Generalsekretäre:Speerspitze und armes Würstchen

Lesezeit: 4 min

Die Siegerin und ihre Helfer: Angela Merkel entreißt dem damaligen Generalsekretär Hermann Gröhe nach der Wahl 2013 eine Deutschlandfahne. (Foto: ddp images / Breuel-Bild)

Einst galten Generalsekretäre als eigenständige Intellektuelle. Heute zählt vor allem Gehorsam. Dafür winkt eine Karriere.

Von Nico Fried

Angela Merkel weiß, welche Bedeutung man im Amt des Generalsekretärs haben kann. Sie war es ja selbst mal. Allerdings war Merkel keine gute Generalsekretärin, wenn man absolute Loyalität zum Parteivorsitzenden als unabdingbar für dieses Amt voraussetzt. Ihren berühmten Aufsatz, mit dem sie 1999 in der Spendenaffäre die CDU aufrief, Helmut Kohl zu überwinden, veröffentlichte sie, ohne Wolfgang Schäuble zu informieren. Als der damalige Parteichef sie zur Rede stellte, lautete ihre Antwort: "Sie hätten es mir doch nicht erlaubt." Die Merkel von heute, die bei ihren engsten Mitarbeitern so viel Wert auf Loyalität legt, würde die Merkel von damals nicht zur Generalsekretärin berufen.

Aber sie hat ja auch Peter Tauber. Der tut, was er kann. Und was er nicht kann, zum Beispiel ein Wahlprogramm schreiben, muss er andere machen lassen. Dafür darf Tauber sagen, das mit Peter Altmaier sei seine Idee gewesen und nicht Merkels. Auch wenn ein Generalsekretär, der angeblich freiwillig darauf verzichtet, das Wahlprogramm seiner Partei zu schreiben, so glaubwürdig ist wie ein Konditor, der sagt, er wolle keine Hochzeitstorten bauen.

In einer Regierungs-, zumal einer Kanzlerpartei, ist der Generalsekretär oder die Generalsekretärin zu gleichen Teilen ein Machtfaktor und ein armes Würstchen. Der Parteichef regiert das Land, der GS - so der Politsprech - die Partei, vertretungsweise. Ein guter GS hilft dem Chef mit Rat, ein sehr guter auch mit Widerspruch. Es darf nur nicht rauskommen. Der GS muss der Partei begreiflich machen, dass der Chef immer recht hat. Begreift die Partei das nicht, ist der GS schuld. Auch wenn der Chef gar nicht recht hat.

Geschichte der Kanzleramtschefs
:In der Schaltstelle der Macht

Manche Kanzleramtschefs sahen sich als Hausmeister der Regierung, andere regierten in die Ministerien hinein. Heute will Peter Altmaier nebenbei auch noch das Wahlprogramm der CDU schreiben. Ein Überblick.

Von Robert Roßmann

In der Regel folgt eine Partei bei der Besetzung dem Vorschlag ihres Vorsitzenden, was das besondere Loyalitätsverhältnis zwischen Chef und GS begründet. Folgt die Partei nicht, spricht sie faktisch dem Parteichef das Misstrauen aus. Als der SPD-Vorstand 2005 Kajo Wasserhövel als GS ablehnte, nahm Franz Müntefering das persönlich und trat zurück.

Sie organisieren gern den Parteiapparat um - das gibt allen ein Gefühl der Wichtigkeit

Im geltenden Verständnis greift der GS im Alltagsgeschäft den politischen Gegner an und putzt für den eigenen Parteichef aus. Außerdem organisieren zeitgenössische Generalsekretäre oder Generalsekretärinnen gerne den Parteiapparat um, was diesem - vor allem zwischen den Bundestagswahlkämpfen - das Gefühl erhöhter Wichtigkeit geben soll. Und dem GS auch.

Im kollektiven Gedächtnis des politisch interessierten Publikums aber sind als wirklich bedeutende Generalsekretäre jene in Erinnerung geblieben, die auch programmatische Vordenker ihrer Partei waren: Karl Hermann Flach in der FDP, der maßgeblich an den Freiburger Thesen und der Vorbereitung einer sozialliberalen Koalition mitwirkte; Heiner Geißler in der CDU, der Außen-, Frauen und Sozialpolitik neu ausrichtete, ein Grundsatzprogramm verantwortete und drei Wahlkämpfe organisierte; Peter Glotz in der SPD. Der trug zwar den Titel Bundesgeschäftsführer, weil die SPD das Amt eines Generalsekretärs erst 1999 einrichtete, aber er wirkte schon wie ein GS. Mit Glotz' hohem Ansehen als politischem Denker konnte sein Erfolg als Partei- und Wahlkampfmanager allerdings nicht mithalten.

