Gastkommentar:Wenn die Liebe bricht

Mit seiner Forderung, auch das Ende einer Ehe zu akzeptieren, verstößt der Papst gegen die Tradition. Und das zu Recht, denn während sich die Katholiken in dieser Frage kleinlich zeigen, ist man da in der orthodoxen Kirche viel weiter.

Von Paul M. Zulehner

Es ist für den theologischen Disput in der katholischen Kirche kein Nachteil, dass nun einige Kardinäle den Papst kritisieren und ihre Zweifel per Brief an Franziskus geschickt haben: Soll mit dem Papst-Schreiben "Amoris laetitia" die traditionelle Lehre der katholischen Kirche zu Scheidung und Wiederheirat aufgeweicht, gar verändert werden?

Jahrzehnte lang haben dieselben Kardinäle kritische Theologen angegriffen, sie ins unkirchliche Eck gestellt und des Ungehorsams bezichtigt. Jetzt merken sie, dass man die Kirche lieben und dennoch Kritik üben kann. Eine mutige Theologie weiß, dass es Fortschritt nur dann gibt, wenn sie auch couragiert dogmatische Grenzen überschreitet. Wer dies wagt, muss sich freilich gefallen lassen, auf den Prüfstand der Gemeinschaft zu gelangen. Im fairen theologischen Disput kann sich dann auch herausstellen, dass man sich geirrt hat. Der große Theologe Karl Rahner sagte dazu, dann "muss ich wieder zurück". Oder aber, so setzte er zuversichtlich nach: "Ich war zu früh dran."

In der Frage, wie die katholische Kirche mit Geschiedenen umgehen soll, die wieder heiraten, waren einige große Männer zu früh dran. Schon 1979 hatten der Wiener Kardinal Franz König und sein Weihbischof Helmut Krätzl es für möglich gehalten, dass Geschiedene im Einzelfall wieder in die volle Gemeinschaft der Kirche zurückkehren können - Beichte und Kommunion eingeschlossen. Und dies, obwohl sie gegen den erklärten Willen der Kirche wieder geheiratet haben und aus dieser zweiten Verbindung nicht weggehen können - weil sie sich dann neuerlich schuldig machen würden.

Der Kardinal und sein Weihbischof orientierten sich dabei an der Tradition der orthodoxen Kirchen. Diese war in der Lehre stets streng, sah aber in Einzelfällen vor, dass ein Bischof eine Buß- und Heilungszeit vorsehen konnte und nach dieser der Zugang zu den Sakramenten wieder offenstand. König und Weihbischof Krätzl hatten gehofft, dieser Weg werde auf der Familiensynode 1979 unter Johannes Paul II. gutgeheißen - sie hofften vergebens. 1994 unternahmen dann die deutschen Bischöfe Walter Kaspar, Karl Lehmann und Oskar Saier einen neuerlichen Versuch. Aber auch sie waren "zu früh dran". Ihr Vorstoß wurde von Kardinal Ratzinger abgewehrt, dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation.

Jetzt aber heißt der Papst Franziskus. Er hat unzählige Leidensgeschichten von verlassenen und verarmten Frauen mit Kindern vor Augen. Es war wohl diese leidsensible Seite des Papstes, die ihn bewegte, diese Wunde im Leben der Kirche zum Thema der beiden Familiensynoden 2015 und 2016 zu machen. Mutig ging nun die katholische Kirche in die Schule der Orthodoxen und übernahm deren Doppelprinzip. Sie hält an Gottes Absicht fest, dass die Liebe zwischen Mann und Frau unverbrüchlich ist. Aber es gebe eben aus Schuld und Tragik Situationen, wo dieses Ideal unwiederbringlich zerbrochen sei, argumentierte die Mehrheit der Synodalen. Es könne also sein, dass jemand in einem objektiv sündigen Zustand lebt, aber subjektiv ohne Sünde ist - und dann dürfe man nicht sagen: "Mag ja sein, dass Gott dir vergibt, aber die Kirche kann dir nicht vergeben." Die Kirche als kleinliche Korrektorin Gottes - wer so argumentiert, schafft die Kirche überhaupt ab.

Die Kritiker von Franziskus sind nicht viele. Aber deshalb haben sie nicht automatisch Unrecht.

Den Kritikern des Papstes kann man zustimmen, wenn sie behaupten, der Papst habe den Pfad der katholischen Tradition verlassen. Allerdings: Der von der Familiensynode eingeschlagene pastorale Weg, der inzwischen auch in den Rang des authentischen Lehramts erhoben wurde, ist durchaus christlich und ohne Zweifel nicht häretisch. Wenn das so wäre, dann wären auch die orthodoxen Kirchen häretisch - dabei hat die römisch-katholische Kirche die Jahrhunderte hindurch immer darauf geachtet, ihre Schwesterkirchen in dieser Frage nicht zu verurteilen.

Dass die Papstkritiker nicht viele sind, ist kein Argument dafür, dass sie nicht recht haben. Dennoch macht es nachdenklich, dass eine beträchtliche Zahl von Kirchenmitgliedern, unter ihnen herausragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die Neuausrichtung der Kirche durch Papst Franziskus befürworten. Viele Theologen und theologisch Engagierte schreiben, was des Papstes "Traum von einer Kirche als Mutter und Hirtin" für ihren Kontinent bedeutet. Eine internationale Online-Umfrage, die sich an die 60 000 Unterstützenden wendet, ist in Vorbereitung.

Dass der Papst es für zulässig ansieht, von den Erfahrungen der alten orthodoxen Tradition zu lernen, deutete er während der Familiensynode an. Das gilt auch für ein anderes sensibles Thema der katholischen Kirche. Kardinal Kasper sagte, die verheirateten orthodoxen Priester seien für die Ehe pastoral besser geeignet als 80-jährige unverheiratete Kardinäle, die gar nicht selbst erleben, wie es einem geht, wenn die Ehe aus Schuld und Tragik zerbricht. Viele Wiederverheiratete jedenfalls halten den Rat für zynisch, dass sie ja zur Kommunion gehen könnten, "wenn sie sich der Akte enthalten, die Eheleuten vorbehalten sind", wie es Papst Johannes Paul II. 1981 in seinem Lehrschreiben "Familiaris consortio" formulierte.

So könnte die katholische Kirche auch hinsichtlich der Ehelosigkeit der Priester von den orthodox geprägten Kirchen lernen. 2019 trifft sich die Amazonas-Synode. Dort könnten die Bischöfe beschließen, dass sie im gemeindlichen Leben erfahrene Personen ordinieren, auch wenn sie verheiratet sind und keine akademische Ausbildung haben. Und der Papst könnte den versammelten Bischöfen sagen: "Gut, auch euch ist der Heilige Geist gegeben. Also macht das bei euch!"

Ich hatte einen deutschen Kardinal gefragt, was dann mit den Bischofskonferenzen in Europa geschehen werde. "Das würde uns gehörig unter Druck setzen!", antwortete er. Gar nicht so schlecht, dachte ich.

Paul Michael Zulehner, 78, ist einer der bekanntesten Religionssoziologen Europas.

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