Gauck-Nachfolge:Merkel und die Qual der Kandidatenschau

  • Joachim Gauck verzichtet auf eine zweite Amtszeit als Bundespräsident.
  • Die Suche nach einem Nachfolger ist besonders kompliziert, weil 2017 auch der Bundestag gewählt wird.
  • Die Parteien bringen ihre Kandidaten schon in Stellung.

Von Nico Fried und Christoph Hickmann

Seit 16 Jahren ist Angela Merkel CDU-Vorsitzende, seit elf Jahren Kanzlerin. Sie trifft interessante Leute und kommt viel herum. Ihr Job, sagt sie bis heute, mache ihr Freude. Nur auf eines könnte sie bestimmt gut verzichten: die Suche nach einem neuen Bundespräsidenten. Auch die Kandidatenschau nach dem Verzicht Joachim Gaucks auf eine zweite Amtszeit kommt Merkel so gelegen wie anderen Menschen Zahnweh und ein TÜV-Termin am selben Tag.

2004, als die damalige Oppositionsführerin Merkel in Horst Köhler ihren ersten Bundespräsidenten erfand, war das noch eine Machtdemonstration: gegen Rot-Grün, weil die Union mit der FDP eine Mehrheit in der Bundesversammlung hatte; aber auch in den eigenen Reihen, wo sich Merkel gegen jene durchsetzte, die lieber Wolfgang Schäuble im Schloss Bellevue gesehen hätten. Köhler war durchaus beliebt, verfinsterte aber durch seinen plötzlichen Abgang 2009 selber die Erinnerung an seine Amtszeit.

Dann erwählte Merkel den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff, der Modernität ins Bellevue bringen sollte, aber Episode blieb. Und bei der nächsten Kür 2012 musste sich Merkel demütigen lassen, weil ihr damaliger Koalitionspartner FDP sich mit SPD und Grünen zu einer Allianz gegen die Kanzlerin verband, um Joachim Gauck durchzusetzen.

Horst Seehofer könnte Gerda Hasselfeldt vorschlagen

Für 2017 sieht sich Merkel nun der Erwartung aus CDU und CSU gegenüber, trotz fehlender absoluter Mehrheit in der Bundesversammlung einen eigenen Kandidaten der Union vorzuschlagen. Die SPD, die CDU und CSU eine Mehrheit verschaffen könnte, dürfte daran wenig Interesse haben. Allenfalls könnte Merkel einen Kandidaten vorschlagen, der so populär und respektiert wäre, dass es der politischen Konkurrenz zumindest schwer fiele, sich gegen ihn zu stellen. Spätestens im dritten Wahlgang, in dem die relative Mehrheit genügt, könnte dieser Kandidat dann siegen, eventuell auch mit einzelnen Stimmen aus anderen Parteien.

Für dieses Kalkül käme wohl nur Wolfgang Schäuble (73) infrage, von dem man aber nicht weiß, ob er zu einer Kandidatur bereit wäre - zwölf Jahre nachdem Merkel ihn verhindert hat. Bundestagspräsident Norbert Lammert (67), auch vor den letzten Präsidentschaftswahlen immer wieder genannt, gilt schon in der Union vielen als zu eitel und ist in der SPD nicht sonderlich gut angesehen.

Eine schwarz-grüne Kooperation würde auf Widerstand der CSU treffen, die ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl vermutlich kein derartiges Koalitionssignal geben will - es sei denn, um jemand aus der CSU zu wählen. Genannt wird für diese Spekulation Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Sie hat einen versöhnlichen, uneitlen Charakter und wird von Merkel geschätzt. Horst Seehofers Verhältnis zu ihr gilt genau deswegen als belastet, aber nicht irreparabel. Für die Grünen allerdings hätte Hasselfeldt keinen zusätzlichen Reiz, außer dass sie die erste Frau im Amt wäre.

