche und charmante Frau recht undiplomatisch sein kann und beispielsweise einen geknickten Zeitungskorrespondenten 15 Minuten lang wegen eines Artikels zusammenstauchte.

Vergessen ist, dass von ihr die berüchtigte Gebrauchsanweisung im Umgang mit Freunden und Partnern stammt: "Frankreich bestrafen, Deutschland ignorieren, Russland verzeihen". Und vergessen ist auch, dass es Powell war, der noch bis vor kurzem als einziger Verbündeter der Europäer in der kalt und fremdartig wirkenden US-Regierung galt.

Doch aus Sankt Colin, dem wackeren Kämpfer gegen das Rumsfeldsche Drachengezücht, ist unversehens ein Ritter von der traurigen Gestalt geworden, dessen Lanzenstiche meist ins Leere gingen.

Selbst politische Gegner wie Samuel Berger, der Präsident Bill Clinton als Sicherheitsberater diente, sind überzeugt davon, dass "Condi eine gute Diplomatin sein wird". Ausschlaggebend dafür sind freilich nach seiner Ansicht nicht allein ihr Intellekt und ihre Fähigkeiten.

Powells Sorge vor dem ausgetauschtem Schloss

Viel wichtiger ist ihre Nähe zum Oval Office: "Wir werden eine Außenministerin haben, von der ausländische Führer wissen, dass sie für den Präsidenten spricht." Bei ihrem Vorgänger war das nicht immer selbstverständlich. Rice wird auch mehr reisen als Powell, der im Kabinett oft isoliert war und Washington nur ungern verließ - aus Sorge, jemand könnte bei seiner Rückkehr das Schloss zur Bürotür ausgetauscht haben.

Wenn es für die Außenministerin von Vorteil ist, über einen direkten Draht ins Oval Office zu verfügen, dann ist es auch für den Präsidenten nicht schlecht, eine Vertraute im State Department zu wissen. Denn seitdem sie Bush in außenpolitischen Fragen berät, war es immer Rices Aufgabe, "Bushs Instinkt in Politik umzusetzen", wie es ein Diplomat formulierte.

Der Präsident, so ergänzte ein Mitarbeiter des Weißen Hauses, wolle mit der Nominierung der Sicherheitsberaterin zur künftigen Ministerin ein Signal geben, "dass die Äußerungen von Frau Rice unmittelbar sein Denken widerspiegeln".

Weniger höflich, aber ungleich treffender drückte es das Magazin New Yorker aus: "Wenn man Rice sprechen hört, ist das so, wie Bush klingen würde, wenn er sich so artikulieren könnte wie Rice."

Die gelernte Sowjetologin

Die Zeitschrift ahnte vermutlich nicht einmal, wie sehr diese Beobachtung zutrifft. Denn das Denken von Rice und Bush hat sich in den vergangenen drei Jahren bemerkenswert schnell und eng angenähert. Condoleezza Rice gibt selbst zu, dass Bush sie mindestens ebenso stark beeinflusst wie sie ihn.

"Der Präsident hat einen starken Anker und einen Kompass, was die Richtung der Außenpolitik betrifft, was richtig und falsch ist, was machbar und was nicht machbar ist", meinte sie kürzlich. Und ein wenig verwundert fügte sie hinzu: "Er zieht es vor, sich auf universale Werte und Freiheiten zu konzentrieren, und ich habe gefunden, dass auch ich diese Werte teile. Denn das ist eigentlich nicht die Richtung, aus der ich komme."

Condoleezza Rice kommt in der Tat aus einer ganz anderen politischen Tradition. Die gelernte Sowjetologin, die bei Joseph Korbel, dem Vater der früheren Außenministerin Madeleine Albright, internationale Beziehungen studierte, war eine knochenharte Realpolitikerin vom Schlage eines Henry Kissinger oder Brent Scowcroft.

