Generationswechsel:Hoffnungslauf bei den Grünen

Generationswechsel: Annalena Baerbock, Robert Habeck und Anja Piel (v.l.n.r.)

Annalena Baerbock, Robert Habeck und Anja Piel (v.l.n.r.)

(Foto: dpa; imago(2))

Die einen setzen auf ein Ende des Lagerdenkens, die anderen warnen vor dem Abschied vom geliebten Flügelstreit. Und einer stiehlt allen die Show.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Es ist jetzt viel von Erneuerung die Rede bei den Grünen, von einem Generationswechsel und davon, dass Zuschreibungen wie Realos oder Parteilinke oder gar Fundis auf den Schrottplatz der Geschichte gehörten. Aber stimmt das eigentlich? Und wie wollen die Neuen bei den Grünen die enormen Erwartungen einlösen, die sie allerorten schüren?

Fünf Persönlichkeiten nehmen gerade Anlauf auf vier Spitzenposten bei den Grünen. Und wer verstehen will, wie das gehen soll, kann sich ein Dominospiel vorstellen. Der erste Stein wird an diesem Donnerstag in Bewegung gesetzt. Da trifft sich die Grünenfraktion des Bundestags zur Klausur, um am Freitag die Fraktionschefs zu wählen. Von Erneuerung kann hier allerdings keine Rede sein, denn es gilt als sicher, dass die Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter auf Posten bleiben. Cem Özdemir, jenseits der Grünen ein Publikumsliebling, geht leer aus.

Auf eine erneute Kandidatur für den Parteivorsitz hatte Özdemir verzichtet, Fraktionschef indes hätte er gerne werden wollen. Daraus wird nun nichts. Das Bedauern über Özdemirs unfreiwilligen Abschied hält sich bisher in Grenzen, selbst bei Realos. Unter Grünen ist zwar keine Häme zu verzeichnen, und gefreut habe dürfte sich bestenfalls Özdemirs alter Widersacher, der Parteilinke Jürgen Trittin.

Der ganz große Aufschrei über Özdemirs erzwungene Karrierepause aber bleibt aus, auch in sozialen Netzwerken. Und hinter warmen Worten der Parteifreunde, wonach Özdemir wichtig bleibe, ist auch Erleichterung zu spüren. Ohne ein bekanntes Gesicht zu opfern, kann die Selbsterneuerung der Partei nicht in Gang kommen.

Die jungen Frauen wollen nicht

Wer weiterfragt, wird allerdings bald feststellen: Begeisterung über das Gespann, das nun erneut die Bundestagsfraktion führen soll, ist eher nicht zu verzeichnen. Am besten schneidet noch Britta Haßelmann ab, die wieder erste parlamentarische Geschäftsführerin werden soll. Haßelmann ging neulich mit so viel Zack und Parlamentskenntnis auf die AfD los, dass ihrer Wiederwahl nichts im Weg stehen dürfte. Erfahrung sei eben wichtig, heißt es jetzt in ihrer Fraktion, und dass es doch gut sei, den Rechten im Parlament mit einem eingespielten grünen Team zu begegnen. Das gelte auch für die Fraktionschefs.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Die Reala und Kirchenfrau Katrin Göring-Eckardt, 51, und der parteilinke Biologe und Haarexzentriker Anton Hofreiter, 47, verdanken ihre Wiederwahl keineswegs nur dem Wunsch, sie für ihre Leistungen zu belohnen. Es fanden sich schlicht keine erfolgversprechenden oder jüngeren Bewerber.

Der Realo Özdemir hat für den Fraktionsvorsitz keine Mehrheit. Agnieszka Brugger, 32, und Verteidigungsexpertin, wurde von Parteilinken zur Kandidatur ermuntert, ebenso die Wirtschaftspolitikerin Katharina Dröge, 33. Auch die Innenpolitikerin Irene Mihalic, 41, betrachten viele als Talent. Keine der weiblichen Abgeordneten aber wollte auch nur versuchen, die Alten, Etablierten von der Fraktionsspitze zu verjagen. Die jungen Frauen wollen nicht, auch weil da Kinder unterwegs sind oder welche kommen könnten.

