Gastkommentar:Verlorene Jahre

Die griechische Regierung ist mit ihrer Strategie gescheitert. Sie muss endlich Strukturreformen anpacken: Abbau der Bürokratie, Erneuerung des Justizsystems, mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung.

Von Alexander Kritikos

Seit dem 29. Juni 2015 gelten in Griechenland Kapitalverkehrskontrollen. Trotz des dritten Hilfspakets hat sich daran bis heute nichts geändert. Der Regierung ist es nicht gelungen, das Vertrauen der Märkte und ihrer Partner wiederzugewinnen. Und so setzt sich die Rezession fort. Der einzige Grund, warum es Griechenland nicht noch schlechter geht, ist der Boom im Tourismus. Auch 2016 wird Griechenlands Wirtschaft wohl wieder schrumpfen - Ergebnis von sieben Jahren Politikversagen durch sieben Regierungen. Erschwert wird die Situation durch die Flüchtlingskrise, die Griechenland seit Schließung der Balkanroute auch budgetär massiv trifft, ohne dass das Land selbst dafür Verantwortung trägt.

Nun erhöht die Regierung, um die Vereinbarungen mit den Gläubigern einzuhalten, erneut Steuern und Abgaben und kürzt Renten. Wie ihre Vorgänger senkt sie Ausgaben und erhöht Einnahmen, damit die Gläubiger die nächste Tranche freigeben. Ohne diese Tranche kann die Regierung die im Juli fälligen Kredite nicht zurückzahlen. In dem Fall droht wieder eine Diskussion über Staatspleite und Grexit.

Bis heute kein Wort zu den ausstehenden Strukturreformen, dem Abbau von Bürokratie, der Verlässlichkeit bei den Unternehmensteuern oder der Beschleunigung von Zivilprozessen. Investoren bleiben weg, wenn ein Justizsystem mehr als vier Jahre braucht, um Verträge durchsetzbar zu machen. Die hohe Regulierungsdichte macht Griechenland weiter zu schaffen. Und da die Regierung nichts tut, um dies zu ändern, muss sie die nächste Sparrunde einläuten. Das wird der privaten Wirtschaft in Griechenland noch mehr die Luft abschnüren, die Armut wird weiter steigen. Eine bittere Wahrheit ist: Wäre der Reformprozess in der Vergangenheit mit Schwung angegangen worden, hätte er positiv ausstrahlen können. Bei einer dann wachsenden Wirtschaft wären heute keine drastischen Sparrunden mehr notwendig.

Griechenland braucht eine koordinierte Strategie, die zuvorderst die privaten Wirtschaftskräfte stärkt. Bis zum heutigen Tag macht das Land von seinen hochproduktiven Ressourcen zu wenig Gebrauch. Und die wandern weiter aus - nicht nur Fachkräfte und Kapital, sondern auch Forscher, Unternehmer, ganze Unternehmen und neue Produktideen. Griechenland wird sich erst dann erholen, wenn die vorhandenen innovativen Wirtschaftskräfte im Land bleiben können.

Athen muss sich vom Narrativ des Spardiktats verabschieden

Was dafür notwendig wäre, ist hinlänglich bekannt: Struktur- und Justizreformen, Investitionen und Verlässlichkeit in der Wirtschaftspolitik. Dazu gehört die weitere Öffnung der geschlossenen Berufe, die massive Vereinfachung der Vorschriften für Öffnung, Betrieb und Schließung von Unternehmen, der Abbau der Bürokratie und der Zahl der Bürokraten, die den Unternehmern den Alltag vergällen. Außerdem muss Griechenland sein Forschungspotenzial erhöhen. Seit Jahren gibt das Land nur 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aus, andere Euro-Länder investieren drei Prozent. Es bedarf daher einer Strategie zur Erhöhung von Forschung und Entwicklung in Abstimmung mit der EU und einzelnen Partnerländern.

Der Reformprozess der letzten sieben Jahre ist gescheitert. Athen braucht das Vertrauen seiner Partner. Das kann die Regierung erlangen, wenn sie sich vom lieb gewonnenen Narrativ des Spardiktats verabschiedet und gemeinsam mit allen relevanten Partner im In- und Ausland eine Reform- und Investitionsstrategie entwickelt. Solch fundamentale Reformen werden in Griechenland aber erst dann einsetzen, wenn sich die Politik vom klientelistischen Ansatz verabschiedet, wenn keine Privilegien mehr bedient werden. Nach einer solchen Kursänderung wären Griechenlands Partner auch offen für eine Restrukturierung der griechischen Staatsschulden über Tilgungsstreckungen und Zinsreduktionen. Das wird aber zum Glück erst 2022 nötig sein. Jetzt entscheidet die Reformfrage über Griechenlands Zukunft.

Alexander Kritikos, 50, ist Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin und Professor für Industrie- und Institutionenökonomie an der Universität Potsdam.

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