Gastkommentar:Schwarzer Peter

Nach dem Brexit wird es war jetzt nicht gleich zum Grexit kommen. Trotzdem gehört das Krisenland Griechenland zu den Hauptleidtragenden des bevorstehenden Austritts Großbritanniens aus der EU - wirtschaftlich ebenso wie politisch.

Von Jens Bastian

Der Ausgang des Brexit-Referendums in Großbritannien hat die Frage aufgeworfen, ob nun auch die Debatte über den Austritt Griechenlands aus dem Euro wieder auflebt. In Athen ist der Grexit derzeit kein Thema. Dafür sind die Erinnerungen an das griechische Referendum vom Juli 2015 noch viel zu frisch. Für viele Griechen war die Lehre damals, dass sie zwar mit überwältigender Mehrheit (62 Prozent) gegen die Fortsetzung der Austeritätsauflagen der internationalen Kreditgeber stimmten, dass aber bereits zehn Tage später Ministerpräsident Alexis Tsipras ein noch härteres drittes Rettungsprogramm mit der Troika unterzeichnete. Viele Stimmbürger haben diese Wählertäuschung der regierenden Linkspartei Syriza nicht verziehen. Dabei gibt es eine aufschlussreiche Parallele zwischen dem britischen und dem griechischen Referendum. In beiden Fällen waren die handelnden Akteure - in London die EU Austrittsbefürworter, in Athen die "Oxi"-Kämpfer gegen die Sparpolitik - denkbar schlecht auf das Resultat der Referenden vorbereitet.

Unabhängig davon ist der bevorstehende Brexit für die griechische Wirtschaft mit erheblichen Risiken verbunden. Für das in der Dauerkrise steckende Land ergeben sich bereits jetzt direkte Folgen, etwa im Tourismus, dem einzigen wettbewerbsfähigen Wirtschaftszweig Griechenlands. So sorgt der Wertverfall des britischen Pfunds für erhebliche Einnahmeausfälle. Nach Angaben des griechischen Tourismusverbandes Sete gaben vergangenes Jahr 2,4 Millionen britische Urlauber mehr als zwei Milliarden Euro auf griechischen Inseln oder auf dem Festland aus. Betroffen sind auch die etwa 2 000 britischen Rentner in Griechenland. Die Kaufkraft ihrer Rentenbezüge in Euro ist seit dem Referendum um mindestens 15 Prozent gesunken.

Solche Währungsturbulenzen können sich auch auf die seit Jahren schwache Exportwirtschaft Griechenlands auswirken. 2015 führte Griechenland Waren und Dienstleistungen im Wert von etwas über einer Milliarde Euro in das Vereinigte Königreich aus, vorwiegend Joghurt und Finanzprodukte. Nun werden griechische Exporte wegen der Währungsrelation um zehn bis 15 Prozent teurer.

Das wichtigste Exportgut Griechenlands nach Großbritannien ist allerdings Humankapital. Für griechische Studenten und Arbeitsmigranten, die mit den Füßen gegen die einheimische Krise abstimmen, dürfte der EU-Austritt Großbritanniens den Antrag auf eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis künftig erschweren und verteuern. Die potenziellen finanziellen Konsequenzen zeigen sich im Bankensektor. Seit Jahrzehnten sind griechische Banken in der Londoner City in der Schiffsfinanzierung engagiert. Das Geschäftsmodell basiert auf einem Mix an Fremdwährungen. Die Fortsetzung dieser Finanzierungsoptionen könnte sich nun verändern. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Finanzaufsicht in Großbritannien Tochtergesellschaften europäischer Banken auffordert, ihre Eigenkapitalausstattung zu erhöhen. Eine solche Verpflichtung würde griechische Muttergesellschaften belasten, da sie erst Anfang 2016 rekapitalisiert wurden.

Im Mittelpunkt von Europas großen Krisen

In regionalpolitischer Hinsicht könnte der Brexit erhebliche Verschiebungen bewirken. Britische Regierungen haben den Prozess der EU-Erweiterung stets unterstützt. Nun wird ein wichtiger Ansprechpartner für die südosteuropäische Länder in Brüssel fehlen. Griechenland hat ein Eigeninteresse daran, dass seine Nachbarländer schrittweise an die EU herangeführt werden. Es ist aber stets Flankenschutz zugunsten dieses politischen Ziels nötig, ob nun aus Berlin, Wien oder London.

Mit dem Brexit-Votum droht Südosteuropa weiter an den Rand der europäischen Peripherie gedrängt zu werden. Für Griechenland ist diese Aussicht Grund zur Sorge. In Griechenland haben zwei Krisen Europas ihren geografischen Mittelpunkt. Seit Jahren steckt das Land in der Staatsschuldenkrise und hat mit den Folgen der Flüchtlingskrise zu kämpfen. Viele Bürger weisen sarkastisch darauf hin, dass es nach sieben Krisenjahren gelungen sei, den Schwarzen Peter in Europa an London weiterzureichen.

Das ist sicher kein Ausweis von Erfolg. Aber vielleicht lässt sich im Lichte der Brexit-Verhandlungen mit größerem politischen Realitätssinn in Athen arbeiten. Durch die Ereignisse im Nachbarland Türkei nach dem gescheiterten Putsch ist diese Verantwortung noch wichtiger geworden.

Jens Bastian, 56, war von 2011 bis 2013 Mitglied der EU Task Force in Athen. Er lebt in Griechenland.

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