Geheimdiplomatie im Fall Chodorkowskij:In stiller Mission

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Hans-Dietrich Genscher kennt Michail Chodorkowskij seit Ende der Neunzigerjahre. Er wurde für einen Bekannten um Hilfe gebeten - und sagte zu.

(Foto: AFP)

Er ist ein angesehener Ex-Diplomat, der sich auf sein Bauchgefühl verlässt. Warum Chodorkowskijs Anwälte ausgerechnet den früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher um Hilfe baten, um ihren Mandanten freizubekommen.

Von Stefan Braun

Am Anfang steht für Hans-Dietrich Genscher ein Anruf aus Berlin. Es ist nicht die Kanzlerin, es ist nicht der russische Botschafter. Im Mai 2011 meldet sich Alexandra Hildebrandt beim deutschen Ex-Außenminister. Hildebrandt, eine gebürtige Ukrainerin, ist die rührende, manchmal nervige, auf alle Fälle aber leidenschaftliche Leiterin des Berliner Mauermuseums. Das Haus steht am Checkpoint Charlie, dem Ort im einst geteilten Berlin, wo sich während der Kubakrise 1962 amerikanische und sowjetische Panzer gegenüberstanden.

Im Museum von Hildebrandt kann man an alten Zeugnissen studieren, wie die Mauer Berlin spaltete. Es ist ein ungewöhnlicher Ort.

Und es ist ein ungewöhnlicher Anruf. Hildebrandt hat ein besonderes Anliegen: Sie kennt Michail Chodorkowskijs Anwälte aus London. Sie möchten Genscher sprechen. Sie suchen nach einem angesehenen Ex-Diplomaten, der ihnen vermittelnd helfen könnte. Obwohl nicht sonderlich fit, fährt Genscher nach Berlin.

Er kennt Chodorkowskij seit Ende der Neunzigerjahre, damals ist der frühere Außenminister Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und hat für den russischen Öl-Oligarchen sogar eine Pressekonferenz im Berliner Hotel Adlon organisiert. Genscher wird für einen Bekannten um Hilfe gebeten - und sagt zu.

Es folgt ein Telefonat mit Angela Merkel. Genscher bittet die Kanzlerin, es ist Sommer 2011, um Unterstützung. Er möchte keinen Brief schreiben, er will die russische Führung persönlich treffen, um ein Gefühl zu entwickeln, ob die Sache überhaupt eine Chance hat. Seine Bitte: Merkel solle ganz klarmachen, dass er nicht etwa über atomare Abrüstung, sondern über eine Freilassung Chodorkowskijs sprechen möchte.

Vier-Augen-Gespräch mit Putin am Flughafen

Das Kanzleramt antwortet ebenso klar: Ja, man werde ihn unterstützen, aber Genscher solle warten, bis Wladimir Putin wieder Präsident ist. Davor, so die Einschätzung, werde man nicht viel erreichen.

Als Putin nach seiner Rückkehr ins Präsidentenamt Anfang Juni 2012 kurz nach Deutschland kommt, spricht Merkel ihn an - und Putin spricht mit Genscher. Der Ort ist ein kleines Zimmer am Berliner Flughafen, 45 Minuten reden die beiden unter vier Augen.

Danach gibt es zwar keine Zusagen. Aber Genscher nimmt das Gefühl mit, dass die Sache nicht aussichtslos ist. In der Folge trifft er sich immer wieder mit Chodorkowskijs Anwälten, meistens kommen sie nach Deutschland.

Die Sache ist kompliziert, weil es nur einen Verbindungsmann der Anwälte im Norden Russlands gibt, der Chodorkowskij im Lager besuchen und den Kontakt aufrechterhalten kann.

In der Folgezeit werden verschiedene Varianten durchgespielt, insbesondere die Frage, ob Chodorkowskij auf eine Revision setzen soll, ein Gnadengesuch schreibt oder gar ein Schuldeingeständnis akzeptiert, um endlich freizukommen. Letzteres kommt für ihn nie infrage, die anderen Varianten laufen am Ende auf ein Gnadengesuch hinaus. Allerdings legen seine Anwälte großen Wert darauf, dass das nicht einmal indirekt als Schuldeingeständnis interpretiert werden kann.

Erstmals das Wort Gnadenerweis

Immer wieder gibt es Bemühungen, mit Putin ins Gespräch zu kommen, immer wieder erinnert vor allem Merkels außenpolitischer Berater Christoph Heusgen seinen Kollegen in Moskau, Jurij Uschakow, an Genschers Willen, im Fall Chodorkowskij weiterzukommen. Wie es heißt, reist Genscher auch selbst zu Putin nach Moskau. Stets mit dem Gefühl, dass es klappen, aber auch schiefgehen kann.

Dann kommt der Spätsommer 2013. Genscher will noch einen Versuch starten. Keinen Besuch, er will Putin einen persönlichen Brief schreiben und bringt Chodorkowskijs Anwälte dazu, dass der Häftling ebenfalls ein Schreiben verfasst, das Genscher seinem Brief beifügt.

Es ist das Schreiben, in dem erstmals das Wort Gnadenerweis auftaucht. Genscher bekommt nicht gleich eine Antwort. Aber er liest das als gutes Zeichen. Am 12. November folgt der Akt, der manches beschleunigt: Chodorkowskij unterzeichnet im Gefängnis eine quasi offizielle Bitte um einen Gnadenerweis des russischen Präsidenten.

Es muss ein privates Flugzeug sein

Genscher ruft seinen Freund, den Unternehmer Ulrich Bettermann, an. Es könne sein, dass er bald eine private Maschine bräuchte, Bettermann möge ihm doch helfen und alles vorbereiten. Um was und wen es geht, verschweigt Genscher.

Dann kommt der Donnerstag dieser Woche, es ist Nachmittag, bei Genscher klingelt das Telefon. Es ist der Moskauer Anschluss von Putins Berater Uschakow, am Apparat ist der deutsche Botschafter. Die Nachricht ist knapp: Chodorkowskij komme am Freitag früh frei und könne in Sankt Petersburg abgeholt werden. Bedingung: Keine Regierungsmaschine, es muss ein privates Flugzeug sein. Genscher ruft sofort bei Bettermann an, nicht mal 24 Stunden später begrüßt Genscher den Ex-Häftling auf dem Rollfeld in Berlin-Schönefeld.

Am Wochenende heißt es in Berliner Regierungskreisen, man solle sich nichts vormachen, am Ende sei Chodorkowskijs Freilassung vor allem Putins Entscheidung und Kalkül gewesen, weil er sich vor Olympia ein besseres Image erhoffe. Trotzdem habe Genscher sehr geholfen. Letzteres betont auch Chodorkowskij am Sonntag noch einmal ausgiebig. Er tut es auf einer Pressekonferenz. Nicht zufällig im Berliner Mauermuseum.

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