Gastkommentar:Kuba ohne Castro

In wenigen Wochen endet in dem karibischen Inselstaat die Dauerherrschaft zweier Brüder. Der eine hat die Revolution gewaltsam nach Kuba gebracht, der andere wollte sie reformieren. Was bleibt von der Idee eines "prosperierenden und stabilen Sozialismus"?

Von Leonardo Padura

In einem Monat wird das neue kubanische Parlament zusammentreten und die Bildung des Staatsrates bekannt geben. Und, viel wichtiger noch: den Namen des neuen Präsidenten der Republik. Das hätte eigentlich viel früher geschehen sollen, doch Ende Dezember wurde beschlossen, diesen spektakulären Akt wegen der durch den Hurrikan Irma verursachten Schäden zu verschieben. Doch schon zu diesem Zeitpunkt bekräftigte Präsident Raúl Castro seine Absicht, nach zwei fünfjährigen Mandaten als Präsident von Kuba den Vorsitz in den Staats- und Regierungsorganen abzugeben.

Abgeordnete, die zuvor von anderen Abgeordneten gewählt wurden, die ihrerseits von den Bürgern auf lokaler Ebene gewählt worden waren, werden die neuen Repräsentanten des Staates und der Regierung bestimmen. Es ist ein historischer Vorgang, denn zum ersten Mal seit 60 Jahren wird keiner der beiden Castro-Brüder an der Spitze des Landes stehen und die Kommunistische Partei anführen, die die Geschicke der sozialistischen Karibikinsel lenkt.

Die größte Reform war, dass die Menschen relativ frei reisen konnten. Dann kam Trump

Wird also im April 2018 eine Etappe eingeleitet werden, die das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben Kubas verändert? Zu erwarten ist, im Moment jedenfalls, eine Fortführung der bisherigen Politik des Landes, mit Reformen gemäß dem Programm der sogenannten, vom VI. Kongress der Kommunistischen Partei Kubas verabschiedeten "Richtlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Revolution und der Partei".

Das Kuba der letzten zehn Jahre wurde als das "Kuba der Reformen" bezeichnet. Seit Raúl Castro auf die höchste Entscheidungsebene gelangte, hat er verschiedene Änderungen vorzunehmen versucht, die, ohne die bestehende Struktur anzutasten, den alten nationalen Traum verwirklichen sollten, eine effiziente und wettbewerbsfähige Wirtschaft aufzubauen. Dies unter Wahrung der gesellschaftlichen Errungenschaften und der Gerechtigkeit unter den Bürgern des Landes.

Einige dieser Änderungen haben das Leben der Nation, auch das alltägliche, massiv beeinflusst. Die vielleicht folgenreichste Reform war, so glaube ich, die Reisebeschränkungen aufzuheben, die es der Mehrheit der Kubaner nun erlaubt, frei zu reisen, etwas, das zuvor nur durch komplizierte und kontrollierte staatliche Mechanismen möglich war.

Diese Änderung wurde unter anderem auch zu einer Möglichkeit des Überlebens, die die Kubaner nutzen, um in andere Länder zu reisen, aus denen sie Waren nach Kuba (wo die Zollbestimmungen streng sind) mitbringen, die sie dann auf dem weißen, schwarzen oder grauen Markt verkaufen. Durch eine Reise nach Panama, Ecuador oder Guyana kann ein Kubaner auf diese Weise in einer Woche den Lohn mehrerer Monate verdienen, je nach der Menge, die hereinzubringen ihm gelingt. Die komplizierteste und am meisten diskutierte Maßnahme war jedoch die "Wiederbelebung der Arbeit auf eigene Rechnung", das heißt, die Schaffung von Arbeitsplätzen oder kleinen privaten, auch als Kooperative organisierten Unternehmen. Diese Möglichkeit, von der rund 20 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung Kubas Gebrauch machten, war begleitet von Öffnungen und Restriktionen, Unterstützungen und Einschränkungen, die zahlreiche Versuche der Menschen erschwerten.

Dennoch waren einige jener neuen Unternehmer - auf legalen, halblegalen oder illegalen Wegen - überaus erfolgreich, am sichtbarsten in der Gastronomie und Privatpensionen, den sogenannten Hostales. Das veranlasste den Staat wiederum, weniger neue Lizenzen auszugeben und damit wieder ihre Anzahl zu begrenzen. So geht das etwas seit einem halben Jahr. Auslöser war, dass einigen der Neu-Unternehmer vorgeworfen wurde, Steuern zu hinterziehen, möglicherweise sogar Geld zu waschen, Delikte jedenfalls, durch die sie sich illegal bereichern konnten. Fakt ist, dass das private Kleinunternehmertum - durch illegale oder auch legale Tricks - eine Lücke in der kubanischen Gesellschaft geschlossen und es einem Teil der Bevölkerung ermöglicht hat, Gewinne zu erzielen, die für einen für den Staat arbeitenden Kubaner unvorstellbar sind.

