George Tenet:Auf jedem Feld zu Diensten

George W. Bush vertraut ihm, das Militär ist skeptisch - ein Porträt des obersten US-Spions. Von Wolfgang Koydl

Hollywood hätte die Rolle nicht besser besetzen können. Der Mann sieht aus wie ein Ekelpaket: Feist und fleischig, pockennarbig das Gesicht, und zwischen den wulstigen Lippen steckt meist eine durchgekaute, kalte Zigarre.

George Tenet: George Tenet war sieben Jahre lang CIA-Chef

George Tenet war sieben Jahre lang CIA-Chef

(Foto: Foto: AP)

Mit den angriffslustig hochgezogenen Schultern und den kleinen Augen wirkt er oft wie ein heimtückischer Eber. Wer einen Film drehen wollte über einen unsympathischen Finsterling als Chef des amerikanischen Geheimdienstes, der täte mit diesem Darsteller einen guten Griff.

Doch George Tenet ist kein Schauspieler. Er sieht ganz ungeschminkt so aus, und er steht dem Auslandsgeheimdienst CIA vor. Damit ist er das Oberhaupt aller amerikanischen Aufklärungs-, Abhör- und Spionagedienste mit ihren ungezählten Mitarbeitern und einem Jahresbudget von 35 Milliarden Dollar. Viele halten Tenet für den einflussreichsten CIA-Direktor in der Geschichte der Agentur.

Sicher ist, dass seine Macht seit Amerikas Kriegen in Afghanistan und im Irak zugenommen hat: Seitdem kommandiert er nicht nur ein Heer von Analytikern und Salonspionen, sondern auch eine Schattenarmee von Spezialagenten draußen im Feld und an der Front.

"Sie sind ein wahrer Patriot, ein Gewinn für unsere Nation, ein wertvoller Berater", überschlug sich Präsident George W. Bush in seinem Lob für jenen Mann, den er ja eigentlich vom ungeliebten Vorgänger Bill Clinton übernahm. Doch Tenet war ihm ausdrücklich empfohlen worden-von keinem geringeren als seinem eigenen Vater.

Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise ist das Amt des CIA-Chefs hoch politisiert. Wechselt der Präsident, muss auch der Hausherr der Spionagezentrale Langley vor den Toren Washingtons seine Bürosuite im siebten Stock räumen.

Grob und direkt

Doch Tenet blieb, als Clinton ging. Weil er ein Profi ist und kein Parteisoldat, meinen seine wenigen Freunde. Weil er ein Opportunist ist und ein Intrigant, sagen seine zahlreicheren Gegner. Doch sie richteten nichts aus. "Es gibt jene, die ihn fertig machen wollen", beobachtete Senator John Rockefeller. "Aber zu denen gehört eben nicht der Präsident. Das ist schon mal Faktum Nummer eins."

Auf jedem Feld zu Diensten

Faktum Nummer zwei ist der Respekt, den Tenet bei Bushs Vater genießt. "Nummer 41", wie der Ex-Präsident im Familienkreis genannt wird, fand sehr früh Ge-fallen an dem 51-jährigen Berufsspion. "Wie ich höre, ist er ein guter Typ", meinte Bush senior mit typisch neuenglischem Understatement und legte seinem Sohn eindringlich nahe, ihn zu behalten. Bush Vater wusste, wovon er sprach, schließlich war er einst selbst CIA-Direktor gewesen und hatte jede Minute in diesem Job nach eigenen Aussagen genossen.

Nie hat er es verwunden, dass ihm Präsident Jimmy Carter aus parteipolitischen Gründen den Laufpass gab. In der Politik bedeutet Zugang zur Macht stets auch eigene Macht. So betrachtet, hat Tenet sehr viel eigene Macht. Jeden Morgen zwischen acht und acht Uhr dreißig unterrichtet er im Oval Office den Präsidenten über die Sicherheits- und Gefahrenlage in aller Welt.

Er tritt persönlich dazu an, im Gegensatz zu vielen Vorgängern, die nur einen Ausdruck ablieferten. "Der wichtigste Faktor für den Erfolg eines Geheimdienstdirektors ist seine Beziehung zum Präsidenten", konstatierte der frühere CIA-Chef John Deutch neidvoll. "George Tenet hat davon mehr als irgendjemand vor ihm."