Das alte Realo-Fundi-Hickhack will Baerbock überwinden

Der viel beschworene Generationswechsel der Grünen, er soll jetzt also anderswo stattfinden. An der Parteispitze nämlich, wo sich inzwischen drei Kandidaten öffentlich warmlaufen: die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock, 37, die niedersächsische Grünen-Chefin Anja Piel, 52, und der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck, 48.

Anja Piel Spitzenkandidatin von Buendnis 90 Die Gruenen in Niedersachsen posiert fuer ein Foto in

Anja Piel, die Fraktionschefin in Niedersachsen, will Bundesvorsitzende der Grünen werden.

(Foto: Florian Gaertner/photothek/imago)

Rein biografisch ist Annalena Baerbock in diesem Trio die Einzige, die für einen klaren Generationswechsel steht. Die Klima- und Europapolitikerin mit Wahlkreis in Brandenburg ist schon mit rot-grünlichem Weltbild groß worden, in eher hippieskem Haushalt. Heute reibt die Juristin es den Älteren in der Partei gern unter die Nase, dass Heldengeschichten aus Gorleben nicht mehr ausreichen, um grüne Identität zu legitimieren. Auch das alte Realo-Fundi-Hickhack will Baerbock überwinden. "Die Haltung, das haben wir schon immer so gemacht, finde ich schwierig", sagt sie. Und die "alten Kampfrituale" der Partei seien ihr "teilweise zu ideologisch".

Nun ist es kein Geheimnis, dass die Reala Baerbock schon allein deshalb gegen die scharfe Abgrenzung von Linken und Realos sein muss, weil es im Kampf um den Parteivorsitz ein Überangebot an Realpolitikern gibt. Lasst die Besten an die Spitze, Lagerdenken war gestern, ist da die Devise. Diese Haltung aber stößt auch auf Widerstand. "Dass Strömungen oder Flügel bei den Grünen jetzt obsolet sein sollen, halte ich für Kokolores", sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, ein Parteilinker. Parteien mit charismatischen Führern, in denen Positionsstreit unerwünscht sei, wie die ÖVP des Sebastian Kurz, seien reine "Machtmaschinen".

Eine Realo-Durchmarsch ist ungewiss

Ob es an der Grünenspitze mit Robert Habeck und Annalena Baerbock zum Realo-Durchmarsch kommt, ist ohnehin ungewiss. In Anja Piel hat eine Parteilinke ihre Kandidatur angemeldet. Piel, Fraktionschefin im niedersächsischen Landtag, ist in der Anti-Atomkraft-Bewegung sozialisiert und kommt im Vergleich zu Baerbock weniger rasant daher. Dafür kann sie Regierungserfahrung nachweisen. "Ich bin immer am besten, wenn der Tag am strubbeligsten ist", sagt sie. Piel will Themen wie Gerechtigkeit und Umverteilung mehr Gehör verschaffen bei den Grünen.

Annalena Baerbock Mitglied des Deutschen Bundestags und Sprecherin der Bundestagsfraktion Buendnis

Konkurrenz der Frauen: Auch Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock aus Brandenburg will an die Spitze der Partei.

(Foto: Inga Kjer/photothek/imago)

Dass die Ältere die Jüngere aus dem Rennen wirft, ist eher unwahrscheinlich. Als sicher darf gelten, dass die Frauen alle Mühe haben werden, sich nicht von Habeck die Show stehlen zu lassen, den viele Grüne fast wie einen Messias erwarten. Habeck, dreitagebärtig und mit sorgsam gepflegtem Revoluzzercharme, hat Charisma und weiß es zu verkaufen. "Wir sind von der Straße gekommen, haben Verkrustungen aufgebrochen und mit unseren Ideen die Politik und das Land geprägt", schreibt er in seiner Bewerbung. Die Erfolge von einst müssten "Ansporn für mehr" sein.

Die Erfolge von einst, dafür stehen Joschka Fischer, Jürgen Trittin, Claudia Roth und Renate Künast - alles Namen, die die Partei geprägt haben, sagt Bundesgeschäftsführer Kellner. "Ich habe hohen Respekt davor, mit wie viel Kraft diese prägende Generation das Land verändert und modernisiert hat. Diese Kraft muss unsere Generation erst einmal unter Beweis stellen." Nun aber werde es Zeit für Jüngere, die "weniger tief in den Schützengräben" sitzen. Auf geht's, vorwärts, soll das wohl heißen. Und bloß nicht zu oft in den Rückspiegel geschaut.

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