Geheimdienste:Die Rolle, keine Rolle zu spielen

Geheimdienste: Das damalige Echelon-Abhörsystem in Bad Aibling-Mietraching

Das damalige Echelon-Abhörsystem in Bad Aibling-Mietraching

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Das Spionagegewerbe ist offenbar die einzige Branche, die versagt, daraufhin mehr Geld und Personal haben will - und das dann auch bekommt. Weniger Erfolg haben sie in ihrer Arbeit: Meistens liegen sie daneben, manchmal sogar haben sie keinen Schimmer, was eigentlich läuft.

Von Hans Leyendecker

Zum Wesen von Geheimdiensten gehören Geheimnis und Geheimhaltung. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit befreundeten Diensten. Vermutlich war vor den Enthüllungen Edward Snowdens dem Bundesnachrichtendienst (BND) tatsächlich nicht en détail bekannt, über welchen Internetknoten und welches Glasfaserkabel die amerikanischen und die britischen Dienste die meisten ihrer Erkenntnisse über deutsche Staatsbürger sammeln. Und die Namen der Programme "Prism" oder "Tempora" waren den deutschen Partnern vermutlich auch fremd. In dieser Branche verrät man keine Quellen.

"Wir erfahren in der Regel nichts Genaues über die nationalen Programme der Partnerdienste", sagt ein früherer hochrangiger Nachrichtendienstler, der bis vor Kurzem noch im Dienst war. Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, die Deutschen hätten von der Schnüffelpraxis der anderen keine Ahnung gehabt, wäre "falsch, töricht und naiv. Man muss nicht wissen, wie das Programm heißt, aus dem das Material kommt. Man muss nur wissen, was für Möglichkeiten es gibt." Ahnungslos sei der BND "sicherlich nicht gewesen".

Meistens sind die US-Dienste die Bestimmer

Am Montag berichtete Bild unter Berufung auf amerikanische Geheimdienstkreise, der BND habe in den vergangenen Jahren bei Geiselnahmen in Jemen und Afghanistan mehrmals gezielt um die von der NSA gespeicherten Internetdaten der entführten Deutschen gebeten. Auf diese Weise sollten die letzten Kontakte der Gekidnappten und mögliche Hintergründe der Entführung recherchiert werden. Die Daten seien in die Arbeit der Krisenstäbe eingeflossen. Ein Freund ist zur Stelle, wenn der andere in Not ist - oder?

"Befreundeter Dienst", so steht es in einem einschlägigen Lexikon, ist der "nachrichtendienstliche Ausdruck für einen ausländischen Nachrichtendienst, mit dem über den Einzelfall hinaus, insbesondere durch den Austausch von Informationen, zusammengearbeitet wird." So arbeiten der BND und die NSA schon mal in Einzelfällen bei "Joint Operations" gemeinsam und am Horchposten in Bad Aibling in Oberbayern kooperieren BND und NSA beim Abhören von Telefonaten aus Nordafrika und dem Hindukusch. Aber das sind Einzelfälle. In der Praxis geben US-Dienste die Regeln vor, sie sind die Bestimmer - Freundschaft meint auch Herrschaft.

Am intensivsten arbeiten beispielsweise NSA und CIA mit den englischen Diensten zusammen. Je nach Lage ist die Kooperation mit den Israelis mal ziemlich eng, mal weniger eng. Die Deutschen werden etwas besser bedient als die Franzosen, aber das muss nichts bedeuten. Im Kalten Krieg war Deutschland der Hinterhof amerikanischer Dienste, und ein bisschen ist das so geblieben. Es gibt drei amerikanische Geheimeinstufungen: geheim, streng geheim - und nichts für die Deutschen. Das wird traditionell damit begründet, dass es in Deutschland immer wieder Lecks gibt, aber Lecks gibt es eigentlich überall.

Beim Selbstlob der Spione ist Misstrauen angebracht

Viel wichtiger als die Geheimnis-Sperenzchen der Dienste ist aber die Frage, was hinten rauskommt. Und da ist die Erfahrung eindeutig: Es ist viel weniger, als die Dienste behaupten, und die Geschichten von den angeblichen Erfolgen sind meist Mythen und Legenden, um Politik, Parlamente und Öffentlichkeit von der Notwendigkeit und dem Wert der Nachrichtendienste zu überzeugen. Zweifler bekommen die Antwort, sie hätten unrecht, weil sie nicht wüssten, was abgelaufen sei. Darüber dürften die Dienste leider nicht reden, weil die Angelegenheit geheim sei.

Nachgewiesenermaßen gibt es wenig wichtige historische Ereignisse in Friedenszeiten, bei denen Geheimdienste eine nennenswerte Rolle gespielt haben. Meist lagen sie daneben, manchmal sogar hatten sie keinen Schimmer, was da lief. Danach hatte es dann angeblich an Geld gefehlt, an Personal und vor allem an rechtlichen Möglichkeiten. Das Geheimdienstgewerbe ist die einzige Branche, die nach Fehlschlägen und Versagen mit der Forderung reagiert, mehr Geld und mehr Personal zu bekommen - und damit auch Erfolg hat. Misserfolge werden damit erklärt, dass die Informationen zwar korrekt gewesen, aber von anderen Leuten nicht richtig verstanden oder gar falsch analysiert worden seien.

Bluff, Propaganda oder Schlimmeres

Dass der irakische Diktator Saddam Hussein angeblich über riesige Arsenale von biologischen, chemischen und sogar atomaren Waffen verfüge und an Raketen mit beängstigender Reichweite bastele, war feste Erkenntnis der wichtigsten westlichen Dienste vor dem zweiten Irak-Krieg. Das war Bluff, Propaganda oder Schlimmeres. Nach dem gewonnenen Krieg stellte sich heraus, dass da vorher nichts war. Einige US-Geheimdienstler erklärten dann allen Ernstes, der Diktator habe schon gefährliche Massenvernichtungswaffen gehabt, aber sie rasch wegschaffen lassen. Nur selten gibt es die Gelegenheit, die Warnmeldungen und Analysen der Dienste und die Realität in einer Art Inventur zu vergleichen wie im Fall Irak.

Wenn Dienste in diesen Tagen zählen und erzählen, wie viele Anschläge sie angeblich verhindert hätten, ist tiefstes Misstrauen angebracht. Oft kommen Warnhinweise auf höchst unterschiedliche Weise zustande. Nicht selten auch durch die Apparate der Polizei. Manchmal sind die Warnungen übertrieben, manchmal stimmen sie. Es passiere aber immer wieder, dass die konkrete Gefahr übersehen werde, weil insbesondere die amerikanischen Dienste mittlerweile in einem "Meer an Informationen ersaufen", sagt der ehemalige hochrangig Sicherheitsbeamte.

Die Attentäter von Boston; der Attentäter in Fort Hood, der dreizehn Menschen tötete und vorher Kontakt mit Al-Qaida-Terroristen hatte; der Unterhosen-Bomber, vor dessen Radikalisierung sein Vater vergeblich gewarnt hatte: Die Dienste sagen, sie hätten keinen Schimmer gehabt, sie seien überrascht worden. Die "totale Bedrohung für Dienste", sagt er, bestehe in einem "erkennbaren Nachlassen der Gefahren". Und gegen diese Art Bedrohung würden die Dienste nun mit allen Mitteln angehen.

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