Stuttgart 21: Geißlers Schlichterspruch:Das Orakel von Stuttgart

Bauen oder nicht bauen, Kopfbahnhof oder Durchgangsbahnhof? Nach sechs Wochen und acht Vermittlungsrunden in Stuttgart haben sich die Gemüter abgekühlt. Nun sieht es ganz nach einem "Bauen, aber" aus: Heiner Geißler bahnt den dritten Weg und verkündet am heutigen Dienstag seinen Schlichterspruch.

Martin Kotynek, Stuttgart

Bevor Heiner Geißler vor zwei Monaten nach Stuttgart kam, gab es im Konflikt um den geplanten neuen Bahnhof nur zwei Meinungen: bauen oder nicht bauen. "Bauen", sagten die Projektbetreiber, weil Stuttgart 21 eines der am besten geplanten Bahnprojekte, ja überhaupt ein Jahrhundertprojekt sei, von Parlamenten beschlossen, von Gerichten genehmigt - und daher alternativlos.

"Nicht bauen", weil der neue Bahnhof zu teuer und schlechter als der bestehende Kopfbahnhof sei, sagten die Gegner; sie riefen es auf der Straße, sie brüllten es den Polizisten im Schlossgarten ins Gesicht, so lange, bis es dort plötzlich mehr als 100 Verletzte gab.

Mit Heiner Geißler und seiner Schlichtung kam Frieden nach Stuttgart. Und nach acht Vermittlungsrunden, nach langen Expertendiskussionen über durchgebundene Züge, verkürzte Durchrutschwege, sensitive Randbedingungen und andere Stilblüten aus dem Bahn-Deutsch scheint die suggerierte Alternativlosigkeit einer dritten Möglichkeit gewichen zu sein: "Bauen, aber mit Auflagen"- die Chance eines Kompromisses.

Durchsetzen konnte sich keines der beiden Lager. Da sind auf der einen Seite die Gegner, deren Alternativkonzept zu Stuttgart 21 in sechs Wochen zu einem Vorschlag reifte, dem auch die Bahn einen umsetzbaren Fahrplan attestierte. Die Gegner wollen den bestehenden Kopfbahnhof sanieren und ausbauen. Doch die Kosten ihres Projekts und die Chancen in einem Planfeststellungsverfahren blieben offen. Auf der anderen Seite ist die Bahn, die am Ende der Schlichtung wohl ihre Werbebroschüren neu drucken muss. "Der neue Durchgangsbahnhof wird eine höhere Leistungsfähigkeit haben", heißt es dort, das Milliardenprojekt sei also besser als der bestehende Kopfbahnhof.

Der zentrale Beweis fehlt

Besser heißt mehr Züge, mehr Pünktlichkeit, mehr Kapazität - die Gründe, warum Milliarden an Steuergeld ausgegeben werden soll. Die Gegner haben den Fahrplanentwurf der Bahn analysiert und dabei festgestellt, dass unpünktliche Züge andere Züge blockieren und sich so Verspätungen immer weiter aufschaukeln. Die Bahn musste eingestehen, das prüfen zu müssen. Damit ist es der Bahn ausgerechnet für ihr zentrales Versprechen nicht gelungen, während der Schlichtung einen Beweis für die höhere Leistungsfähigkeit des unterirdischen Bahnhofs zu erbringen - das ist wohl das wichtigste Ergebnis der Vermittlungsgespräche.

Der Grund für diese Mängel sind offenbar Engpässe in den Zulaufstrecken zum geplanten Tiefbahnhof. Wegen der hohen Baukosten scheint die Infrastruktur sehr knapp bemessen zu sein. Da ist etwa die nur eingleisig geplante Wendlinger Kurve, bei der Züge aus Tübingen die Neubaustrecke nach Ulm blockieren, wenn sie zum Hauptbahnhof abbiegen wollen. Da sind fehlende Weichen im Flughafen-Regionalbahnhof, zwei fehlende Gleise im Hauptbahnhof, und die nur eingleisige Zufahrt zum Flughafen, kritisieren die Gegner. Empfiehlt Heiner Geißler in seinem Schlichterspruch an diesem Dienstag ein "Bauen, aber", so ist nicht auszuschließen, dass er diese Kritikpunkte dabei berücksichtigt.

Die Bahn betont, dass sie theoretisch von Mittwoch an weiterbauen darf. Vorsorglich hat die Gegner-Initiative "Parkschützer" für Samstag zu einer Demonstration aufgerufen. Von der Reaktion von Regierung, Bahn und Gegnern auf das Urteil des Schlichters wird abhängen, ob der Geißler'sche Friede im Weihnachtsfrieden seine Fortsetzung findet.

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