Gastkommentar:Partei ergreifen

Karl-Markus Gauß

Karl-Markus Gauß, 65, ist österreichischer Schriftsteller und Essayist. Er lebt in Salzburg. Zeichnung: Bernd Schifferdecker

Muss man eigentlich immer für oder gegen jemanden sein? Beispiel Katar. Der kleine Golfstaat hat sich einen Namen gemacht als Terrorfinanzier und Ausbeuter. Jetzt wird er von den Saudi-Arabern bedroht. Soll ich deshalb Katar gut finden?

Von Karl-Markus Gauß

Ich habe einen Bekannten, der periodisch über eine ihm rätselhafte und unangenehme Schwäche klagt: dass er fortwährend Partei ergreifen müsse. Er leidet an dieser Schwäche und ist ihr dennoch verfallen. Dreht er den Fernseher auf und gerät in die Übertragung eines Tennisspiels, in dem sich zwei ihm unbekannte Spieler gegenüberstehen, fängt er nach Kurzem an, mit dem einen zu sympathisieren, während er dem anderen den Sieg nicht gönnen mag.

Gut, seine Schwäche hat einen edlen Zug, insofern er gewohnheitsmäßig eher jenem zuneigt, der erkennbar schlechter in Form und daher am Verlieren ist. Aber von der Eintrübung seines Urteilsvermögens zeugt es seiner Ansicht nach dennoch, dass er immer versucht ist, für jemanden und gegen einen anderen Stellung zu beziehen. Natürlich könnte ihm egal sein, wer von den beiden Tennis-Millionären gerade siegt oder verliert, und natürlich ist es oft der reine Zufall, der ihm zu seiner Zuneigung und Abneigung verhilft. Er weiß das selbst und kann oft auch gar nicht begründen, warum er es gerade mit dieser und nicht mit der anderen Seite hält.

Abertausende Hungerleider aus Indien und Nepal verrichten in Katar Sklavenarbeit

Bei einem Tennisspiel ist das eine harmlose Sache. Aber was soll man tun, wenn es um Wichtigeres geht, nicht um einen sportlichen Wettkampf, sondern beispielsweise um einen ernsten politischen Konflikt? Ich habe über meinen Bekannten, der an seiner moralischen und intellektuellen Zurechnungsfähigkeit zweifelt, immer milde gespottet und ihn so in seinen Bedenken zu besänftigen versucht. Aber manchmal glaube ich, dass er mir nur ein Stück voraus war und ich mir mittlerweile selbst an ihm ein schlechtes Beispiel nehme.

Zum Beispiel Katar. Seit Jahren weiß jeder, der sich nur ein wenig mit den politischen Verhängnissen des Nahen Ostens beschäftigt, dass das immens reiche Emirat viel Schlechtes zu bewirken versucht. Die korrupte Fifa hat mit deutscher Unterstützung dem Land die übernächste Fußballweltmeisterschaft zugeschanzt und sich so mitschuldig daran gemacht, dass Abertausende Hungerleider aus Indien und Nepal im Land Sklavenarbeit verrichten, ohne Rechte, in Lager gepfercht, außer Landes gejagt, wenn sie einen Arbeitsunfall erleiden, rasch verscharrt, sofern dieser tödlich endet. Zum Vergnügen und um sich neue Märkte zu erobern, betätigen sich reiche Katarer aus der Familie oder der Umgebung des Emirs in aller Welt als Investoren; und die dümmsten Fußballfans des Kontinents, die des sogenannten Nobelklubs Paris St.-Germain, jubeln am Samstag dankbar einer Mannschaft zu, für die deren katarischer Besitzer die teuersten Stars zusammengekauft hat, während sie sich wochentags vor dem islamistischen Terror fürchten, zu deren großzügigsten Finanziers die Katarer gehören.

Aber jetzt! Jetzt hat Saudi-Arabien mit drei anderen arabischen Staaten Katar die gelbe Karte gezeigt, die schon sehr nach einer roten aussieht. Ausgerechnet Saudi-Arabien bezichtigt Katar, Terroristen zu unterstützen, und verlangt von seinem kleinen Nachbarn, dass er sich einem Ultimatum beuge, den Nachrichtensender Al Jazeera schließe und sich unter die politische Aufsicht der saudi-arabischen Koalition stelle.

Ach, Saudi-Arabien! Ich kenne dieses Land, nicht weil ich mich je vor Ort an den Hinrichtungen ergötzt hätte, die unter großem Beifall des Publikums an Homosexuellen vollzogen werden, sondern weil ich öfter am Balkan unterwegs war. Kein anderer Staat wie der der Wahhabiten ist dermaßen aggressiv damit beschäftigt, das zu zerstören, worauf bei uns so viele ihre Hoffnungen setzen, nämlich den "europäischen Islam". Saudi-Arabien wendet Milliarden dafür auf, in Bosnien und Albanien den angeblich wahren, den salafistischen Islam der Vorzeit zu etablieren und den traditionell weltoffenen Islam der Region aus dieser zu vertreiben.

Die Saudi-Araber, denen die Bundesrepublik Deutschland keine Waffen mehr liefern, sondern nur mehr durch die Ausbildung von Polizisten und Grenzschützern zu wahrhaft demokratischen Ordnungshütern beistehen möchte, sind übrigens gerade dabei, in Jemen nicht nur die Festungen der aufständischen Schiiten in Asche zu legen, sondern die gesamte Infrastruktur des Landes zu zertrümmern: Häfen, Straßen, Fabriken, Wasserreservoirs, mit der absehbaren Folge, dass sich Millionen Jemeniten, denen der Hungertod droht, auf den langen Weg nach Europa machen werden.

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich der Drohung gegen Katar angeschlossen. Als heuer im Winter die Mannschaft von Red Bull Salzburg - ja, manchmal genügt es, sich am Fußball zu orientieren - zum Trainingslager nach Dubai flog, musste Munas Dabbur, der israelische Stürmer der Mannschaft, seinen Koffer wieder auspacken, weil die Antizionisten der Vereinigten Emirate ihm das Einreisevisum verweigerten. Nicht etwa, nebenbei angemerkt, dass Red Bull das Trainingslager abgesagt hätte, das verhüte der Verkauf der Dosen im arabischen Raum. Keineswegs. Ohne ein Wort der Kritik wurde der jüdische Spieler in der Mannschaft ausgesondert und zum Training mit der Nachwuchsmannschaft in der Schweiz vergattert.

Was das alles mit mir und meinem Bekannten zu tun hat?

Nun, seitdem ich täglich in den Zeitungen lese, wie sich der Konflikt zwischen Katar und der saudi-arabischen Koalition verschärft, verspüre ich ein seltsames, gänzlich unakzeptables Gefühl in mir. Eine Art von intellektueller und moralischer Schwäche, die mich nötigt, Partei zu ergreifen, und mich, schauderhaft, fast schon dazu treibt, Sympathie für Katar zu entwickeln. Für Katar, das es schaffte, als winziges Land eine Großmacht der Finsternis zu werden!

Natürlich wird der Konflikt nicht ausgerechnet davon beeinflusst werden, welche Stellung ich dazu beziehe. Aber mich stört, dass ich mich immer öfter in der Rolle des Zuschauers wiederfinde, der die weltpolitischen Entwicklungen wie ein Tennisspiel beobachtet.

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