Gegen Genitalverstümmelung:"Als Unruhestifterin verschrien"

Rugiatu Turay hat am eigenen Leib erfahren, wie schrecklich Beschneidungen sind. Nun kämpft sie dagegen - und setzt sich so in Sierra Leone Gefahren aus.

Nina Berendonk

Jedes Jahr sterben in Sierra Leone Mädchen und junge Frauen an den Folgen von Genitalverstümmelung; das von Bürgerkrieg versehrte Land hat eine der höchsten Beschneidungsraten in Westafrika. Die 32-jährige Rugiatu Turay wurde als Kind selbst verstümmelt und kämpft heute gegen die grausame Praxis - zum Teil unter Einsatz ihres Lebens.

sueddeutsche.de: Frau Turay, was führt Sie nach Deutschland?

Rugiatu Turay: Das deutsche Kinderhilfswerk Plan International hat mich eingeladen, damit ich in Deutschland von meinem Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung in meiner Heimat Sierra Leone berichten kann. Plan International unterstützt die Arbeit der von mir gegründeten Nichtregierungsorganisation "Amazonian Initiative Movement" (AIM).

sueddeutsche.de: Wie sieht die Arbeit von AIM konkret aus?

Turay: Wir wollen das allgemeine Schweigen über diese Praxis durchbrechen. Neben Workshops und Aufklärungsveranstaltungen richten wir uns vor allem an lokale Politiker, die großen Einfluss besitzen, und die Beschneiderinnen selbst, die sehr angesehen sind und mit ihrem Beruf für afrikanische Verhätnisse gut verdienen. Wir zeigen ihnen, wie sie sich alternative Einkommensquellen in der Landwirtschaft schaffen können und unterstützen sie dabei mit Mikrokrediten. Ein weiterer Teil unserer Arbeit ist das Schutzhaus für sogenannte Run-Away-Girls in Guinea - so nennt man bei uns die Mädchen, die vor der Beschneidung davongelaufen sind.

sueddeutsche.de: Was Sie tun, gefällt vielen Menschen in Ihrem Heimatort Lunsar nicht.

Turay: Nein. Ich war dort lange als Unruhestifterin verschrien, und der Gemeindechef wollte mich zunächst verbannen. Seit ich ihm einen Aufklärungsfilm über die Praxis der Genitalverstümmelung gezeigt habe, steht er aber auf unserer Seite. Als AIM seine Arbeit aufgenommen hat, haben mir Poros, die Mitglieder der männlichen Geheimbünde, einen blutüberströmten Leichnam vor mein Haus gelegt. Es geht um Traditionen - aber auch um wirtschaftliche Interessen.

sueddeutsche.de: Eine grässliche Warnung.

Turay: Ja, aber ich wusste, dass ich keine Angst zeigen durfte, weil sie genau das sehen wollten. Die Poros haben mich auch mit einem Fluch belegt, der besagt, dass ich elendig verbluten soll. Ich habe ihnen gesagt, dass ich Blutungen schon von meiner Beschneidung kenne, und dass ich, wenn ich das überlebt habe, jetzt auch nicht daran sterben werde.

sueddeutsche.de: Wie viele andere Mädchen in Sierra Leone hätten Sie Ihre Beschneidung fast nicht überlebt.

Turay: Ja. Ich wurde mit 12 Jahren beschnitten, zehn Tage nach dem Tod meiner Mutter. Meinen drei Schwestern, meiner sechsjährigen Cousine und mir wurde gesagt, dass wir in den Urlaub fahren - so wird die Genitalverstümmelung in meiner Heimat oft genannt. Stattdessen nahm man uns mit in den Busch. Ich wurde fortgeschickt, um Wasser für die Beschneiderin zu holen. Als ich zurückkam, hörte ich meine Schwestern weinen und bekam große Angst. Nach meiner Beschneidung wäre ich fast verblutet. Es dauerte sieben Tage, bis ich wieder gehen konnte, und die Schmerzen waren höllisch.

sueddeutsche.de: Wie reagierte Ihr Vater?

Turay: Als ich mein Krankenlager nach einer Woche verlassen durfte, ging ich zu ihm und erzählte ihm, was man mit mir gemacht hatte. Weil jede beschnittene Frau einen Eid darauf schwören muss, mit niemandem über diese Initiationszeremonie zu sprechen, hatte er keine Ahnung, was sie beinhaltete. Er war schockiert und unterstützt mich heute sogar in meiner Arbeit mit AIM. Ich erinnere mich, dass meine Mutter mir vor ihrem Tod immer einschärfte, mich von niemandem anfassen zu lassen - heute nehme ich an, dass sie mich gerne vor der Verstümmelung bewahrt hätte, auch wenn sie das nicht aussprechen konnte.

sueddeutsche.de: Da ist es wieder, das Schweigen.

Turay: Ja. Die Beschneidung erscheint den meisten Müttern weniger schlimm als das Stigma, mit dem unbeschnittene Mädchen innerhalb der Gemeinschaft belegt werden. Sie gelten als unrein und können meist nicht verheiratet werden. Der soziale Druck ist immens.

sueddeutsche.de: Empfinden Sie es als Einmischung, wenn sich europäische Medien in die Diskussion über die Tradition der weiblichen Beschneidung einschalten?

Turay: Nein, überhaupt nicht. In Europa leben viele afrikanische Emigranten, die ihre Töchter in den Ferien in ihre Heimatländer bringen, um sie dort beschneiden zu lassen - die müssen wir auch erreichen mit unserer Arbeit.

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