Gegen die Langeweile im Bundestag:Angela Merkel soll sich stellen

Bundestag Debates Budget As SPD Opens Dialogue To The Left

Riegierungserklärungen sind oft das Einzige Mal, dass sich Angela Merkel im Bundestag äußert - wie an diesem Tag, an dem sie sich zu den Waffenlieferungen in den Irak erklären soll.

(Foto: Getty Images)

Aufgeheizte Stimmung, Beifall wie im Fußballstadion - das gibt es im Parlament von Frankreich. Fragestunden im Bundestag sind dagegen verschlafen und öde. Eine Reform der Grünen soll das ändern.

Von Stefan Braun, Berlin

Manuel Valls steht am Mikrofon und ringt um Fassung. Frankreichs Premier ist in Rage, der Oppositionspolitiker Christian Estrosi hat ihn gerade heftig angegriffen. Valls soll sich rechtfertigen für die Unruhen auf Frankreichs Straßen, die auch zu Attacken auf jüdische Einrichtungen geführt haben. Valls ärgert sich, Valls wehrt sich, Valls muss zeigen, was er rhetorisch drauf hat. Selbst wenn es ihn nervt und wenn er jetzt am liebsten in sein Büro flüchten würde - er kann nicht weg, er muss sich Estrosi stellen. In Frankreich ist das so üblich geworden.

Zweimal in Sitzungswochen treffen sich Frankreichs Regierung und Parlament zur Fragestunde. Dienstag und Mittwoch kommen um 15 Uhr dazu alle in der Pariser Nationalversammlung zusammen. Alle - das heißt in der Tat: Das ganze Kabinett, angeführt vom Premierminister. Und dann steht Frankreichs Regierungschef nicht selten genau dort, wo er an diesem 16. Juli im Duell mit Estrosi auch steht: Am Mikrofon, ganz unten im Halbrund dieses ehrwürdigen Hauses.

Die Stimmung ist oft aufgeheizt, der Beifall, mal für die Opposition, mal für die Regierung, erinnert an die Atmosphäre in engen Fußballarenen. Und weil das Spektakel meist anregend ist, wird es mittlerweile von mehreren TV-Sendern übertragen. In dieser Stunde ist Parlament wirklich spannend.

Die Kanzlerin kommt fast nie

Man muss das also mal gesehen haben. Man kann es sich in Deutschland nämlich nicht vorstellen. Jedenfalls nicht im Bundestag. Man kann sich nicht vorstellen, dass Bundestagsabgeordnete der Grünen oder der Linken der Bundeskanzlerin kritische Fragen stellen und Angela Merkel darauf spontan und frei antworten müsste.

Sicher, es gibt auch im deutschen Parlament Fragestunden und Regierungsbefragungen. Aber diese sind so überreglementiert und werden gleichzeitig derart stiefmütterlich behandelt, dass man den Abgeordneten nicht zu nahe tritt, wenn man sagt: hier ist der Bundestag eingeschlafen. Selbst Bundestagspräsident Norbert Lammert urteilte jüngst schwermütig, die Fragestunden seien "politisch sinnlos" geworden.

Genau dagegen wollen die Grünen nun angehen. In einem Brief der Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann an Lammert und die Kollegen der anderen Fraktionen rufen sie dazu auf, die Fragestunden zu revolutionieren. Mit Verweis auf das Modell in Frankreich und die fast noch spannenderen Fragestunden im britischen Unterhaus verlangen sie, die vielen Reglementierungen hierzulande aufzugeben. Haßelmann schreibt in dem Brief, der der SZ vorliegt: "Es muss ein öffentliches Forum geben, in dem Abgeordnete und Regierungsmitglieder in einen direkten Austausch treten, Fragen der Abgeordneten unmittelbar von Ministerinnen und Ministern beantwortet werden und die Möglichkeit zu direkten Nachfragen besteht." Bis heute geschieht das nur sehr selten.

Kanzlerin soll einmal im Monat anwesend sein

Nach den deutschen Regeln können sich die Minister von ihren Staatssekretären vertreten lassen, und die Kanzlerin selbst ist so gut wie nie anwesend. Außerdem müssen die Fragen in Deutschland Tage vorher schriftlich eingereicht werden, und zwar nicht nur beim Parlamentspräsidium, sondern auch bei der Regierung. Damit entfällt so gut wie jede spontane Debatte. Die Regierung hat genügend Zeit, um auf alle politisch problematischen Fragen ausgeklügelt zu reagieren.

Anders in Frankreich. Hier melden die Fraktionen bis eine Stunde vor Beginn der Fragerunde die Namen der Fragesteller. Über den Inhalt der Fragen erfährt die Regierung vorab nichts. Außerdem darf zu jedem Thema gefragt werden, damit gibt es deutlich mehr Abwechslung. Vorgegeben sind alleine die Zeiten. So werden den Fragestellern zwei Minuten gewährt, der antwortende Minister bekommt vier Minuten. Es geht also hin und her und ist für die Regierung nicht zu kontrollieren.

Bei ihrer Forderung, vergleichbares auch in Deutschland einzuführen, richten die Grünen einen besonderen Blick auf das Amt des Bundeskanzlers. Haßelmann stellt in ihrem Brief die rhetorische Frage, ob es denn dem Verständnis von einer parlamentarischen Demokratie entspreche, dass die Kanzlerin zwar regelmäßig den Hauptstadtjournalisten Rede und Antwort stehe, die Abgeordneten aber nie eine vergleichbare Gelegenheit bekommen würden. "Ich stelle mir vor, dass die Minister immer erscheinen und die Kanzlerin mindestens einmal im Monat öffentlich in der Fragestunde präsent ist", sagte Haßelmann der SZ.

Eigentlich schneller Erfolg möglich

Außerdem plädiert sie dafür, gerade vor wichtigen Sitzungen des Europäischen Rates zusätzliche Fragemöglichkeiten einzurichten. Dann "sollte es nicht nur eine Regierungserklärung, sondern eine Befragung der Bundesregierung zu den Inhalten der Sitzungen und zu aktuellen tagespolitischen Themen geben", verlangt Haßelmann in dem vierseitigen Schreiben.

Eigentlich müssten die Grünen mit ihrem Vorstoß schnell Erfolg haben. Denn offiziell beklagen auch andere Fraktionen den Zustand der Fragestunden seit Jahren. 2011 gab es einen ähnlichen Antrag, damals unterschrieben von 47 Abgeordneten der SPD und der Grünen und unterstützt von prominenten Christdemokraten wie Wolfgang Bosbach. Trotzdem könnte auch der neue Versuch auf Widerstand stoßen. Denn so einfach sich eine Geschäftsordnung ändern ließe, so groß sind bisher die Abwehrkräfte in der Regierung gewesen.

Dabei sind die seltenen Momente, in denen sich ein Minister stellte, unvergessen. Als Joschka Fischer im Januar 2001 Fragen zu seiner Vergangenheit als Steinewerfer beantwortete, entwickelte sich ein Schlagabtausch, der gerade durch seine Spontanität zu einer Lehrstunde über die Wurzeln der Grünen und das Geschichtsbild der Konservativen wurde.

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