Geldpolitik:Problem mit vier Buchstaben: Cash

Geldpolitik: So schnell wird Politik zur Straßenkunst: Nur Tage nach der Blitzreform posiert ein Mann mit nachgemachten Rupien-Banknoten.

So schnell wird Politik zur Straßenkunst: Nur Tage nach der Blitzreform posiert ein Mann mit nachgemachten Rupien-Banknoten.

(Foto: Indranil Mukherjee/AFP)

Premier Modi will Korruption bekämpfen und hat deshalb verfügt, dass alle Bürger kurzfristig ihr gesamtes Bargeld umtauschen müssen. Nun ist der Geldfluss ins Stocken geraten.

Von Arne Perras

Würde man alle Rupien-Noten, die Indien derzeit aus dem Verkehr zieht, aufeinanderstapeln, so türmten sie sich etwa 300-mal so hoch wie der Mount Everest. Das hat die Nachrichtenagentur Bloomberg errechnet, um ein Bild davon zu vermitteln, wie viele wertlose Scheine das Land nach seiner Bargeldreform vernichten muss: 23 Milliarden Stück. Die Inder treibt allerdings etwas ganz anderes um: Wo bleiben die gültigen Noten? Wie lange müssen sie den neu gedruckten Rupien-Scheinen noch hinterherlaufen? Wann spucken die Bankautomaten wieder Bargeld für alle aus?

Indien hat ein Problem, und es lässt sich in vier Buchstaben gießen: Cash. Viel zu wenig Bargeld ist im Umlauf, seitdem Indiens Premier Narendra Modi vor drei Wochen den Alltag seines Milliardenvolkes auf den Kopf gestellt hat. In der Nacht, in der die ganze Welt gebannt auf die Wahl in den USA starrte, hat der indische Regierungschef ein mutiges - manche sagen: waghalsiges - Experiment gestartet. Am Abend des 8. November verkündete er im Fernsehen beinahe beiläufig, dass der Staat von Mitternacht an alle 500er- und 1000er- Scheine aus dem Verkehr ziehen wird. Vier Fünftel der umlaufenden Bargeldmenge erklärte der Staat abrupt und ohne Vorwarnung zu nutzlosem Papier, umgerechnet 224 Milliarden US-Dollar.

Es ist ein beispielloses Husarenstück. Modi attackiert damit die mächtige Schattenwirtschaft, er will all jene treffen, die große Mengen Schwarzgeld bunkern. Was manche anfangs noch als "Glanzstück" eines furchtlosen Machers feierten, stellte die Massen jedoch sehr bald auf eine harte Probe. Alles läuft deutlich zäher als gedacht. Das setzt Modi unter Druck. Die lange kraftlos wirkende Opposition fühlt sich jedenfalls beflügelt. Für Montag haben Modis Gegner zu Massenprotesten aufgerufen, die Aktionen gelten als aktuelles Frust-Barometer und dürften eine Vorstellung davon vermitteln, wie viel Unmut sich breitgemacht hat im Land.

Viele finden es gut, wenn der Staat Betrügern zu Leibe rückt. Aber Opferbereitschaft hat Grenzen

Bislang fiel auf, wie stoisch und ruhig die Inder all diese Härten ertragen, von gelegentlichen Wutausbrüchen vor den Banken abgesehen. Das liegt daran, dass sehr viele es gut finden, wenn der Staat ernsthaft allen Schummlern, Geldwäschern und Steuerbetrügern zu Leibe rückt. Offen ist aber, wie lange die Opferbereitschaft noch trägt. Und es fällt Experten schwer, die langfristigen Folgen abzuschätzen.

Ex-Premier Manmohan Singh, der mal Finanzminister war und einst die indische Ökonomie behutsam öffnete, geißelte den Schritt seines Nachfolgers als "monumentales Missmanagement". Singh sprach gar von "organisierter und legalisierter Plünderei" und schätzte, dass Indiens Bruttosozialprodukt zwei Prozentpunkte verlieren könne. Anfang 2017 halten mehrere indische Bundesstaaten Wahlen ab, sodass es niemanden wundern muss, wenn die Cash-Krise nun die Opposition munitioniert.