Scowcroft war einst einer ihrer wichtigsten Mentoren und ist heute zu einem ihrer Kritiker geworden, da ihr Kurswechsel nach seiner Auffassung zu radikal war.

Rassisten töteten ihre Schulfreundinnen

Es ist noch keine fünf Jahre her, da rechnete die damalige Stanford-Professorin in einem Artikel für die Fachzeitschrift Foreign Affairs mit idealistischen außenpolitischen Träumern ab, die Amerikas Macht dazu nutzen wollten, Demokratie und Bürgerrechte über den Globus zu verbreiten.

Alles Flausen, befand sie damals, US-Soldaten seien zu schade, als dass man sie als Schülerlotsen in der Dritten Welt einsetzen sollte. "Wie die meisten Amerikaner", erinnerte sie sich wenig später, "verfolgte ich die im Kalten Krieg abgegebenen Behauptungen von Amerika als Leuchtturm der Demokratie mit einer gewissen Portion Skepsis.

Manchmal war mir das sogar nur peinlich, denn Amerika ist im besten Fall eine nicht perfekte Demokratie." Rice hat nicht vergessen, dass ihre Vorfahren Sklaven waren und dass zwei ihrer Schulfreundinnen 1963 bei einem Brandanschlag weißer Rassisten auf eine schwarze Kirche in ihrem Heimatstaat Alabama getötet wurden.

Rices Wandlung von der Real-Politikerin vom Zuschnitt des Präsidenten Bush senior zur idealistischen Romantikerin nach dem Geschmack des Präsidenten Bush junior hat nicht nur Veteranen amerikanischer Außenpolitik wie Ex-Sicherheitsberater Scowcroft überrascht.

Weckruf mit Folgen

Die Wende kam mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Seitdem sieht Rice - so wie Bush - die USA verstrickt in einen epischen Kampf zwischen Freiheit und Moderne auf der einen, und Despotie und Fundamentalismus auf der anderen Seite.

"Sie glauben", hat der Stanford-Professor Blacker erkannt, "dass der 11. September ein Weckruf war und dass gewisse Dinge getan werden mussten - schmerzhaft und gewaltsam, aber notwendig und ohne Rücksicht auf Konsequenzen.

Sie haben das Schachbrett einfach umgeworfen, und heute zweifelt niemand mehr die Fähigkeit der USA an, Risiken einzugehen, die vor dem 11. September unvorstellbar gewesen wären."

Rice war denn auch das erste Mitglied der Regierung, das offen davon sprach, dass das Vorhaben, den gesamten Nahen Osten nach demokratischen Vorstellungen umzukrempeln, eine "Generationen-Aufgabe" sei.

Das Biest überwältigen

"Unsere Zeit ähnelt jener von 1945 bis 1947, als die Zahl freier und demokratischer Staaten - darunter großer Mächte wie Deutschland und Japan - unter amerikanischer Führung ausgeweitet und ein neues Machtgleichgewicht geschaffen wurde, das die Freiheit begünstigte", schrieb sie in einem Artikel.

Nach einer gemäßigteren, weniger ideologischen Außenpolitik, wie sie sich viele erhoffen, hört sich das nicht an. Vielleicht aber sieht Condoleezza Rice, die gemeinsam mit Freunden Kammermusik spielt, Parallelen zwischen ihrem Instrument und der Rolle der USA im Konzert der Mächte:

"Der Pianist hat es immer damit zu tun, dass dieses Biest von einem Konzertflügel von Klang, Lautstärke und Dramatik her jeden Streicher, ja alle Streicher zusammen überwältigen kann. Man sollte also mit Persönlichkeit spielen, aber nicht überwältigend. Auch das Klavier muss Teil eines Teams sein."

Ein schönes Bild, das nur einen Fehler hat. Anders als bei der Kammermusik gibt es in großen Orchestern auch noch die Pauke. Und an der sitzt nicht Condoleezza Rice.

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