Generaldebatte im Bundestag:Eingelullt in Merkels Bremszone

Kanzlerin Merkel wirkt auf die Menschen wie die Obst- und Gemüseabteilung im Supermarkt. Auch bei der Generaldebatte im Bundestag heißt es nun: Tempo raus - und Kaufhausgedudel an. Damit ja auch alle ihre Werbebotschaften schlucken. Wer da nicht mitspielt, wird gemaßregelt. Zählen noch Argumente gegen Lull und Lall? Das war gestern.

Thorsten Denkler, Berlin

Merkel nimmt erst mal die Luft aus der Debatte im Bundestag. Zuvor hat SPD-Chef Sigmar Gabriel gesprochen. Laut, provokant: Die Kanzlerin sorge für einen "Zwei-Fronten-Krieg" in der Euro-Zone. Sie navigiere mit kaputtem Kompass. Kann sie ja machen. "Aber in See stechen würde ich damit nicht", lästert er. Durchaus launig und mit Tempo das Ganze. Nur was nützt der schönste Angriff, wenn der Gegner nicht reagiert?

In guten Supermärkten gibt es die - von findigen Verkaufsprofis erfundene - Bremszone, direkt hinterm Eingang. Das ist der Obst- und Gemüsebereich. Wer aus dem hektischen Alltag dort hineingerät, der muss erst mal einen Gang zurückschalten. Dann lullt einen noch Gema-freie Kaufhausmusik ein. Und plötzlich wirken die Verführungen der Werbeindustrie.

So ist es auch mit Merkel. Gabriel macht Tempo. Merkel macht die Bremszone und lullt den Plenarsaal ein. Fast eine halbe Stunde spricht sie zum Euro, reiht Detail an Detail. Was den Eindruck von totalem Durchblick vermittelt. So verkauft die Säusel-Kanzlerin den Menschen im Land, dass sie immer noch hart gegen Euro-Bonds steht. Dabei gibt es die de facto längst, seit die europäische Zentralbank wie irre Schrottanleihen angeschlagener Euro-Staaten aufkauft. Aber das steht nur im Kleingedruckten auf der Packungsrückseite.

Ein neuer Witz im Bundestag

Die CDU-Chefin macht dann den Blumenstrauß-Trick und zählt die vermeintlichen Erfolge der Koalition durch alle Politikbereiche hindurch aus. Nur das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz fehlte noch. Und wer dann immer noch nicht schlucken will, dass ihre Politik die Richtige ist, der wird gemaßregelt. So kanzelt sie die Kritik der Opposition am Betreuungsgeld einfach, trocken und schlicht ab: "Jetzt akzeptieren Sie das doch mal!" Mit Argumenten hat sie es ja seit einiger Zeit nicht mehr so.

Im Bundestag kursiert schon ein neuer Witz: Nach dem sogenannten Struck'schen Gesetz (Kein Gesetz kommt aus dem Bundestag heraus wie es hineingekommen ist) gebe es jetzt das Merkel'sche Gesetz: Alles läuft wie sie es will. Debatte unerwünscht.

Dabei war die Generaldebatte zum Bundeshaushalt immer das, was der politische Aschermittwoch für Bayern ist. Da wird geholzt, geklotzt, gehobelt und gepoltert. Da wird der politische Gegner im besten Fall so am Nasenring durch die Manege geführt, dass es eine Gaudi ist.

Was haben sich da einst Kohl und Fischer gefetzt. Oder Schröder und Friedrich Merz. Auch Guido Westerwelle. Gegen den lässt sich ja viel sagen. Aber dass er einschläfernde Reden gehalten hätte eher nicht.

Eine völlig zerfaserte Rede

Merkel aber hat an Verbalschlachten keinen Spaß. Sie versteckt das nicht mal. Damit wenigstens etwas hängenbleibt, muss ihr Regierungssprecher Steffen Seibert via Twitter nachhelfen: Angeblich hat Merkel in ihrer Rede eine "Zukunftsdebatte" angestoßen. "Demographie und Wachstum miteinander verbinden." Richtig, da war etwas. Ist nur leider vor lauter Kaufhausgedudel etwas untergegangen.

German Chancellor Angela Merkel speaks during a federal budget debate in Bundestag in Berlin

Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Rede im Bundestag: "Jetzt akzepieren Sie das doch mal!"

(Foto: REUTERS)

Merkel ist nicht unangreifbar, aber sie lässt sich nicht angreifen.

Wobei ihr zuzugestehen ist: Die Opposition macht es ihr auch nicht besonders schwer. Nach Merkel spricht Linke-Chef Klaus Ernst. Aber der sagt, was er immer sagt: Mindestlohn, weniger Geld für Reiche, mehr Geld für Arme. Ansonsten überall Abzocker und Betrüger. Mit jeder Minute die Ernst spricht, wächst das Verständnis für die zwei Drittel Koalitionsabgeordneten, die das Plenum zu Beginn seiner Rede verlassen haben.

Nicht viel besser ist Renate Künast von den Grünen. Eine völlig zerfaserte Rede hält sie; sie weiß offenbar selbst nicht so recht, worauf sie hinauswill. Wie üblich bringt sie das altbekannte Bettvorleger-Bild. Die Regierung und vor allem Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sei beim Thema Mindestlohn als Tiger gesprungen und so weiter.

Das hat Künast gefühlt schon in hundert Reden eingebaut. Da helfen nur Kraftausdrücke. Das Betreuungsgeld sei "haushälterisch bekloppt". Sie endet ihre Rede mit der gleichen Pointe wie Gabriel (nicht in See stechen mit kaputtem Kompass). Künast aber fehlt das Timing, sie verhaut den Witz. CDU-Fraktionschef Volker Kauder schaut mitleidig zu Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hinüber.

Zumindest hat FDP-Chef, sorry, Fraktionschef Rainer Brüderle die Erwartungen weitgehend erfüllt. Der kalauert, dass sich die Balken biegen. Trittin und Volkswirtschaft, "da prallen zwei Welten aufeinander", witzelt er. Oder an die Adresse der Grünen gerichtet: "Wer Technikfeindlichkeit sät, wird Piraten ernten."

Nett, aber wenn das die Höhepunkte einer Generaldebatte sind, dann kann man die beim nächsten Mal auch einfach ausfallen lassen.

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