Zugleich muss die Masse der Inder immer noch Schlange stehen. Altes Geld können die Bürger bis zu einer Höhe von 3500 Euro auf ihre Konten einzahlen, neue Scheine lassen sich an den Bankautomaten abheben. Vermögendere haben es da leichter. Sie können einen Tagelöhner anheuern, der sich an ihrer Stelle einreiht, dafür gibt es sogar eine App: "Book my Chotu", was so viel heißt wie: "Buch meinen Laufburschen". Der Name hat Kritik ausgelöst, weil er nach Ausbeutung und Kinderarbeit klingt. Doch Gründer Satjeet Singh Bedi verteidigt sich: "Wir nennen auch unsere kleineren Brüder und Schwestern Chotu", deshalb könne sich jeder mit dem Namen identifizieren. "Unsere Mitarbeiter sind alle volljährig. Und keiner von ihnen hat was an dem Namen auszusetzen." 550 Rupien, 7,50 Euro, kostet es, jemanden acht Stunden Schlange stehen zu lassen.

Im digitalen Zeitalter gibt es fast nichts, wofür ein indisches Start-up noch keine App entwickelt hätte. Doch das Herbeizaubern neuer Geldnoten ist nun mal die ureigene Aufgabe des Staates. Der ächzt unter seiner Blitzreform, "Demonetisierung" genannt. Die Medien berichten täglich von Pannen, Verzögerungen und ständig wechselnden Direktiven, die das Volk verunsichern. Ganz schwierig ist es für all jene, die gar kein Bankkonto besitzen und sich, obgleich sie arm sind, jetzt auch noch Hilfe erkaufen müssen, um an Geld zu kommen.

Nutzt oder schadet die Reform der Wirtschaft? Ökonomen sind sich uneins

Mit jedem Tag wird deutlicher, welch ein Wagnis der Premier mit dem Geldwechsel politisch eingegangen ist. Kann er sich als Anti-Korruptionskämpfer profilieren, so dürften sich die kleinen Leute daran noch lange erinnern, Modi würde politisch profitieren. Andererseits sind es gerade die kleinen Händler, Unternehmer und Tagelöhner, die er mit der Blitzreform am stärksten belastet. Er hat um deren Geduld gebeten. In seiner monatlichen Radioansprache sagte Modi am Sonntag: "Ich möchte meinen Brüdern und Schwestern unter den Kleinhändlern sagen, dies ist eure Chance, ins digitale Zeitalter einzusteigen". Dem Premier schwebt eine weitgehend bargeldlose Gesellschaft vor, doch selbst wenn er dieses Ziel nun konsequent vorantreibt, so nützt das den unteren Schichten in der akuten Krise nichts. Außerdem war es kaum im Sinne des Erfinders, dass jetzt viele Bankkonten, deren Einrichtung Modi den Ärmsten ermöglicht hat, offenkundig dafür herhalten, nicht deklariertes Geld aufzusaugen und reinzuwaschen. Der Besitzer eines solchen Kontos, der oft selbst keine Einlagen hat, braucht es nur unter der Hand gegen eine Kommission zu vermieten. Ob der Staat Wege findet, dies zu ahnden, ist unklar.

Wird Indien an der drastischen Therapie tatsächlich gesunden, wie Modi es verspricht? Ökonomen sind uneins. Kaushik Basu, früherer Chefökonom der Weltbank und inzwischen Professor an der Cornell University, glaubt, dass die "Kollateralschäden" der Aktion den möglichen Nutzen überwiegen. Sein indischer Kollege Rajiv Kumar vom "Centre for Policy Research" in Delhi hält es hingegen für richtig, jetzt Opfer zu bringen und kurzfristig Einbußen in Kauf zu nehmen, wenn es dabei hilft, die Ökonomie langfristig vom Geschwür der Schattenwirtschaft zu befreien. Einig sind sich fast alle, dass sich der Kampf gegen die Schattenwirtschaft nicht mit diesem Geldwechsel erschöpfen darf, dass Indien seinen bürokratischen Apparat besser aufstellen muss, um Steuerbetrug, Korruption, Geldwäsche und versteckte Geschäfte zu bekämpfen. "Es geht auch darum, dass viele Inder ihre Einstellung zum Schwarzgeld ändern müssen", sagt Kumar. Andernfalls könnte es geschehen, dass neue Scheine bald gehortet werden wie vorher die alten.

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