Ein Jahr nach dem Krieg:Wer in Gaza sitzt, sitzt in der Falle

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Die Trümmer sind geblieben - sie sind heute Klettergerüst für palästinensische Kinder. (Foto: AFP)

Ein Jahr nach dem Krieg setzt sich die Katastrophe in dem palästinensischen Küstenstreifen fort. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die Fanatiker des IS eine Filiale schaffen werden.

Kommentar von Peter Münch

In den zynischen Zirkeln der Weltpolitik ist die folgende Versuchsanordnung entworfen worden: Man nehme einen kleinen, sandigen Küstenstreifen, ziehe einen hohen Zaun respektive eine Betonmauer darum herum und überlasse die dort lebenden knapp zwei Millionen Menschen ihrem Schicksal. Das Ergebnis dieses Experiments: Es entstehen Elend, Extremismus und Gewalt. Willkommen also in Gaza 2015.

Vor einem Jahr brach ein Krieg um den Gazastreifen los, der erst nach 50 Tagen mit mehr als 2000 Toten und enormen Verwüstungen sein Ende fand. Es war der dritte Krieg innerhalb von sechs Jahren, und es wird gewiss nicht der letzte gewesen sein. Denn die Versuchsanordnung wird durch Kanonendonner und Raketenhagel nur kurz durcheinandergewirbelt, aber nicht verändert. Die Mauern stehen, die Grenzen sind dicht, und die Verzweiflung muss jetzt eben in noch mehr Ruinen ausgelebt werden. Wer in Gaza sitzt, sitzt in der Falle. Er weiß, dass nach dem Krieg auch immer vor dem Krieg ist.

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Perfekte Projektionsfläche für allerlei Machtspiele

Die Lage in Gaza schreit nach Veränderung. Aber nirgends ist auch nur ein Plan in Arbeit, der diese Veränderung anstoßen könnte. Gewiss, der nahöstliche Dauerkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern gehört zu den am intensivsten beackerten Feldern der Weltpolitik. Doch ausgerechnet hier tut sich rund um Gaza seit Jahren ein schwarzes Loch auf, um das sich niemand kümmern will.

Der Grund dafür ist nicht, dass die Situation zu verfahren wäre. Der Grund ist, dass der kleine, sandige Gazastreifen die perfekte Projektionsfläche für allerlei Machtspiele und -stategien ist - und die Protagonisten keinerlei Interesse daran haben, die Lage nachhaltig zu verändern. So kommt es, dass die Hamas und die israelische Regierung, die sich immer wieder in neue Kriege verstricken, letztlich in einer Art Komplizenschaft verbunden sind.

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Wie Israel und die Hamas ein Volk in Geiselhaft halten

Denn die Hamas hat sich hier ihr islamistisches Königreich geschaffen, in dem sie weitgehend nach Belieben schalten und walten kann: Sie kann Steuern eintreiben, um die eigenen Kassen füllen. Sie kann Raketen auf Israel abfeuern, um sich beim Volk als Kraft des Widerstands zu profilieren - und sie braucht dabei keine Angst zu haben, in einem dadurch provozierten Krieg ihre Macht zu verlieren. Denn Israels Regierung bekämpft zwar die Hamas, aber sie hat erwiesenermaßen kein Interesse an ihrem Sturz. Solange die Palästinenser gespalten sind zwischen der Hamas in Gaza und der im Westjordanland regierenden Fatah, sind sie erstens schwach und können zweitens als Partner im Friedensprozess leichter desavouiert werden.

Entscheidende Anstöße von außen sind kaum zu erwarten. Früher hatte noch Ägypten vermittelt, doch heute betreibt das Regime in Kairo gegenüber Gaza eine ähnlich brutale Blockadepolitik wie Israel. Die Grenze wurde geschlossen, und für Präsident Abdel Fattah al-Sisi dient die mit der Muslimbruderschaft verbandelte Hamas als idealer Prügelknabe. Ausgetragen wird all dies auf dem Rücken der Bevölkerung des Gazastreifens, die sich so in einer Art doppelten oder dreifachen Geiselhaft befindet.

Die Instabilität des Gazastreifens also wird von gleich mehreren Seiten betrieben und ausgenutzt. Doch es liegt in der Natur der Sache, dass eine solche Situation nicht haltbar ist - und wenn es nicht besser wird, dann kann es schnell noch schlimmer kommen. Es dürfte unter den gegebenen verheerenden Bedingungen nur eine Frage der Zeit sein, bis sich die Fanatiker des Islamischen Staats (IS) hier eine palästinensische Filiale schaffen werden. Höchste Zeit also, dass sich die Welt für den Gazastreifen interessiert und darauf dringt, das ebenso zynische wie ziellose Experiment der Blockade zu beenden.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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