Generation Heynckes:Die Altersgrenze muss raus aus den Köpfen

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Schon in den Tagen der alten Handwerkszünfte wusste man: Es braucht Meister, Gesellen und Lehrlinge, damit ein Geschäft blüht. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Die Rückkehr von Jupp Heynckes zum FC Bayern zeigt: Man wirbt wieder um ältere qualifizierte Arbeitnehmer. Endlich! Aber genug ist das noch nicht.

Kommentar von Nikolaus Piper

Bayern München ist nicht nur ein Fußballverein, sondern auch ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen und eine globale Marke. Und manchmal sind die Bayern ganz einfach ein Spielzeugmodell der Bundesrepublik Deutschland.

Zum Beispiel diese Woche, als der Vereinspatriarch Uli Hoeneß, 65, seinen Freund Jupp Heynckes, 72, als Trainer zurückholte, um die Saison zu retten und das Feld zu bereiten für den nächsten, dann wirklich jungen Trainer, zum Beispiel Julian Nagelsmann, 30. Was bei den Bayern passiert, ist heute Alltag in der Arbeitswelt Deutschlands. Man wirbt um ältere, qualifizierte Arbeitnehmer. Arbeitgeber treiben einen hohen Aufwand, um sie zu debriefen, also deren Erfahrungsschatz für die Firma zu sichern, ehe sie in Rente gehen. Manchmal drängen sie die Alten, doch noch ein oder zwei Jahre zu bleiben, weil für sie kein Nachfolger in Sicht ist. Und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der sich Wirtschaft und Technik so schnell verändern wie schon lange nicht mehr.

Auch hier gleicht der FC Bayern durchaus dem Rest des Landes. Das internationale Geschäft mit dem Fußball dreht durch, wie die 222-Millionen-Ablöse für den Starspieler Neymar zeigt. Gleichzeitig kommen neue Methoden auf - zu spielen und zu trainieren. Auch in München muss man aufpassen, dass man nicht den Anschluss verpasst. Ähnlich sieht es in Wirtschaft und Gesellschaft aus. Digitalisierung und Globalisierung verändern viele Berufe so, dass sie kaum noch wiederzuerkennen sind. In der digitalen Welt wachsen die Jungen mit Dingen auf, die die Alten erst mühsam lernen müssen, wenn sie es überhaupt tun. Gleichzeitig wird aber die Gesellschaft immer älter, die Rente ist nicht nachhaltig gesichert, und es fehlen Millionen Arbeitskräfte: Facharbeiter, Lehrer, Pflegekräfte. Und die heutigen Alten sind ungleich fitter als deren Eltern. Da ist es nicht sehr sinnvoll, gute Fachkräfte aufs Altenteil zu zwingen, bloß weil sie 65 Jahre und sechs Monate alt sind (derzeit das offizielle Rentenalter). Es bleibt gar nichts anderes übrig: Das Verhältnis der Generationen bei der Arbeit und in der Gesellschaft muss anders werden.

"Geht aus dem Weg, wenn ihr uns schon nicht helfen könnt."

Schon in den Tagen der alten Handwerkszünfte wusste man: Es braucht Meister, Gesellen und Lehrlinge, damit ein Geschäft blüht. Die Jungen bringen Energie, Ideen und körperliche Leistungsfähigkeit mit, die Alten Übersicht und Erfahrung. Der ältere Kollege weiß in der Regel, wie man mit Pannen umgeht, weil er selbst schon so viele erlebt hat. Er verfügt über nicht-kodifiziertes Wissen, das man nicht einfach weitertragen kann.