Tatsächlich war es bislang eher die Regel, dass das Verhältnis zwischen Weißem Haus und CIA unterkühlt bis gespannt war. Neue Tiefen loteten Bill Clinton, dem die Dienste stets ein wenig anrüchig erschienen, und sein erster Chef-Spion James Woolsey aus, der den Präsidenten fast nur im Fernsehen zu sehen bekam.

Als 1994 ein Kleinflugzeug auf dem Gelände des Weißen Hauses niederging, machte der sehr böse Witz die Runde, dass es sich bei dem Piloten um Woolsey gehandelt habe, der so einen Termin mit Clinton herbeizwingen wollte.

Solche Scherze würde sich mit Tenet niemand erlauben. Bush sieht ihn häufiger als Colin Powell oder Donald Rumsfeld. Und er vertraut ihm fast schon blind. "Beide sind Pragmatiker, sie führen so eine Art von Männergespräch", beobachtete der demokratische Senator Bob Graham. "George (Tenet) ist sehr smart, aber er faselt nicht theoretisch daher.

Er ist grob, er ist direkt." So grob kann Tenet sein, dass er einmal-während Clintons Amtszeit- aus einem zähflüssigen Treffen mit dem Außen- und dem Verteidigungsminister stürmte. "Fuck you, ich gehe", rief er zum Abschied.

Husarenstücke im Irak

Das jüngste Beispiel für Bushs Vertrauen in seinen Chef-Spion liegt gerade eine Woche zurück. Allein auf Rat von Tenet warf der Präsident den Angriffsplan für den Krieg im Irak über den Haufen und ordnete den "Enthauptungsschlag" auf Saddam Hussein und seine Söhne an.

Tenet hatte selbst erst kurz zuvor von einer Quelle in der unmittelbaren Nähe des Despoten erfahren, wo sich Saddam auf-halten würde.

Auf jedem Feld zu Diensten

In seiner gepanzerten Limousine war er sofort den George-Washington-Parkway hinab ins Pentagon gerast, wo er Rumsfeld abholte und mit ihm hinüber ins Weiße Haus fuhr.

Solche Husarenstücke haben Tenet und seinem Team im Pentagon nicht unbedingt Freunde gemacht. Sehr skeptisch verfolgt das US-Militär schon seit längerem, wie sich die zivilen Aufklärer immer mehr in das Geschehen an der Front einmischen. Was in Afghanistan mit Kommandounternehmen begann, setzt sich im Irak fort, wo "Special Operations Groups" (SOG) der CIA einen unsichtbaren Krieg gegen das Regime führen.

Seit Wochen operieren diese Agenten in Untergrund; sogar in Bagdad sollen sie aktiv sein. Ihr Auftrag: Offiziere der Republikanischen Garde und hohe Mitglieder der Baath-Partei aufzuspüren und zu liquidieren.

Das erinnert an diskreditierte "dirty tricks" der alten CIA in den sechziger und siebziger Jahren, und es war auch nicht Tenet, der die SOG's erfunden hat. Doch er belebte diese Gruppe wieder, seitdem er vor knapp sechs Jahren die Leitung des Dienstes übernahm.

Damals wurden gerade mal eine Hand voll dieser Spezialagenten auf der so genannten "Farm", dem Trainingszentrum der CIA, ausgebildet. Heute verfügt die Agentur über hunderte solcher James Bonds, denen das M-16-Sturmgewehr besser in der Hand liegt als der Martini- Kelch.

Tenets Schattenarmee steht unter enormem Druck, seitdem der Feldzug gegen Saddam sich in Sandstürmen, an Scharfschützen und Selbstmord-Terroristen festgefahren hat. Nun erwartet man von ihr, dass sie mit einer einzigen, gezielten Kugel dem Tyrannen und seinem Regime ein Ende bereitet. Doch für diese Kugel ergab sich bislang nicht die Gelegenheit.

