Gazastreifen:Hamas gibt Fatah die Schuld am Bürgerkrieg

Hamas-Regierungschef Hanija unterstellt der Fatah, einen Staatsstreich geplant und seinen Kämpfern absichtlich das Feld in Gaza überlassen zu haben.

Tomas Avenarius

Während sich im ägyptischen Scharm el-Scheich Palästinenserpräsident Machmud Abbas und Israels Regierungschef Ehud Olmert die Hände reichen, gießt die radikal-islamische Hamas vom Gaza-Streifen aus Wasser in den Gipfel-Wein: "Illusionen und Wunschvorstellungen" nannte der Hamas-Führer Ismail Hanija alle Friedenshoffnungen, die mit dem vom ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak einberufenen Spitzentreffen verbunden seien.

Die USA und Israel würden den Palästinensern nicht entgegenkommen, trotz ihrer Versprechen auf einen neuen Friedensprozess, den sie mit Abbas- und ohne Hamas - starten wollten. "Unser Land, unsere Nation werden wir nur zurückbekommen, wenn wir standhaft auf Widerstand setzen."

Die Rede von Hamas-Regierungschef Hanija ist der Versuch, Boden zu gewinnen, denn die Machtübernahme der Hamas-Islamisten im Gaza-Streifen wird international fast geschlossen als "Staatsstreich" bewertet. Das in den internationalen Medien verbreitete Bild zeigt allein Hamas als die Verantwortliche für die Gewalt im Gaza-Streifen. Fatah unter Chef Abbas hingegen gewinnt als friedenswillige Partei politisch und finanziell internationale Unterstützung.

Die Hamas, deren Militante die zahlenmäßig stärkeren Sicherheitskräfte der Fatah in nur drei Tagen vertrieben hatten, bemüht sich nun, ihre Sicht darzustellen. Hanija sprach von angeblichen Plänen eines radikalen Flügels der Fatah, die vor eineinhalb Jahren demokratisch gewählte Hamas gewaltsam die Macht streitig zu machen.

Die als "Preventive Security" bekannte Fatah-Spezialpolizei habe dabei eng mit Israel zusammengearbeitet, sie sei zudem von den USA mit Waffen aufgerüstet worden. Die erwähnten Beweise in Form von Akten, die man in Fatah-Büros gefunden haben will, legte Hanija jedoch nicht vor.

Kernthese der Hamas-Darstellung: Die Fatah habe einen Staatsstreich geplant. Bassem Naim, Jugendminister der Hamas, sagte: "Die Fatah-Spezialpolizei hatte sich das Ziel gesetzt, den Gaza-Streifen so lange zu destabilisieren, bis die Bevölkerung der Hamas das Vertrauen entzogen hätte." Mit Hilfe von Kriminellen sei die öffentliche Sicherheit in den vergangenen Monaten derart verschlechtert worden, dass die Bürger sich bedroht gefühlt hätten. "Wir mussten handeln", so Naim. "Täglich kam es zu Morden, Entführungen und Raubüberfällen."

Grenze zwischen Kriminellen und Fatah-Kräften fließend

Tatsache ist, dass sich die Sicherheitslage im Gaza-Streifen international weitgehend unbemerkt drastisch verschlechtert hatte. Bewohner des Gaza-Streifens, die keine Verbindung zur Hamas haben, berichten, dass die Trennlinien zwischen Kriminellen und den Fatah-Sicherheitskräften oft nicht zu erkennen gewesen seien. Der Hamas-Minister bestritt auch, dass es eine Strategie für die Hamas-Machtübernahme gegeben habe: "Wir hatten keinen Plan. Im Gegenteil - die Radikalen der Fatah planten mit US-Hilfe einen Coup gegen uns."

Von Seiten der Fatah, Israels und der USA wird hingegen betont, dass die Ereignisse in Gaza im Zusammenhang mit anderen nahöstlichen Krisen stünden. Hamas habe auf Anordnung Irans gehandelt; die Islamisten in Gaza seien in den letzten eineinhalb Jahren von den Teheraner Mullahs militärisch gestärkt worden. Und zumindest aus ihrem engen politischen Kontakt zu Iran macht Hamas keinen Hehl.

Angesichts dieser Widersprüche scheint Zurückhaltung im Urteil vorerst angebracht zu sein: So ist ungeklärt, weshalb die den Hamas-Militanten zahlenmäßig überlegenen Fatah-Sicherheitskräfte so rasch unterlagen. Ein Teil ihrer Offiziere war zum Zeitpunkt ebenso wenig zur Stelle wie der oberste Fatah-Verantwortliche für Sicherheitsfragen in Gaza, Mohammed Dahlan.

Dahlan, der sich wochenlang zur medizinischen Behandlung in Ägypten aufhielt, machte bei Ausbruch der Kämpfe keinen Versuch, nach Gaza zu kommen und seine Polizisten zu führen. Er setzte sich in das sichere Westjordanland ab.

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