Geburtenrate:Babys im Boom

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SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt

In Deutschland werden so viele Kinder geboren wie seit Jahren nicht - und mehr, als alle Experten zuvor erwartet hatten. Doch wie lange hält dieser Trend an?

Von Anna Fischhaber, Thomas Öchsner

In Deutschland gibt es so viele Geburten wie seit zehn Jahren nicht mehr: Erstmals seit 2004 kamen 2014 mehr als 700 000 Kinder zur Welt. Dies gab das Statistische Bundesamt bekannt. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) sprach von einem "schönen Signal".

Mit einem derart starken Plus hat kein Experte gerechnet: 715 000 Neugeborene zählten die Statistiker im vergangenen Jahr. Das sind 33 000 oder 4,8 Prozent mehr als 2013. Die Geburtenzahlen steigen bereits seit 2012 wieder leicht an. Dieser Trend setze sich nun beschleunigt fort, sagte der Familiensoziologe Johannes Huinink. "Möglicherweise können wir sogar von einer Trendwende sprechen", sagte der Professor an der Universität Bremen.

Was den Baby-Boom ausgelöst hat, ist noch nicht ganz klar. Das Bundesamt wird die neuen Daten über das Alter und die Staatsangehörigkeit der Mütter oder die Zahl der Kinder erst 2016 endgültig ausgewertet haben. Mögliche Gründe für den Anstieg könnten jedoch die positive wirtschaftliche Lage und die verstärkten Bemühungen von Arbeitgebern sein, ein familienfreundliches Umfeld zu bieten. Hinzu kommt: Die Zahl der Frauen, die zwischen 26 und 35 Jahren alt sind und sich besonders häufig über Nachwuchs freuen können, hat sich seit 2008 stabilisiert und zuletzt sogar zugenommen. Die Statistiker rechnen deshalb zunächst weiter mit einer stabilen Geburtenrate. Von 2020 an befürchtet die Behörde aber wieder einen Rückgang, weil es wegen der alternden Bevölkerung weniger Frauen im gebärfähigen Alter als heute gibt.

Im vergangenen Jahr starben 153 000 Menschen mehr, als zur Welt kamen

Die Prognose ist allerdings wegen der stark gewachsenen Zuwanderung mit Unsicherheiten behaftet. Diese könnte sich auch positiv auf die Entwicklung der Geburten auswirken. So bringen ausländische Frauen hierzulande durchschnittlich 1,8 Kinder, deutsche Frauen jedoch nur 1,3 Kinder zur Welt. Das Statistische Landesamt in Baden-Württemberg führte am Freitag die anziehenden Geburtenzahlen im Südwesten bereits auf die "enorm gestiegene Zuwanderung" zurück.

Insgesamt lag die Geburtenziffer 2013 bei 1,41 Kinder pro Frau. Diese gilt als zu niedrig. Um eine langfristig stabile Geburtenzahl zu erreichen, wäre eine jährliche Geburtenrate von mindestens 1,6 notwendig, heißt es bei den Statistikern.

In den vergangenen fünf Jahrzehnten hatte sich die Anzahl der Geburten etwa halbiert. 1964 kamen noch 1,4 Millionen Kinder in der Bundesrepublik zur Welt. Vor allem ein Trend wirkte sich dabei negativ aus: Mütter sind heute bei der Geburt älter. Anfang der 1970er-Jahre waren Frauen im früheren Bundesgebiet bei der ersten Geburt gut 24 Jahre alt. 2013 waren sie fast 30. Die ostdeutschen Mütter waren bei der ersten Geburt bis zum Ende der 1980er-Jahre sogar noch etwas jünger. 2013 bekamen die ostdeutschen Frauen ihr erstes Kind jedoch durchschnittlich erst mit 28 Jahren. Dies wirkt sich auch auf die Zahl der Kinder aus, denn eine Regel gilt nach wie vor: Je mehr Kinder eine Frau hat, desto jünger war sie bei der Geburt ihres ersten Kindes. Mit der rückläufigen Zahl der Mütter unter 30 verringert sich deshalb ebenfalls der Anteil der Frauen mit drei oder mehr Kindern. Nur noch sechs Prozent der Mütter haben vier Kinder oder mehr. Wenn es Kinder gibt, sind eher zwei die Regel.

Während das Bundesamt noch von keiner Trendwende sprechen will, äußerst sich Familiensoziologe Huinink optimistisch: Er vermutet, dass in Zukunft auch mehr Deutsche Ja zum Kind sagen und die Geburtenrate langfristig auf 1,7 steigt, "wenn die Ganztagesbetreuung für Kinder weiter ausgebaut wird und die Wirtschaft noch stärker umdenkt". Derzeit liegt die Zahl der Sterbefälle allerdings noch weit über der Zahl der Geburten. Das ist bereits seit 1972 der Fall. So starben im vergangenen Jahr 868 000 Menschen - also 153 000 mehr, als es Neugeborene gab. Die Differenz ist aber kleiner geworden. 2014 lag sie noch bei mehr als 200 000. Die Zahl schwankt stark. Sie hängt von der Stärke der älteren Jahrgänge ab. In einer vom Zweiten Weltkrieg dezimierten Generation gibt es heutzutage weniger Todesfälle.

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