Alles lange her. Es waren insbesondere in CDU und SPD nicht zuletzt die Parteivorsitzenden selbst, die das Amt des Generalsekretärs über die Jahre umwidmeten. Die parteiinterne Disziplinierung wurde wichtiger als das programmatische Denken, die propagandistische Cleverness wichtiger als die politische Weitsicht. In keiner anderen Funktion wurden die Amtsinhaber fast kontinuierlich immer jünger, durften sich so viele Talente ausprobieren - Karriere gegen Gehorsam.

Vor allem in kleineren Parteien war die Rekrutierung häufig erfolgreich. Am längsten nutzt die CSU dieses Amt zur Auslese von Spitzenpersonal: Schon Franz Josef Strauß war von 1949 an fast vier Jahre lang Generalsekretär gewesen. Andere hießen Edmund Stoiber, Max Streibl, Erwin Huber, Markus Söder, Karl-Theodor zu Guttenberg und Alexander Dobrindt - was freilich zeigt, dass selbst das Amt des CSU-Generalsekretärs politisches Unvermögen und persönliche Defizite nicht immer ausgleichen kann. Auch in der FDP stiegen mit Guido Westerwelle und Christian Lindner zwei frühere GS in den Parteivorsitz auf.

Angela Merkel bringt es in 16 Jahren auf sechs GS. Deren Bilanz ist durchwachsen

Helmut Kohl hatte in 25 Jahren als Parteichef nur vier Generalsekretäre. Peter Tauber ist hingegen schon der sechste GS in den 16 Jahren Angela Merkels an der CDU-Spitze. Die Bilanz ist durchwachsen: Ähnlich wie bei den von Merkel vorgeschlagenen Bundespräsidenten erfüllten auch nicht alle GS die Erwartungen. Ruprecht Polenz, Merkels erster, wollte Brückenbauer sein statt "Speerspitze" und ging nach einem halben Jahr. Laurenz Meyer war als Parteiorganisator von der Öffentlichkeit eher unbemerkt recht erfolgreich, sorgte aber als Partylöwe und durch eine missglückte Kampagne mit Verbrecherplakaten von Kanzler Gerhard Schröder für negative Schlagzeilen. Volker Kauder war der GS des knappen Wahlsieges 2005, der Merkel ins Kanzleramt brachte. Ronald Pofalla organisierte die Wiederwahl 2009, was ihm eine Liebkosung Merkels vor laufenden Kameras einbrachte. Hermann Gröhe war 2013 der GS des höchsten Wahlsieges von Merkel, was die Kanzlerin ihm dankte, indem sie ihm am Wahlabend ein Deutschlandfähnchen aus der Hand riss.

Merkel wechselte ihre GS stets nach spätestens vier Jahren aus. Vielleicht auch, weil sie von Helmut Kohl gelernt hat, dass politische Loyalität nicht ewig währt: Heiner Geißler, über zwölf Jahre lang GS, schloss sich am Ende den Putschisten um Lothar Späth an, die den CDU-Chef Kohl auf dem Bremer Parteitag 1989 stürzen wollten - und kläglich scheiterten.

Von Peter Tauber hat Merkel so etwas vorerst nicht zu erwarten. Er liegt einstweilen irgendwo zwischen nicht wirklich erfolgreich, aber noch nicht abgeschrieben. Mit geringem Restrisiko lässt sich dennoch voraussagen, dass unter allen sechs GS Merkels keiner war und ist, der es noch wie einst sie selbst bis ins Kanzleramt schaffen wird.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Politiker-Videos
:Wenn Bilder stören

Merkel, eine "Anti-Deutsche"? Aus dem Zusammenhang gerissene Videos von Politikern bedienen rechte Ressentiments im Internet - und finden millionenfache Verbreitung. Wie sollen Parteien reagieren?

Von Robert Roßmann
Jetzt entdecken

Gutscheine: