Gauck-Nachfolge:Sigmar und das Ding mit Frank-Walter

Hat der vorlaute SPD-Chef den netten Außenminister als Bundespräsidenten verbrannt oder ermöglicht? Jedenfalls steht die Union unter einem Druck.

Von Christoph Hickmann und Robert Roßmann

Wie es der SPD gerade so geht, lässt sich stets mit einer simplen Methode testen. Man muss im Gespräch mit einfachen Mitgliedern, mittleren Funktionären oder auch Landesvorsitzenden kurz den Namen des Parteichefs fallen lassen und die Reaktion abwarten. Geht es der Partei, was in den vergangenen Jahren oft der Fall war, miserabel, folgt entweder eine Schimpfkanonade oder ein resignierter Seufzer. Doch dieser Tage hat sich in solche Gespräche ein neuer Sound eingeschlichen. Man hört jetzt zum ersten Mal seit langer Zeit so etwas wie Bewunderung für den Vorsitzenden heraus. Leise Bewunderung. Aber immerhin.

Über Spitzenpolitiker wird mindestens so oft wie über Spitzensportler geschrieben, dass sie gerade die wichtigsten, bedeutsamsten Tage, Wochen oder Monate ihrer Karriere erleben. Doch im Fall von Sigmar Gabriel, 57, SPD-Vorsitzender, Wirtschaftsminister, Vizekanzler, ist es gerade wirklich, wirklich wahr.

In diesen Wochen, wenn nicht Tagen, könnte sich entscheiden, ob es Sigmar Gabriel gelingt, Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsidenten durchzusetzen - und ob er selbst, Gabriel, seine Partei im nächsten Jahr als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führt. Beides hängt miteinander zusammen. Aber erst einmal zum Bundespräsidenten - und damit zur neuen, leisen Bewunderung der Parteifreunde.

Zwei Wochen ist es her, dass Gabriel im Ringen um das höchste Amt im Staat ein Ausrufezeichen gesetzt und den allseits beliebten Außenminister Steinmeier vorgeschlagen hat. Die erste Reaktion der Genossen war, wie so häufig innerhalb der SPD, irgendwas zwischen Schimpfen und Wehklagen. Das lag eher nicht an der Person Steinmeiers, sondern am Zeitpunkt: Warum um Himmels willen musste der Sigmar den Namen denn schon jetzt in die Runde werfen? Wieso, nach allen politischen Gesetzmäßigkeiten, verbrennt denn der Sigmar den Frank-Walter? Aber so ist er halt, der Sigmar: Kann das Wasser nicht halten.

Der allergrößte Rhetoriker ist Steinmeier nicht. Aber er beruhigt wohl irgendwie die Menschen

Mittlerweile klingt das etwas anders. Mittlerweile haben auch die meisten Skeptiker in der SPD registriert, dass es Gabriel mit seinem Überrumpelungsmanöver gelungen ist, die Union, vor allem die Kanzlerin, unter Druck zu setzen. Mittlerweile fallen Sätze wie "Wir haben zwar immer noch keine Mehrheit in der Bundesversammlung, aber wer weiß ...". Und einige Genossen sagen es so: "Zocken konnte er eben schon immer, der Sigmar."

Die Not, die Gabriel bei der Union ausgelöst hat, ist jedenfalls groß. Seit Joachim Gauck mitgeteilt hat, dass er nicht für eine zweite Amtszeit zur Verfügung steht, sind fünf Monate vergangen. Aber Angela Merkel hat noch immer keinen Kandidaten gefunden, der aussichtsreich ist und antreten will. Lange haben sie in der Union gehofft, Bundestagspräsident Norbert Lammert würde sich noch erweichen lassen. Das Bemühen der CDU um ihn hatte in den vergangenen Wochen Stalking-hafte Züge angenommen. Aber der auch bei SPD, Grünen und Linken angesehene Bundestagspräsident blieb hart. Am Sonntag mussten Merkel und Seehofer endgültig einsehen, dass das Werben keinen Erfolg hat. Am Montag nahm Lammert an der Sitzung des CDU-Präsidiums teil und konnte sich dort das allgemeine Bedauern über seine Absage anhören.

