Gastkommentar:Wir Schulmeister

Im Brüsseler Personalkarussell sollte Deutschland bescheiden sein.

Von Günter Verheugen

Normalerweise wäre die Besetzung des Generalsekretärs der EU-Kommission keine Angelegenheit, die besondere öffentliche Beachtung findet. Per Express-Beförderung hat Jean-Claude Juncker seinen deutschen Kabinettschef Martin Selmayr, seinen engsten Vertrauten, andere sagen, seinen bösen Geist, zum Generalsekretär ernannt, also zum Leiter des gesamten Kommissionsapparats. Sollte er geglaubt haben, dass diese Personalie als Routine durchgehen wird, dürfte er sich schwer getäuscht haben.

Brüsseler Spitzenbeamte drängen gewöhnlich nicht auf die politische Bühne. Sie sind sich ihrer Macht sehr bewusst, auch ihrer manipulativen, und überlassen den politischen Hickhack gerne "ihren" Kommissaren. Selmayr aber hat in der Vergangenheit die Grenze zwischen der dienenden Rolle eines hohen Beamten und einer politischen Rolle, die einer besonderen Legitimation bedarf, immer wieder genussvoll überschritten. Schon deshalb wird bei seiner Beförderung etwas genauer hingeschaut. Man hört, es seien Regeln verletzt worden, sodass im Europäischen Parlament schon nach einem Untersuchungsausschuss gerufen wird.

Juncker hat allerdings noch etwas anderes bewirkt: Er hat ungewöhnlich frühzeitig die Debatte über die im Jahr 2019 anstehenden großen Personalentscheidungen in Gang gesetzt und dabei, sicher ungewollt, die Frage nach der deutschen Rolle im europäischen Personalpoker aufgeworfen. Mit Selmayrs Beförderung ging eine weitere Spitzenposition in Brüssel an einen Deutschen. Dies ist Teil einer unguten Entwicklung, die unter Barroso einsetzte und sich unter Juncker beschleunigte: die Politisierung der Kommission. Diese untersteht besonderen Regeln: Nur dem europäischen Interesse verpflichtet, objektiv, neutral, über Parteien und nationalen Interessen stehend. So will es der Vertrag, aber so ist es nicht mehr. Für die anderen EU-Staaten liegt die Vermutung nahe, dass der bisherige deutsche Kabinettschef auch als Generalsekretär bei deutschen Anliegen gern behilflich sein wird, jedenfalls solange diese von einer CDU-geführten Regierung vorgetragen werden.

Jens Weidmann steht für alles, was die Mehrheit in der Euro-Gruppe nicht will

Auch das Zählen hat schon angefangen: Die Deutschen haben den Generalsekretär des Parlaments, die Generalsekretärin des Auswärtigen Dienstes der EU, den Präsidenten der Investitionsbank und den Manager des Stabilitätsmechanismus. Nun greifen wir auch noch nach dem großen Preis: dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Das wird manchem zu viel. Denn der aus vielen Richtungen kommende Ruf nach deutscher Führung in der EU ist tatsächlich ein Appell an uns Deutsche, weniger egoistisch, halsstarrig und schulmeisterlich zu agieren. Der deutsche Griff nach der Macht in der EZB, mit einem Kandidaten Jens Weidmann, der für alles steht, was die Mehrheit in der Euro-Gruppe nicht will, bestärkt den Verdacht, dass Deutschland die governance in der Euro-Zone unter seine Kontrolle bringen will. Nicht ganz zufällig stellen die östlich von Deutschland gelegenen Mitgliedstaaten fest, dass es der deutsche Haushaltskommissar ist, der sie offen damit bedroht, Leistungen aus dem Gemeinschaftshaushalt abhängig zu machen von politischem Wohlverhalten.

Obwohl das alles vermutlich keine langfristig angelegte deutsche EU-Strategie ist, belastet es das innere Gefüge und die Machtbalance in der EU. Das ist kein guter Start für einen neuen Aufbruch für Europa. Berlin wäre gut beraten, diese Besorgnisse zu zerstreuen.

Günter Verheugen, 73, war EU-Kommissar, heute berät er Unternehmen in Europafragen.

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