In der modernen Gesellschaft fällt es dagegen schwer, Erfahrung wertzuschätzen. Dafür ist einfach das Tempo zu groß, mit dem sich das Leben verändert. Jemand, der nicht weiß, was Instagram ist, wirkt da schnell komisch, auch wenn er noch so viel erlebt hat. Jugendkult hat außerdem meist eine politische Komponente. Junge glauben gerne, dass sie den "weißen alten Männern", wie man heute sagt, moralisch überlegen sind. Bob Dylan rief, als er 23 war, den "Müttern und Vätern im Land" zu: "Geht aus dem Weg, wenn ihr uns schon nicht helfen könnt." Auch die Grünen taten viele Jahre lang so, als seien sie ihr eigener Jugendverband.

Inzwischen ist Bob Dylan auch schon 76, die Grünen sind ebenfalls älter geworden, und ungebremster Jugendkult wirkt ziemlich altmodisch. Ein Manager ist albern, wenn er behauptet, "konsequent auf Verjüngung" zu setzen, und sonst nichts zu bieten hat. Im neuen Bundestag mit seinen sechs Fraktionen präsidiert der 75-jährige Wolfgang Schäuble, der noch Herbert Wehner live erlebt hat und der weiß, wie Parlament geht. Man wird sehen, wie es den Österreichern ergehen wird, sollten sie tatsächlich Sebastian Kurz zum Kanzler währen, der mit seinen 31 Jahren der Enkel von Jupp Heynckes sein könnte.

Die einen wollen früher, die anderen später in den Ruhestand gehen.

Niemand bestreitet jedenfalls noch, dass es gerade in der sich so schnell verändernden Welt wichtig ist, den Erfahrungsschatz der Alten zu sichern. Nur haben Politik und Gesellschaft bisher nicht die notwendigen Konsequenzen aus dieser Erkenntnis gezogen. Die ganze Rentendebatte der vergangenen Monate ging von der Annahme aus, es sei erstrebenswert, mit 65 oder früher in Rente zu gehen. Und dass das Ziel nur deshalb nicht erreicht wird, weil es heute im Verhältnis zu viele Alte gibt (so die Regierung) oder weil die Rentenpolitik schlecht ist (so die Opposition).

Schon die Annahme aber ist falsch. In Wirklichkeit wollen die einen früher, die anderen später in den Ruhestand gehen. Viele müssen auf ihre Gesundheit Rücksicht nehmen, andere fürchten sich vor dem Ruhestand. Die logische Konsequenz wäre es, die offizielle Altersgrenze ganz abzuschaffen und den Übergang in die Rente flexibel zu gestalten. Die FDP hat das in ihr Wahlpogramm geschrieben. Man wird sehen, ob eine Jamaika-Koalition sich an die renten- und arbeitsrechtlichen Änderungen wagt, die das notwendig machen würde. Wie zum Beispiel müssen Arbeitsverträge aussehen, wenn sie nicht mehr automatisch mit der Altersgrenze auslaufen?

Am wichtigsten ist es, die Altersgrenze aus den Köpfen zu bringen. Das betrifft auch die Personalchefs der Republik. Zwar bemühen sich viele Firmen wirklich um ihre älteren Mitarbeiter, trotzdem haben über 55-Jährige immer noch große Probleme, auf dem normalen Arbeitsmarkt einen neuen Job zu finden; noch immer werben Arbeitgeber damit, sie hätten ein "junges Team". Als der amerikanische Unternehmer Maurice Greenberg von einem deutschen Reporter gefragt wurde, ob er mit 88 nicht ein wenig alt für die Führung einer Firma sei, kam er, etwas missbilligend, mit dieser Retourkutsche: "Die meisten europäischen Männer werden alt, wenn sie die 50 überschreiten. Sie denken, dass sie jenseits eines bestimmten Alters nicht mehr arbeiten können. Das ist Teil Ihrer Kultur."

Die Kultur ändert sich, sie muss sich ändern. Unter diesem Aspekt lohnt es sich zu beobachten, wie Heynckes mit der schwierigen Gemengelage bei den Bayern zurechtkommt. Auch für Leute, die sich gar nicht für Fußball interessieren.

© SZ vom 07.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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