Gauck beim Gedenken an Rostocker Krawalle:Unbequeme Wahrheiten

Tausende Bürger erinnern in Rostock an den August 1992, als ein fremdenfeindlicher Mob Jagd auf Ausländer machte. Bundespräsident Joachim Gauck, selbst in Rostock geboren, tritt bei der Gedenkveranstaltung als "Hiesiger" auf und spricht am damaligen Tatort auch unliebsame Themen an.

Jens Schneider, Rostock-Lichtenhagen

Eine mächtige Bühne hat das Rathaus der Stadt Rostock aufbauen lassen, direkt auf der Wiese neben dem Sonnenblumenhaus von Lichtenhagen. Weiße Zelte stehen davor, mehrere Getränkewagen. Ein blau-gelbes Kuppelzelt steht auch noch da, dazu ein Truck vom FC Hansa Rostock mitsamt Transparent gegen Fremdenfeindlichkeit, und Stände von der Linken, den Jusos, den Grünen.

Lichtenhagen-Gedenken

Der in Rostock geborene Bundespräsident Joachim Gauck spricht vor dem sogenannten Sonnenblumenhaus im Stadtteil Lichtenhagen mit vietnamesischen Bewohnern das Hauses. Das Haus war unter anderem Ziel der fremdenfeindlichen Anschläge vor 20 Jahren.

(Foto: dpa)

Alles ist so groß, und die Wiese noch leer. Einzelne Anwohner schauen aus dem Fenster auf das Spektakel, und unten fühlt es sich am frühen Sonntagvormittag erst mal an, als wäre ein politischer Zirkus aus einer fremden Welt gelandet, begleitet von Hunderten Polizisten, die jeden Zugang genau beobachten.

"Na, mal sehen, wie viele aus dem Viertel runterkommen", sagt da einer aus dem Kreis der Veranstalter. Aber dann, gut eine Stunde bevor der Bundespräsident kommt, füllt sich der Platz. Familien mit kleinen Kindern hocken sich auf den Rasen, sie sind aus einem der bürgerlichen Viertel hergeradelt in einer Sternfahrt.

"Das hätte früher schon passieren sollen"

Auch aus dem Viertel selbst kommen Leute. "Das hätte früher schon passieren sollen", sagt eine Rentnerin, die sich aus einem der Nachbarblöcke auf den Weg gemacht hat. Damals, vor 20 Jahren, "da habe ich die Hilfeschreie der Vietnamesen gehört, ich weiß das noch. Wir dürfen das nicht vergessen." Ob viele ihrer Nachbarn kommen? "Ach, in so einem Hochhaus", sagt sie, "da wissen Sie ja nichts von den anderen. Da hören Sie nichts."

Eine ganze Woche lang erinnert die Stadt Rostock an die Tage im August, als ein fremdenfeindlicher Mob Jagd auf Ausländer machte, und die Polizei untätig zuschaute. Die Tage wirken wie eine fortwährende Suche nach der richtigen Form - mit insgesamt mehr als hundert Projekten. Die Bürgerschaft hat eine Entschuldigung verabschiedet, Podiumsrunden und Konzerte hat es gegeben, und am Samstag eine Demo, zu der die meisten der 6000 Teilnehmer wohl von außerhalb kamen.

Gauck spricht als "Hiesiger"

In Rostock-Lichtenhagen selbst hörte man zuletzt, viele wollten nichts mehr wissen und hören von allem. Aber als mittags 312 Rostocker Schüler aus verschiedenen Chören ein Kinderlied anstimmen, stehen hinter den Absperrungen doch mehr Bewohner des Stadtteils als Kinder auf der Bühne und prominente Politiker davor.

Vor allem von hier hinten bekommt Bundespräsident Joachim Gauck mächtigen Applaus, als er in seiner Heimatstadt über den Rasen vorgeht auf die riesige Bühne, die ihn aus der Ferne klein erscheinen lässt. Verärgert drängen die Zuschauer Linksautonome zurück, die Gaucks Rede stören wollen. Und aus diesem Kreis ist auch der Beifall besonders laut, als der Präsident fragt, "wo denn damals die Staatsmacht war?"

Und als er mahnt, dass der Staat niemals das Gewaltmonopol aufgeben dürfe. Die Ereignisse von Lichtenhagen seien ein "negatives Lehrbeispiel", sagt Gauck und spricht - "als ein Hiesiger" - auch offen darüber, dass die Rechtsextremen im Osten Erfolg haben; dass die Menschen hier anfälliger seien. Auch diese unbequeme Wahrheit bekommt Applaus.

Knapp 3000 Menschen sind da, nicht so viele wie erwartet. Aber als der Bundespräsident und die andere politische Prominenz schon wieder weg sind, die Absperrungen nicht mehr gebraucht werden, setzen sich viele direkt vor die Bühne, wo der Kinderchor und der Liedermacher Gerhard Schöne ein Konzert geben. Und es ist für einen Moment das ausgelassene Fest, das die Veranstalter der "Gruppe Bunt statt Braun" hier feiern wollten.

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