Zensur:China fühlt sich bedroht vom Einfluss des Westens

Zensur: "Die internationale Kultur des Westens ist stark, die unsere schwach", sagte der ehemalige Parteichef Hu Jintao 2012.

"Die internationale Kultur des Westens ist stark, die unsere schwach", sagte der ehemalige Parteichef Hu Jintao 2012.

(Foto: AFP)
  • Mit neuen Gesetzen will Chinas Kommunistische Partei (KP) den Einfluss des Westens zurückdrängen.
  • Die Folge des antiwestlichen Eifers spüren Akademiker und Journalisten aus den USA und Europa längst.
  • An Chinas Unis und Denkfabriken herrscht ein Klima zunehmender Nervosität und Einschüchterung.

Von Kai Strittmatter

Jetzt sind die Kinderbücher dran. Wie Hongkonger Medien vergangene Woche als erste meldeten, haben Chinas Zensoren den Verlagen des Landes nun befohlen, die Zahl der in China verlegten ausländischen Kinderbücher von nun an zu reduzieren. Die Regierung habe "einen zu großen Zufluss an ausländischem Gedankengut" beklagt, zitierte die South China Morning Post einen der Verleger. Praktisch zeitgleich kündigte die Online-Shoppingplattform Taobao an, sie werde von nun an den Verkauf sämtlicher ausländischer Publikationen verbieten, "um eine sichere Umgebung fürs Online-Shoppen zu schaffen".

Die Antwort auf die Frage, wer sich hier eigentlich unsicher fühlt, ist nicht schwer. Jahrzehntelang war das Land offen für Ideen aus aller Welt - Hollywoods Filme und Südkoreas TV-Soaps stechen beim eigenen Volk längst die heimischen Produktionen an Beliebtheit aus. Die Zahl der chinesischen Studenten in den USA hat die 300 000er-Marke überschritten. Und dann gewannen auch noch Ideen wie die, eine Regierung solle sich doch bitte an die Verfassung halten, vor allem unter jungen Chinesen an Popularität.

Da fühlt sich Chinas Kommunistische Partei (KP) zunehmend bedroht vom Einfluss des Westens - und gerade Partei- und Staatschef Xi Jinping setzt seit seinem Amtsantritt Ende 2012 alles daran, die Schotten wieder dicht zu machen. Die neuen Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind nur Teil einer umfassenden Anstrengung der Partei, an allen Fronten das Heft wieder in die Hand zu bekommen.

Nervös waren dabei schon Xi Jinpings Vorgänger. Parteichef Hu Jintao sagte Anfang des Jahres 2012, "feindliche ausländische Kräfte" versuchten vor allem die Felder Kultur, Bildung und Ideologie zu unterwandern: "Die internationale Kultur des Westens ist stark, die unsere schwach."

"Westliche Werte" kamen auf die schwarze Liste

Xi Jinping machte sich gleich im ersten Jahr seiner Herrschaft an die Arbeit: Er ließ 2013 eine neue Kommission für Nationale Sicherheit einrichten und begann damit, die damals erstaunlich lebendigen sozialen Medien auf Linie zu bringen. Kritische Blogger und Journalisten wurden zum Schweigen gebracht, manche verschwanden im Gefängnis.

"Westliche Werte" als solche kamen auf die schwarze Liste: Das "Dokument Nummer Neun" ist ein parteiinterner Kampfaufruf an alle KP-Kader und eine Frontalattacke auf Ideen wie Pressefreiheit oder Vergangenheitsbewältigung. Ausdrücklich sagte das Papier auch der Zivilgesellschaft den Kampf an. "Ein scheinbar über Nacht erfolgter Kollaps eines Regimes hat seine Wurzeln oft in langfristiger ideologischer Erosion", warnte die Zeitung der Volksbefreiungsarmee damals.

Systematisch knöpften sich in der Folge Propaganda- und Sicherheitsapparat verschiedene gesellschaftliche Gruppen vor. Schnell gerieten auch Schulen, Universitäten und Denkfabriken ins Blickfeld. Die Campusse seien die "Front" im Schlachtfeld der Ideologie, schrieb vor zwei Jahren Bildungsminister Yuan Guiren: es gelte, die Lehrpläne zu säubern von westlichen Ideen und westlichen Lehrbüchern. An deren Stelle müssten wieder die Ideen des Marxismus und die von KP-Chef Xi Jinping treten. Im vergangenen Dezember legte Xi selbst noch einmal nach: Chinas Universitäten müssten endlich "die korrekte politische Linie" befolgen.

Einst aufgeschlossene Gesprächspartner ducken sich weg

Der neue antiwestliche Eifer treibt auch absurd-komische Blüten. Jenes in Pekings Gassen aufgehängte Propagandaposter etwa, das mit der Schlagzeile "Gefährliche Liebe" junge hübsche Chinesinnen in Comic-Form davor warnt, sich mit gut aussehenden, blonden Ausländern einzulassen: Es könnten Spione sein. Oder das Video der Staatssicherheit, in dem amerikanische Cartoonfiguren wie Wonder Woman oder der Joker als Agenten auftreten, die Chinas Staatsgeheimnisse auszuspionieren versuchen.

Die Folge des antiwestlichen Eifers spüren Akademiker und Journalisten aus den USA und Europa längst: An Chinas Unis und Denkfabriken herrscht ein Klima zunehmender Nervosität und Einschüchterung, einst aufgeschlossene Gesprächs- und Kooperationspartner ducken sich weg.

Und im Januar 2016 kam es zu einem ersten ernsthaften Warnschuss gegen die oft im rechtlichen Graubereich agierenden westlichen NGOs: Die Polizei nahm den Schweden Peter Dahlin fest, dessen NGO sich auf Rechtsberatung spezialisiert hatte - und nach seiner Festnahme führten die Behörden Dahlin im Staats- und Propagandasender CCTV als reuigen Sünder vor. Er "gestand" vor laufender Kamera sein illegales Treiben und entschuldigte sich dafür, "die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt zu haben".

Das NGO-Gesetz ist nur eines von mehreren neuen Gesetzen, mit denen die Parteiführung in Peking ihr zunehmend repressives Vorgehen untermauert: Das Gesetz über nationale Sicherheit oder das über Cybersecurity sind weitere. Dabei ist China international eher Nachzügler mit einem solchen NGO-Gesetz.

Indien untersagte mehr als 9000 Wohlfahrtsorganisationen schon vor zwei Jahren die Annahme ausländischer Gelder und entzog der Umweltorganisation Greenpeace die Lizenz. In Russland müssen sich NGOs, die Gelder aus dem Ausland erhalten, als "ausländische Agenten" registrieren lassen. Weltweit haben mehr als 60 Länder solche Gesetze erlassen - Chinas NGO-Gesetz allerdings gilt als eines der restriktivsten.

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