Tenet hat zudem schon für einen Fehl-schlag vorgesorgt. Gezielt lässt er ver-breiten, dass seine Späher und Analysten schon im Februar auf die Gefahr hinge-wiesen hätten, die von Saddams Fedajin-Truppen ausgehen könnte. "Die CIA glaubte immer, dass es sehr gut möglich sein würde, dass wir uns jeden Meter vorankämpfen müssten," erklärte ein ungenannter CIA-Vertreter der Presse. Derart scharfe Warnungen seien jedoch immer abgeschliffen worden, bevor sie das Weiße Haus erreichten.

Aus solchen Worten spricht Vorsicht. Die CIA will gewappnet sein für den Fall eines Scheiterns der Mission, wenn die Suche nach den Sündenböcken beginnt.

Auf jedem Feld zu Diensten

Einige Mitarbeiter haben bereits Rechtsschutzversicherungen abgeschlossen, damit sie wenigstens nicht finanziell ruiniert werden, wenn sie ins Räderwerk von Anhörungen, Ausschüssen und Untersuchungskommissionen geraten.

Ihr Chef George Tenet freilich war auch ohne Rechtsschutz stets ein Meister darin, katastrophale Pannen unbeschadet zu überstehen. Lang ist die Liste der Schlappen, die der Dienst seit 1995 er-lebte, als Tenet zunächst als Vize-Direktor an die Spitze aufstieg.

Der Anschlag auf US-Marines in Saudi- Arabien traf die Kundschafter ebenso unvorbereitet wie die Bombenattentate auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam und der Angriff auf den US- Zerstörer "Cole" im Jemen. Sie sahen nicht die Nukleartests von Indien und Pakistan voraus, und schmählich endete 1995 der Versuch, im Nord-Irak einen Volksaufstand anzuzetteln.

Saddams Geheimdienst hatte die Mission unterwandert und dies den US-Kollegen freundlicherweise auch mitgeteilt: Eines Tages klingelte in der CIA-Vertretung in Jordaniens Hauptstadt Amman das Telefon. "Wir haben alle verhaftet", sagte eine arabische Stimme mit irakischem Akzent. "Ich glaube, ihr könnt nach Hause gehen."

Die größte Aufklärungskatastrophe freilich ereignete sich am 11. September 2001. Obwohl Tenet seit Jahren in Osama bin Laden und seiner al Qaida die größte Gefahr für Amerikas Sicherheit erkannte, trafen auch ihn die Anschläge in New York und Washington völlig unvorbereitet.

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Die Nachricht erreichte ihn im ehrwürdigen Washingtoner St. Regis-Hotel nicht weit vom Weißen Haus, wo er mit seinem alten Mentor, dem demokratischen Ex-Senator David Boren, frühstückte.

Viel "Qualitätszeit"

Doch Tenet überstand auch diesen Sturm, die Rücktrittsforderungen und die Pläne, ein neues Amt eines Geheimdienstzaren zu schaffen, dem alle Dienste unterstellt werden sollten. Denn wieder war es Bush, der ihm den Rücken stärkte.

Wenige Tage nach den September-Anschlägen besuchte der Präsident demonstrativ die CIA-Zentrale. "Sie wissen ja, dass George und ich ziemlich viel Qualitätszeit miteinander verbracht haben", sagte Bush in Anspielung auf die häufigen Treffen der beiden. "Dafür gibt es einen Grund. Ich habe viel Vertrauen zu ihm, und ich habe viel Vertrauen in die CIA. "

"Niemand versteht, warum der Präsident Tenet so liebt", wunderte sich dagegen ein CIA-Mitarbeiter, der seinen Namen wohlweislich nicht nannte. Er ist nicht der einzige, der sich fragt, was den Millionärssohn Bush mit dem Sohn kleinbürgerlicher griechischer Einwanderer aus Little Neck im Bundesstaat New York verbindet.

Dort betrieb Tenets Vater ein Schnellrestaurant, wo der junge George Gedecke auflegte und Wasser nachschenkte. "Damals hatte ich das größte Mundwerk in der ganzen Stadt", rühmte sich Tenet. In Washington fragt man sich, ob das nicht so geblieben ist.

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