Gaza-Krieg in den Medien:Zwischen den Fronten

Wenn derselbe Artikel Kritik und Lob erfährt: wie unterschiedlich Leser der Süddeutschen Zeitung die Berichte über den Krieg im Gaza-Streifen wahrnehmen.

Christiane Schlötzer

Auslandskorrespondenten werden in Kriegszeiten zu Kriegsberichterstattern, damit geraten sie gleichsam selbst zwischen die Fronten: Weil Kriegsparteien gewöhnlich Informationen bunkern und manipulieren, um des eigenen propagandistischen Vorteils willen.

Gaza-Krieg in den Medien: Journalisten am Gaza-Streifen: Was ins eigene Bild der Leser passt, das wird als Bestärkung von Überzeugungen empfunden. Der Rest wird benutzt, um den Medien Vorwürfe zu machen.

Journalisten am Gaza-Streifen: Was ins eigene Bild der Leser passt, das wird als Bestärkung von Überzeugungen empfunden. Der Rest wird benutzt, um den Medien Vorwürfe zu machen.

(Foto: Foto: AFP)

Im aktuellen Krieg um Gaza geschieht dies auf besonders nachdrückliche Weise (siehe Seite 4). Zwischen die Fronten geraten Journalisten im Krieg aber auch, weil das blutige Geschehen emotional berührt, und dies weit über die Kampfgebiete hinaus. Zur Berichterstattung über den Gaza-Krieg hat die Süddeutsche Zeitung eine Fülle von Leserbriefen erreicht.

"In unerträglichem Maß gegen Israel gerichtet", findet beispielsweise Samy Gleitmann aus München die Darstellung des Konflikts in der SZ. "Es wird Ursache und Wirkung verkehrt." Dagegen hat Wolfgang Pose aus Hamburg in den "westlichen Medien und der Politik" generell "reflexhafte Übernahme der israelischen Selbstverteidigungs-Propaganda" ausgemacht.

Johann Merkl aus München wiederum unterstellt der SZ, sie wolle "bei der Israel-Lobby punkten", während Kathrin Volkmann, ebenfalls aus München, genau das Gegenteil aus den Korrespondentenberichten der Zeitung herausgefunden hat: "Ich bin entsetzt ... und frage mich wirklich, warum man Israel somit letztlich sein Existenzrecht abspricht - die armen Opfer sind immer nur auf Seiten der Palästinenser. ... Ich bin sehr enttäuscht."

Die Gegenüberstellung des eigentlich Unvereinbaren ließe sich fortsetzen, und dies könnte zu der Überzeugung verführen, wenn die Kritik - sozusagen - von beiden Seiten kommt, dann liege die Berichterstattung eben dazwischen, und damit schon irgendwie richtig. Das aber wäre zu einfach.

Die heftigen Reaktionen zeigen, wie die Wahrnehmung dessen, was die Medien präsentieren, von den eigenen Überzeugungen und Urteilen geprägt ist. "Selektive Wahrnehmung" nennen dies die Psychologen und auch die Medienforscher kennen das Phänomen. Was nicht zur eigenen Einstellung passt, wird ausgeblendet, überblättert, nicht gelesen, und auch dieses Weglassen wird nicht einmal wahrgenommen.

So wurde der SZ beispielsweise vorgeworfen, nicht über die Leiden der Israelis durch den fortdauernden Raketenbeschuss der Hamas berichtet zu haben. Seite-Drei-Reportagen am 7. Januar und am 31. Dezember aus Sderot, Aschkalon und Beerschewa aber taten genau dies.

Was dagegen ins eigene Bild passt, das wird als Bestärkung von Überzeugungen empfunden. Von Journalisten wird damit eigentlich Unmögliches erwartet: Sie sollen "objektiv" berichten, aber gleichzeitig ihre Leser in ihren Überzeugungen bestärken. Journalisten sollen aber nicht nur "neutral" sein oder wahlweise eine klare Meinung äußern, sie sollen auch noch Empathie, also Mitgefühl mit den Opfern empfinden - jedenfalls, dort, wo es die Medienkonsumenten auch tun.

Auch viele SZ-Leser fühlen sich Palästinensern oder Israelis persönlich verbunden. So zitiert Gabriele Weber, die mit einem Palästinenser verheiratet ist, ihren Neffen aus Gaza mit den Worten: "Falls wir überleben, brauchen wir psychologische Behandlung. Unser ganzes Volk ist traumatisiert." Und auch Kathrin Volkmann beruft sich in ihrer Kritik auf "Freunde und Familie", die sie den Krieg "hautnah miterleben" lassen.

Es gibt diesen Wunsch nach Eindeutigkeit, in allen Konflikten, Gut und Böse sollen sich klar unterscheiden lassen. So war das, als Jugoslawien in mehreren Kriegen zerfiel, oder bei Amerikas Krieg im Irak. Ist Israel Kriegspartei, dann wird stets unterstellt, die deutsche Debatte lege sich Zügel an. Auch dies hat ein Editorial am 10. Januar beleuchtet, worauf Detlef Lührsen aus München eine Anzeige des Zentralrats der Juden in der selben SZ-Ausgabe als unnötigen "Betroffenheitskult" kritisierte.

"Ich kann kaum glauben, was ich das sehen und lesen muss", schrieb eine Leserin, die ihr Abonnement gekündigt hat. Wie bei allen Kriegen wird die Wahrheit über das Kriegsgeschehen, über Zerstörungen und Opfer, über Ziele und Zeugen, erst zu Tage kommen, wenn die Waffen schweigen. Bis dahin müssen Journalisten und ihre Leser mit der Unzulänglichkeit einer Annäherung an die vielen Wahrheiten eines Krieges leben.

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