Fest steht jedenfalls, dass die Personalie im Jahr der Bundestagswahl eine noch kräftigere Signalwirkung haben wird als sonst. Das wissen auch diejenigen bei den Sozialdemokraten, den Grünen und den Linken, die trotz einer mehr als mauen Ausgangslage noch immer auf ein linkes Regierungsbündnis 2017 hoffen. Entsprechend beflügelt Gaucks Verzicht auf eine Wiederwahl die Fantasie in allen drei Parteien. Sollte es ein rot-rot-grüner Kandidat ins Schloss Bellevue schaffen, wäre mit einem Schlag eine politische Option zum Leben erweckt, die viele angesichts der noch immer großen Differenzen vor allem zwischen SPD und Linken schon für tot hielten.

Die Linke will sich mit SPD und Grünen verbünden

Bereits am Samstag forderten die Linken-Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger SPD und Grüne auf, "eine gemeinsame Kandidatin oder einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen zu schicken". Allerdings steckt hinter diesem Appell auch eine gehörige Portion Kalkül: Verweigern sich SPD und Grüne diesem Ansinnen, geben sie damit der Linkspartei die Chance, sie wieder mal als Vertreter des politischen Mitte-Establishments anzugreifen. Unabhängig von den realen Chancen etwaiger Kandidaten werden alle Parteien die Personalie zur Profilierung im Wahljahr nutzen.

Diese Chance sieht man auch in der SPD-Linken. "Wir brauchen im dritten Wahlgang keine absolute Mehrheit", sagt Axel Schäfer, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. "Und die SPD-Basis braucht jetzt ein ganz klares Signal. Es darf kein Signal für eine neue große Koalition sein." Daher sei er "entschieden dafür, einen rot-grün-roten Kandidaten oder eine Kandidatin zu suchen", sagt Schäfer. Es sei "gut, dass wir an dieser Stelle die Chance haben, eine politische Auseinandersetzung zu führen, über die in der Gesellschaft diskutiert werden wird". Zu lange habe man sich am vermeintlichen Wunsch der Bürger nach politischem Konsens orientiert. "Die Menschen wollen aber erkennbare Unterschiede."

Allerdings böte eine rot-rot-grüne Kooperation Anfang 2017 der Union die Chance, im Wahlkampfherbst vor dem großen Linksruck zu warnen. Für SPD-Chef Sigmar Gabriel ist die Frage der Gauck-Nachfolge deshalb Chance und Risiko zugleich. Gelingt es ihm, sich mit Linken und Grünen auf einen originellen, respektablen Kandidaten oder eine Kandidatin zu einigen, wäre das schon ein Etappenerfolg, der ihn auch in der SPD stabilisieren würde. Verzockt sich Gabriel bei der Kandidatenkür, könnte das für seine innerparteilichen Gegner der Anstoß sein, doch noch zur Revolte zu blasen. Voraussetzung für einen gemeinsamen Kandidaten oder eine Kandidatin wäre die parteipolitische Unabhängigkeit, damit alle drei Parteien die Person akzeptieren könnten. Gabriel hatte vor einiger Zeit bereits Sympathie für eine Frau mit Migrationshintergrund geäußert, ohne eine spezielle Person zu nennen.

Bundespräsidentenwahl

März 2012, eine selten einmütige Wahl: Im Reichstag gratuliert die Bundesversammlung dem neuen Bundespräsidenten Joachim Gauck.

(Foto: Hannibal/dpa)

2013, nach dem Rücktritt Wulffs, dachte CSU-Chef Horst Seehofer kurzzeitig sogar das Undenkbare: In Merkels Büro im Kanzleramt stand er mit der CDU-Vorsitzenden am Fenster und sagte: "Angela, ich muss dich das jetzt fragen: Du hast kein Interesse?" Angela wollte nicht. Allein schon, weil sie weiß, dass das gesprochene Wort, die schärfste Waffe eines Bundespräsidenten, ihre größte Schwäche ist.

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