Bundeskabinett

Gabriel (re.) als stramm durchregierender Regierungschef. Der Grund: Die Kanzlerin ist im Urlaub. Das war im August. Steinmeier? Lässt sich nichts anmerken.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Wegen Gabriels Steinmeier-Vorstoß fällt der Union die Suche nach einem Ersatzkandidaten doppelt schwer. Jeder, der gefragt wird, muss damit rechnen, gegen Steinmeier in eine Kampfkandidatur geschickt zu werden. Dafür sind die meisten aber zu risikoscheu, obwohl in der allgemeinen Steinmeier-Begeisterung gerade untergeht, dass der mitunter sedierende, in wirren Zeiten jedenfalls viele Menschen offenbar beruhigende Außenminister nicht der größte Rhetoriker ist.

Und nun?

Im CDU-Präsidium hatte sich Merkel am Montag immer noch nicht entschieden. Bis zum nächsten Treffen am Freitag solle man sich mal noch nicht festlegen, sagte sie. Möglich seien immer noch drei Varianten: ein Konsens-Kandidat der Koalition, ein reiner Unionsbewerber und ein schwarz-grüner Kandidat. Einen klaren Kurs gibt es immer noch nicht. Gabriel darf sich weiter als Etappensieger fühlen.

Im Ringen um das Amt des Bundespräsidenten zeigt sich noch einmal der Politiker Gabriel mit all seinen Fähigkeiten, Risiken und Nebenwirkungen. Es gibt in seiner Liga kaum jemanden, der ein solches Gespür für Schwächen des Gegners hat, sowie gleichzeitig ein Gespür dafür, sie im richtigen Augenblick auszunutzen. Und wohl niemand außer ihm hätte die Nerven, so ein Spiel nicht nur anzufangen, sondern auch durchzuziehen. Würde Steinmeier Bundespräsident, wäre das Gabriels Sieg.

Aber da sind nun mal auch die Risiken und Nebenwirkungen: Was, wenn es Steinmeier am Ende nicht wird? Was bleibt dann außer Schadenfreude? Und hat Gabriel dann einen Bundespräsidenten Steinmeier nicht doch eigentlich verhindert? Womöglich wäre die Union ja sogar bereit gewesen, ihn als Kandidaten zu akzeptieren, wenn Gabriel ihn nicht derart frech und frühzeitig als SPD-Vorschlag präsentiert hätte. Deshalb gibt es trotz allem auch noch solche Genossen, die ihm finstere Motive unterstellen.

Die SPD bekommt gerade also noch einmal vor Augen geführt, was sie von einem Kanzlerkandidaten Gabriel im Wahlkampf zu erwarten hätte. Vom Überraschungscoup bis zum Desaster: Alles ist drin. Die Frage ist, was er eigentlich will.

Gabriel hat ein Jahr hinter sich, in dem ihm diverse Male das politische Ende vorausgesagt wurde. Jede einzelne Klippe hat er umschifft, nie kam es zum finalen Aufstand gegen ihn. Die Partei liebt ihn immer noch nicht, es gibt Zweifel, Skepsis, Vorbehalte. Doch mittlerweile sagen selbst Sigmar Gabriels härteste Gegner, dass er eigentlich nur noch zugreifen müsse, wenn er die Kanzlerkandidatur wirklich wolle.

Ob er will?

Mal wirkt er so und dann auch wieder nicht. Die Frage ist, ob Gabriel es selbst überhaupt weiß. Was er hingegen weiß: dass er sich am Freitag wieder mit Angela Merkel und Horst Seehofer zusammensetzen will, um einen Bundespräsidenten zu finden.

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