Denn worauf die Reformen nicht im selben Maße durchgeschlagen haben, waren die sozialistischen Staatsbetriebe und die zahlreichen Institutionen der Regierung und des Staates, die die Mehrzahl der arbeitenden Bevölkerung beschäftigen. Obwohl man versucht hat, durch Reformen die Leistungsfähigkeit dieser Unternehmen zu verbessern und ihnen mehr Selbständigkeit zuzugestehen, ließen die Erfolge und damit auch die Lohnerhöhungen auf sich warten, denn das nur leicht ansteigende kubanische Bruttoinlandsprodukt erlaubt nicht, die Löhne an die Preissteigerungen anzugleichen, obwohl es dringend notwendig wäre.

Bereits vor mehreren Jahren, zu Beginn der von ihm initiierten Veränderungen, räumte Raúl Castro ein, dass der Verdienst eines Arbeiters in einem staatlichen Betrieb nicht zum Leben ausreicht. Seit den 1990er-Jahren stiegen die Lebenshaltungskosten in diesem Land beträchtlich an, wogegen sich die staatlichen Löhne lediglich verdoppelten oder verdreifachten und eine ganze Reihe von Subventionen nach und nach gestrichen wurden, um die wirtschaftliche Ordnung zu wahren, die dafür sorgen soll, die verlorene Rentabilität wiederzuerlangen: die klassische Achillesferse der sozialistischen Wirtschaft.

Lebensmittel "abzuzweigen" gehört von jeher zur Überlebensstrategie

Es ist kein Zufall, dass - ebenfalls seit mehreren Jahren - das Land damit begonnen hat, die Korruption zu bekämpfen, die einige private Kleinunternehmen ebenso betrifft wie viele Staatsbetriebe, in kleinerem oder größerem Maße, jedoch stets mit dem unlösbaren Problem des Diebstahls oder der "Abzweigung von Lebensmitteln und Materialien" als Überlebensmöglichkeit jener Bürger, die von ihrem Lohn nicht leben können. So kommt es, dass jemand, dem man eine Arbeitsstelle im staatlichen Sektor anbietet, sogleich fragt: Und was kommt dazu? Das, was "dazukommt", ist, was den Lohn aufbessert.

Der kritische Punkt für die Wirtschaftsreformen bestand jedoch darin, dass es unmöglich ist, die Währung zu vereinheitlichen. In unserem Land existieren zwei offizielle Währungen (eine "kubanische" und eine andere, die als "Devise" bezeichnet wird) mit verschiedenem Wert und unterschiedlichen Wechselkursen, je nachdem, in welchem wirtschaftlichen Sektor das Geld verwendet wird. Die Folge dieser Dualität ist eine Verzerrung der ökonomischen und finanzpolitischen Strukturen, was die sozialen Unterschiede zwischen Bürgern, die Zugang zu Devisen haben, und denen, die für ihre Arbeit in "kubanischer" Währung bezahlt werden, noch verstärkt hat.

In dieser an sich schon komplexen ökonomischen Situation hat das Land mit einer Konjunktur zu kämpfen, die wegen des Embargos oder des Boykotts durch die USA zurzeit wieder einmal eine ihrer kritischen Phasen durchmacht. In den letzten Amtsjahren von Barack Obama wurden die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder aufgenommen, und auch auf wirtschaftlichem und finanzpolitischem Gebiet war eine gewisse Entspannung zu beobachten.

Doch Präsident Donald Trump hat durch seine Politik die Restriktionen wieder verschärft, vor allem dort, wo es die Bevölkerung beider Staaten am härtesten trifft: durch die Schwierigkeit für Kubaner, in die USA zu reisen, und für die Bürger der Vereinigten Staaten, ein Visum für eine Reise nach Kuba zu bekommen. Beides wurde von dem Präsidenten mit den orangefarbenen Haaren wieder eingeschränkt. Auch hat es Kuba, zum Teil wegen der Restriktionen durch das Embargo, nicht vermocht, ausländisches Kapital anzulocken, das das Land für seine ökonomische Wiederbelebung, die große Investitionen in Infrastruktur und produktive Sektoren erfordert, dringend benötigt.

In einer komplexen, ja widrigen internationalen und lateinamerikanischen Gemengelage wird die neue kubanische Regierung in ein paar Monaten all diese anhängigen oder offenen Prozesse in Angriff nehmen müssen, mit dem Mandat, der aktuellen Politik Kontinuität zu verleihen. Dazu gehören auch die von Raúl Castro angestoßenen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Reformen, mit dem ausdrücklichen Ziel, in Kuba einen "prosperierenden und stabilen Sozialismus" zu schaffen. Diese komplexe Aufgabe liegt nun auf dem Tisch.

Leonardo Padura, 62, ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller Kubas. Übersetzung: Hans-Joachim Hartstein

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: