Gastkommentar:Luft zum Atmen

Die griechische Regierung muss den alten Staatsdirigismus in Athen beseitigen, soll das Land eine Chance haben.

Von Alexander Kritikos

In Sachen Griechenland hört man oft die "Ballasttheorie". Danach würde ein Grexit die Griechen ebenso wie die verbleibenden Euro-Staaten entlasten. Dann verweist man auf Argentinien und darauf, wie gut es dem Land getan habe, als es die Bindung seiner Währung an den Dollar aufgab. Ausgerechnet Argentinien! Das Land ist ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Nach dem Staatsbankrott 2001 gab es keinerlei Reformdruck mehr, das Land verfiel wieder in Staatsdirigismus und nun - 14 Jahre später - ist es schon wieder pleite.

Die Euro-Zone ist ein Zusammenschluss innovativer Nationen. So gesehen, ist Griechenland ökonomisch zu schlecht, um so, wie es ist, im Euro-Raum zu bleiben. Gleichzeitig ist es aber zu gut, um die Euro-Zone zu verlassen. Griechenland verfügt über hochproduktive Ressourcen, aber seine institutionellen Rahmenbedingungen erschweren deren Entfaltung. Es ist nicht einfach Überregulierung, es ist auch in Griechenland Staatsdirigismus: Die Regelung jedweder wirtschaftlicher Aktivität mit unzähligen, sich häufig widersprechenden Vorschriften in Kombination mit der Willkür der Beamten bei deren Anwendung. Die Beispiele sind Legion: Brauereien ist es verboten, Mineralwasser oder Limonade anzubieten. Die Regierung hindert Forscher daran, Firmen zu gründen und so neue Jobs zu schaffen.

So steht Griechenland seit fünf Jahren an einer Weggabelung. Modernisierer, vom europäischen Gedanken geleitet, die Griechenland als starkes Mitglied in der Euro-Zone sehen wollen, gegen Traditionalisten, die anti-europäische Positionen vertreten und Griechenland zum dauerhaften Bittsteller machen oder sich ganz vom modernen Europa abwenden wollen.

Manche Modernisierer waren Minister und haben sich in den Kampf mit dieser Hydra der Vorschriften begeben. Es ist ihnen gelungen, einige Reformen durchzuführen - der große Wurf blieb ihnen aber versagt. Warum? Ganz einfach. Die Regierungen der vergangenen Jahre verwehrten ihnen die Unterstützung und schickten die Minister in die Wüste; sie waren "zu ambitioniert". Und der schlimmste Vorwurf: "Sie waren der Troika zu nahe".

Das Land braucht in Zukunft nicht mehr, sondern weniger Vorschriften. Es ist die private Wirtschaft in Griechenland, die Luft zum Atmen benötigt, damit dieser permanente Exodus der Top-Forscher und herausragenden Unternehmer aus Griechenland endet. Die griechische Regierung hat es selbst in der Hand, ihren privaten Kräften durch Wirtschaftsreformen die Luft zum Atmen zu geben.

Gäbe es Bereitschaft zur Beendigung des Staatsdirigismus, hätte Griechenland einen berechtigten Platz im Euro-Raum. Aber auch die neue Regierung ist ihm wieder verfallen. So fällt der Euro-Gruppe der wichtigste Part zu, sie kann Griechenland zur Einsicht bewegen, genau diesen Staatsdirigismus aufzugeben. Das muss sie geschickter machen, als die Troika in der Vergangenheit.

Bleiben die Reformen auch jetzt aus, ist der "Grexit" unausweichlich

Die griechische Regierung ist dann gefordert, den notwendigen Reformprozess anzugehen. Aber es wird auch Zeit für eine explizite Vereinbarung zwischen Griechenland und seinen Gläubigern, mit zwei Optionen. Option eins: Die griechische Regierung setzt eine gemeinsam vereinbarte Liste von Wirtschafts- und Strukturreformen um, sodass Griechenland zu einem vollständig integrierten Mitglied eines wirtschaftlich starken Euro-Raums werden kann. Option zwei: Bleibt auch diese Regierung die Reformen schuldig, sind sich alle einig, dass Griechenland die Euro-Zone verlässt. Ein Ausscheiden in gegenseitigem Einverständnis hätte dann auch keine Dominoeffekte zur Folge.

Nun hat Griechenland noch genau zwei Wochen Zeit, bis das Geld alle ist. Zeit genug für ein erstes Signal hin zu Reformen. Wenn in diesen zwei Wochen wieder kein glaubwürdiger Schritt kommt, nähert sich das Land seiner letzten Ausfahrt.

Alexander Kritikos, 49, ist Forschungsdirektor beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Ökonomie an der Universität Potsdam.

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