Geheimdienste:Wechselspiele mit Herrn Müller

Ein Demonstrant der als Auge verkleidet ist hält während der Kundgebung BND an die Kette am 05 09 20

Das Auge des Gesetzes: Protest gegen Massenüberwachung.

(Foto: imago/Markus Heine)

Es wird spekuliert, dass der BND-Vizepräsident Geheimdienstaufseher des Bundestags werden könnte. Das zeigt, dass einflussreiche Politiker von Transparenz wenig halten.

Von Hans Leyendecker und Ronen Steinke

Mitte Juni vorigen Jahres war BND-Vizepräsident Guido Müller, 49, Zeuge im NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek interessierte sich, wie Müller es so geschafft habe, jahrzehntelang zwischen Kanzleramt und BND hin- und herzuwechseln. Das Kanzleramt übe doch die Dienst- und die Fachaufsicht über den Nachrichtendienst aus.

"Ich arbeite für dieses Land" antwortete Müller. Frage: "Kein Loyalitätsproblem?" - "Nein, ich antworte für das Land." Später fügte Müller noch hinzu, er sei Beamter und "diene diesem Land".

In diesen Tagen lösen angebliche Wechselabsichten Müllers echte Irritationen in Berlin aus. Der Vizepräsident wolle, meldete der Sender RBB, die Seiten wechseln und künftig im Bundestag den BND als "unabhängiger" Geheimdienstbeauftragter kontrollieren. Die zuständigen Fachpolitiker der Union hätten sich auf Müller verständigt. Und eine Nachrichtenagentur wollte gleich erfahren haben, dass Müller in der Union für diesen Posten vorgeschlagen werde.

Die Spitze der Union reagierte prompt: "Die Personalie ist mit mir noch nicht besprochen worden", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer (CDU). Zunächst gehe es um Inhalte. Dann erst um die personelle Besetzung, und "über die haben wir noch nicht geredet."

Müller sagte zu all den umlaufenden Geschichten über Müller nichts. Eine Anfrage blieb jedenfalls unbeantwortet. "Unsere Quellen sind keine Lämmer", hat er mal über BND-Informanten gesagt.

Also eine Geschichte aus dem Milieu. Wer wie was warum im Fall Geheimdienstbeauftragter lanciert hat, beschäftigte am Dienstag die Experten in Berlin. Desinformation? Wahrheit? Versuchsballon?

Die Vorstellung, dass ein BND-Vize zum Geheimdienstbeauftragten des Parlaments mutieren könnte, löste auch in der SPD, dem Koalitionspartner der Union, Verblüffung aus. "Grundsätzlich würden mir durchaus noch weitere geeignete Persönlichkeiten einfallen", erklärte offiziell und höflich der SPD-Abgeordnete Konrad Lischka. Sein Parteikollege Flisek riet dem Koalitionspartner Union kühl zu "Augenmaß" bei dieser Personalie. Sprich, ein Kandidat Müller wäre maßlos überzogen. In Hintergrundgesprächen gab es von anderen Fachleuten deutlich härtere Töne zu hören. Dass einer vom BND nicht für das Parlament den Dienst kontrollieren könne, war noch eine der netteren Erklärungen. Sehr beliebt scheint der Vize nicht zu sein.

Die in Teilen auch bizarre Debatte um die Personalie sagt einiges über Berlin, aber mehr noch über die Atmosphäre in der Hauptstadt aus, wenn es um Geheimdienste in Zeiten des Terrorismus geht. An dem Plan hat sich im Groben nichts geändert. Anfang 2017 soll, wenn bis dahin das Gesetzespaket zur BND-Reform in Kraft getreten ist, ein Bevollmächtigter vom Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages eingesetzt werden. Der Neue soll dem Kontrollgremium zuarbeiten, drei neue Referate sollen geschaffen werden.

Bei den Überlegungen, wer eine solche Aufgabe am besten erfüllen könne, schwärmten die Planer des Projekts von Bundesrichtern, Bundesanwälten, Professoren. Also Leuten mit hoher Integrität und großer Eigenständigkeit. Von einem auf Unabhängigkeit trainierten Bundesrichter zu dem BND-Hausgewächs Müller, der zwischen Dienst und Kanzleramt munter wechselte, ist schon ein großes Loch.

Es gibt in Berlin, angeführt von dem früheren Bundesinnenminister und heutigen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, eine Gruppe einflussreicher Unionspolitiker, die von den geplanten Reformen nicht gerade begeistert sind. Sie verweisen auf die Bürokratie, die ein Mehr an Transparenz und Kontrolle mit sich bringen würden. Der Auslandsnachrichtendienst würde sich nichts mehr trauen, zudem würde das Parlament die Aufgabe der Exekutive übernehmen: die Kontrolle des BND. Man bekäme, heißt es in diesen Kreisen, einen "Parlamentsgeheimdienst". Angesichts der Gefahr des islamistischen Terrorismus gebe es andere Probleme als die Frage, wie der Geheimdienst besser durchs Parlament kontrolliert werden könnte.

Aber bislang hat niemand die Bremse von oben gezogen, und es sieht auch so aus, dass niemand sie ziehen will. Wenn die Kontrolle nicht funktioniere, leide letztlich der Bundesnachrichtendienst, hat in diesen Tagen der ehemalige BND-Präsident Gerhard Schindler vor dem Innenausschuss des Bundestages erklärt.

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