Geheime Kungelrunde:"Sie müssen uns grillen"

Lesezeit: 2 min

Was geschieht bei den Beratungen im Vermittlungsausschuss tatsächlich? Es gehört zu den Gerüchten, die durch Berlin wabern, dass die Entscheidungen dieses Gremiums durch niemanden kontrolliert werden.

Von Ulrich Schäfer und Robert Jacobi

(SZ vom 12.12.2003) Nichts ist geheim, alles wird registriert, selbst der Gang zur Toilette. Oder an den Tresen in der Cafeteria des Bundesratsgebäudes. Dort steht dann Wirtschaftsminister Wolfgang Clement mit anderen Genossen und verspeist ein paar Wiener Würstchen, während die Union eine Sitzungsunterbrechung beantragt hat, um über einen neuen Vorschlag zu beraten.

Es wird oft unterbrochen, also kommt oft jemand heraus. Und auch sonst schlüpft, sobald sich im Saal 1128 etwas bewegt, irgendein Unterhändler durch die Tür, stellt sich vor die Mikrofone im Foyer und erklärt, worüber nur 30 Meter entfernt gerade verhandelt wird.

Der "Knutscher" Henning Scherf

Henning Scherf, seit einer Woche der neue Vorsitzende im Vermittlungsausschuss, taucht alle drei Stunden auf. Jedes Mal berichtet er, warum er optimistisch ist.

Der Bremer Bürgermeister, den sie daheim den "Knutscher" nennen, weil er alle in den Arm nimmt, macht das auf eine so launige Art, dass auch seine Zuhörer wieder ein wenig optimistischer dreinblicken: "Sie schauen mich so erwartungsvoll an, wie meine Enkelkinder kurz vor Weihnachten", sagt er dann.

Die Eigernordwand, das ist die Steuerreform

Ludwig Stiegler kommt noch häufiger. Stiegler ist beliebt bei jenen, die den Menschen draußen am Fernseher erklären müssen, was im Saal 1128 passiert, denn der Bayer ist immer gut für ein prägnantes Zitat.

Er sagt so schöne Sätze wie: "Wir haben das Vorgebirge durchwandert und allmählich beginnt nun der steile Anstieg. Aber wir werden die Eigernordwand schon noch besteigen."

Die Eigernordwand: Das ist die Steuerreform. Der steile Anstieg: Das sind Hartz IV und die Gewerbesteuer, das Tarifrecht und der Kündigungsschutz. Immerhin: Es geht voran im Saal 1128, allen Gerüchten zum Trotz. Und jene, die draußen warten, sind überrascht, dass drinnen nicht die Fetzen fliegen.

Stieglers flammende Rede

Es werden, sagt Peer Steinbrück, "keine agitatorischen Reden gehalten werden". Ruhig und sachlich werden die Themen abgearbeitet, das berichten alle, die dabei sind.

Nur einmal, da wurde doch agitiert. Es ging um die Tarifautonomie, eine Herzensangelegenheit der Union. Der Wirtschaftminister wäre hier zu Kompromissen bereit, die SPD-Fraktion nicht.

Also hielt Ludwig Stiegler eine flammende Rede: "Sie müssen uns jetzt grillen", warf er den Unions-Unterhändlern vor. Die wiederum erzählten nachher, Stiegler habe "einen detaillierten historischen Abriss über die deutsche Arbeiterbewegung von 1920 bis heute geliefert".

Im Saal wird nicht nur verhandelt. Wer etwas mit seiner Frau zu besprechen hat oder mit dem eigenen Ministerpräsidenten, greift einfach zum Handy, während die anderen weiter debattieren.

"Wir brauchen keinen Gipfel", sagen alle

Besonders häufig sieht man Erwin Huber am Telefon, den bayerischen Staatsminister.Immer wieder bespricht er sich mit Edmund Stoiber: "Der macht die Telekom reich", spotten selbst Unionsleute.

Weil die Themen kompliziert sind, haben sich die 32 Ausschussmitglieder gleich zu Beginn auf eines geeinigt: auf möglichst viele Sitzungstermine. Am Mittwoch wurde bis tief in die Nacht verhandelt, am Donnerstag ebenfalls.

Am Freitag geht es tagsüber weiter, am Sonntag abends - und am Montag notfalls auch. "Wir brauchen keinen Gipfel", sagen alle. Die selbstbewussten Vermittler wollen die Sache selber regeln. Ohne Kanzler, ohne Spitzengespräch.

Kauder schützt Chirurgiemechaniker

Und vielleicht gelingt das ja auch. Volker Kauder jedenfalls, der Chefunterhändler der Union, durfte sich am Donnerstag über einen ganz persönlichen Verhandlungserfolg freuen. Wirtschaftsminister Clement willigte ein, nicht nur für 38, sondern für 39 Berufe den Meisterbrief zu erhalten.

Der 39. Beruf, das sind die Chirugiemechaniker. Wer im Internet bei der Bundesanstalt für Arbeit nachforscht, findet schnell heraus, wo in Deutschland das Zentrum für diesen Beruf liegt: Die meisten Skalpelle, Pinzetten, Sonden und künstlichen Hüftgelenke werden in der Region Tuttlingen produziert - im Wahlkreis von Kauder.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: