Zweiter Weltkrieg:Deutsche Denker halfen US-Geheimdienst gegen Hitler

WWII Germany Allied Invasion

Vorstoß nach Deutschland: US-Soldaten nach der Überquerung des Rheins im März 1945.

(Foto: picture alliance / AP)

Intellektuelle der Frankfurter Schule flohen vor den Nazis in die USA. Dort lieferten sie im Zweiten Weltkrieg präzise Analysen - für den Vorläuferdienst der CIA.

Rezension von Nicolas Freund

In der Rangliste akademischer Helden belegen die Mitglieder der Frankfurter Schule einige der vorderen Plätze. Wer als Student im Seminar irgendwie mit Adorno und Horkheimer daherkommt, kann auch heute noch bei einem Großteil seiner Kommilitonen Eindruck schinden, selbst wenn der Dozent in diesem Moment die Augen verdreht.

Dass mehrere Mitglieder der Frankfurter Schule im amerikanischen Exil während des Zweiten Weltkriegs für den US-Geheimdienst OSS (Office of Strategic Services) tätig waren, rundet das lässige Bild von den Wissenschaftlern fast hollywoodmäßig ab.

Das OSS in Washington war die Vorläuferorganisation der heutigen CIA. Die Forschungs- und Analyseabteilung des Geheimdienstes, für welche die Frankfurter damals tätig waren, hatte nach dem Kriegseintritt Amerikas 1941 in erster Linie die Aufgabe, "die ungeheure Flut von militärischen Informationen, die in Washington eingingen, zu sammeln, zu ordnen, zu analysieren und zu filtern", schreibt Raffaele Laudani im Vorwort zur Edition der Berichte, die 2013 an der Princeton University Press erschienen ist und die nun in deutscher Übersetzung vorliegt.

Während Adorno und Horkheimer in Kalifornien an ihrer "Dialektik der Aufklärung" arbeiteten, waren Franz Neumann, Herbert Marcuse und Otto Kirchheimer in eher prekären akademischen Positionen oder wenigstens auf der Suche nach einer solchen an der amerikanischen Ostküste beschäftigt.

Die Tätigkeit als Geheimdienstmitarbeiter kam für die drei gerade recht, denn obwohl einige geflohene deutsche und österreichische Intellektuelle an amerikanischen Universitäten untergekommen waren, hatten viele andere doch große Probleme, sich im fremden Land zu etablieren.

Im Fall der Mitglieder der Frankfurter Schule lag das auch daran, dass ihre Theorien zu Gesellschaft und Staat auf marxistischen Grundlagen aufbauten, was sie in den Augen mancher amerikanischer Kollegen und Regierungsvertreter zwar nicht gleich als Kommunisten, aber doch einer vorsichtigen Überprüfung würdig erscheinen ließ.

Leitfäden für die Aufhebung von NS-Gesetzen

Im Zuge der Mobilmachung nach Kriegseintritt konnte man es sich aber gar nicht leisten, Ressourcen wie die Mitarbeit kooperationsbereiter deutscher Intellektueller nicht zu nutzen - von denen dazu noch zwei, Neumann und Kirchheimer, eine für das Verständnis des NS-Staats wichtige juristische Ausbildung besaßen. Nach mehreren Überprüfungen durch das FBI fanden sich die drei also 1943 in Washington als Mitarbeiter in der Mitteleuropaabteilung des amerikanischen Geheimdienstes wieder.

Ihre Aufgaben bestanden im Verfassen von Berichten zu Themen wie der politischen und gesellschaftlichen Lage in Nazi-Deutschland und der Rolle des preußischen Militarismus für den Imperialismus der Nazis. Später, als sich eine Besetzung des deutschen Staatsgebietes durch die Alliierten abzeichnete, erstellten sie auch Leitfäden etwa für die Aufhebung von NS-Gesetzen während der Besatzungszeit nach dem Krieg, in Vorbereitung der Nürnberger Prozesse und für den Umgang mit Kriegsverbrechern.

Die Berichte wurden ursprünglich auf Englisch und anonym vorgelegt, durch andere, inzwischen freigegebene OSS-Dokumente - zum Beispiel Zwischenberichte und Besprechungsprotokolle - lassen sich aber in vielen Fällen einer oder mehrere Autoren bestimmen. In dem Band ist jedem Text ein Hinweis des Herausgebers vorangestellt, in dem der Originaltitel, die Dokumente, die auf den Autor schließen lassen, und die geheimdienstliche Klassifizierung genannt werden.

Diese 31 Berichte sind keine marxistisch-hegelianischen Theoriekonstrukte, sondern durchgehend sehr präzise, oft komplizierte und manchmal auch juristische Analysen, die inzwischen als Zeitdokumente eine scharfe Skizze der deutschen Gesellschaft gegen Ende des Zweiten Weltkriegs entwerfen.

Wissenschaft aus der Distanz

Interessant sind aus heutiger Perspektive Texte, die zum Zeitpunkt ihres Entstehens von einem anderen als dem historischen Kriegsverlauf ausgingen. Bis Ende 1943 hoffen die Berichte (zum Beispiel "Mögliche Muster für den deutschen Zusammenbruch") nach der Niederlage Nazi-Deutschlands in Tunesien und vor Stalingrad noch auf die Möglichkeit eines diplomatischen Endes der Kriegshandlungen. Schon im folgenden Jahr beschäftigen sich aber die meisten Berichte mit den Konsequenzen eines alliierten Einmarsches in Deutschland für die Bevölkerung, die Wirtschaft und die Verwaltung.

Die Berichte sind faszinierende Beispiele einer Wissenschaft aus der Distanz. Und ihre Veröffentlichung, darauf weist Axel Honneth in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe hin, ist Teil des neuen Bildes von einer "politisch aktiven" Frankfurter Schule ist und somit die Vorstellung von den "Linksintellektuellen" im akademischen "selbstgewählten Elfenbeinturm" nicht zu halten ist.

Franz Neumann, Herbert Marcuse und Otto Kirchheimer: Im Kampf gegen Nazideutschland. Die Berichte der Frankfurter Schule für den amerikanischen Geheimdienst 1943-1949. Herausgegeben von Raffaele Laudani. Aus dem Englischen von Christine Pries. Campus Verlag, Frankfurt und New York 2016. 812 S., 39,95 Euro. E-Book 35,99 Euro.

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